Laube, Heinrich: Die Bernsteinhexe. Leipzig, 1846.Einleitung. Jugend standhaft eingedenk und mit nichts beschäftigtwar als mit dem starren Hinlauschen und Hinhorchen, ob nicht außer dem Bereiche unserer Sinne noch eine an- dere, unsrer Menschenwelt überlegene Existenz webe und schaffe, mit dem starren Hinhorchen nach dem Flüstern und Murmeln während des Mondesdämmers, während der Kaminstunden im Vaterhause und im einsamen Forst- hause, während der schauerlichen Nachtstunden auf abge- legenen Jagdplätzen der Haide. Der alte ernsthafte Jä- ger hatte mir in trockener Grube leise entwickelt, daß es kindisch sei, die alten Geheimnisse zu läugnen und hatte neben mir alle die abergläubischen Formen beutegierigen Jägerthumes erfüllt, und hatte so oft triumphirt, wenn das erwünschte und seltne Wild im weißen Mondenscheine gerade an uns vorüber seinen Weg genommen, obwohl doch die Haide so breit war und hundert Wege außerhalb unseres Gesichtskreises und Schusses übrig blieben. Vor allem Anderen aber war ich aus dem schwarzen Brau- hause meiner Vaterstadt nicht mehr heraus gekommen in jenen sechs Wochen. Dies Brauhaus, der schwarze Hei- dentempel meiner Hexenerinnerungen, lag abseit von den Hinterhäusern der Stadt, ganz einsam dicht an der ver- fallenden Stadtmauer, und ich mußte als zehn- bis zwölf- jähriger Bube des Jahres wohl ein Dutzend Mal in die- sem Brauhause wachen helfen, daß von dem frisch gebrau- ten Biere aus den Bütten nichts entwendet würde. Mein einziger Gefährte bei dieser wunderlichen Wacht war ein Einleitung. Jugend ſtandhaft eingedenk und mit nichts beſchaͤftigtwar als mit dem ſtarren Hinlauſchen und Hinhorchen, ob nicht außer dem Bereiche unſerer Sinne noch eine an- dere, unſrer Menſchenwelt uͤberlegene Exiſtenz webe und ſchaffe, mit dem ſtarren Hinhorchen nach dem Fluͤſtern und Murmeln waͤhrend des Mondesdaͤmmers, waͤhrend der Kaminſtunden im Vaterhauſe und im einſamen Forſt- hauſe, waͤhrend der ſchauerlichen Nachtſtunden auf abge- legenen Jagdplaͤtzen der Haide. Der alte ernſthafte Jaͤ- ger hatte mir in trockener Grube leiſe entwickelt, daß es kindiſch ſei, die alten Geheimniſſe zu laͤugnen und hatte neben mir alle die aberglaͤubiſchen Formen beutegierigen Jaͤgerthumes erfuͤllt, und hatte ſo oft triumphirt, wenn das erwuͤnſchte und ſeltne Wild im weißen Mondenſcheine gerade an uns voruͤber ſeinen Weg genommen, obwohl doch die Haide ſo breit war und hundert Wege außerhalb unſeres Geſichtskreiſes und Schuſſes uͤbrig blieben. Vor allem Anderen aber war ich aus dem ſchwarzen Brau- hauſe meiner Vaterſtadt nicht mehr heraus gekommen in jenen ſechs Wochen. Dies Brauhaus, der ſchwarze Hei- dentempel meiner Hexenerinnerungen, lag abſeit von den Hinterhaͤuſern der Stadt, ganz einſam dicht an der ver- fallenden Stadtmauer, und ich mußte als zehn- bis zwoͤlf- jaͤhriger Bube des Jahres wohl ein Dutzend Mal in die- ſem Brauhauſe wachen helfen, daß von dem friſch gebrau- ten Biere aus den Buͤtten nichts entwendet wuͤrde. Mein einziger Gefaͤhrte bei dieſer wunderlichen Wacht war ein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0016" n="10"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> Jugend ſtandhaft eingedenk und mit nichts beſchaͤftigt<lb/> war als mit dem ſtarren Hinlauſchen und Hinhorchen,<lb/> ob nicht außer dem Bereiche unſerer Sinne noch eine an-<lb/> dere, unſrer Menſchenwelt uͤberlegene Exiſtenz webe und<lb/> ſchaffe, mit dem ſtarren Hinhorchen nach dem Fluͤſtern<lb/> und Murmeln waͤhrend des Mondesdaͤmmers, waͤhrend<lb/> der Kaminſtunden im Vaterhauſe und im einſamen Forſt-<lb/> hauſe, waͤhrend der ſchauerlichen Nachtſtunden auf abge-<lb/> legenen Jagdplaͤtzen der Haide. Der alte ernſthafte Jaͤ-<lb/> ger hatte mir in trockener Grube leiſe entwickelt, daß es<lb/> kindiſch ſei, die alten Geheimniſſe zu laͤugnen und hatte<lb/> neben mir alle die aberglaͤubiſchen Formen beutegierigen<lb/> Jaͤgerthumes erfuͤllt, und hatte ſo oft triumphirt, wenn<lb/> das erwuͤnſchte und ſeltne Wild im weißen Mondenſcheine<lb/> gerade an uns voruͤber ſeinen Weg genommen, obwohl<lb/> doch die Haide ſo breit war und hundert Wege außerhalb<lb/> unſeres Geſichtskreiſes und Schuſſes uͤbrig blieben. Vor<lb/> allem Anderen aber war ich aus dem ſchwarzen Brau-<lb/> hauſe meiner Vaterſtadt nicht mehr heraus gekommen in<lb/> jenen ſechs Wochen. Dies Brauhaus, der ſchwarze Hei-<lb/> dentempel meiner Hexenerinnerungen, lag abſeit von den<lb/> Hinterhaͤuſern der Stadt, ganz einſam dicht an der ver-<lb/> fallenden Stadtmauer, und ich mußte als zehn- bis zwoͤlf-<lb/> jaͤhriger Bube des Jahres wohl ein Dutzend Mal in die-<lb/> ſem Brauhauſe wachen helfen, daß von dem friſch gebrau-<lb/> ten Biere aus den Buͤtten nichts entwendet wuͤrde. Mein<lb/> einziger Gefaͤhrte bei dieſer wunderlichen Wacht war ein<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [10/0016]
Einleitung.
Jugend ſtandhaft eingedenk und mit nichts beſchaͤftigt
war als mit dem ſtarren Hinlauſchen und Hinhorchen,
ob nicht außer dem Bereiche unſerer Sinne noch eine an-
dere, unſrer Menſchenwelt uͤberlegene Exiſtenz webe und
ſchaffe, mit dem ſtarren Hinhorchen nach dem Fluͤſtern
und Murmeln waͤhrend des Mondesdaͤmmers, waͤhrend
der Kaminſtunden im Vaterhauſe und im einſamen Forſt-
hauſe, waͤhrend der ſchauerlichen Nachtſtunden auf abge-
legenen Jagdplaͤtzen der Haide. Der alte ernſthafte Jaͤ-
ger hatte mir in trockener Grube leiſe entwickelt, daß es
kindiſch ſei, die alten Geheimniſſe zu laͤugnen und hatte
neben mir alle die aberglaͤubiſchen Formen beutegierigen
Jaͤgerthumes erfuͤllt, und hatte ſo oft triumphirt, wenn
das erwuͤnſchte und ſeltne Wild im weißen Mondenſcheine
gerade an uns voruͤber ſeinen Weg genommen, obwohl
doch die Haide ſo breit war und hundert Wege außerhalb
unſeres Geſichtskreiſes und Schuſſes uͤbrig blieben. Vor
allem Anderen aber war ich aus dem ſchwarzen Brau-
hauſe meiner Vaterſtadt nicht mehr heraus gekommen in
jenen ſechs Wochen. Dies Brauhaus, der ſchwarze Hei-
dentempel meiner Hexenerinnerungen, lag abſeit von den
Hinterhaͤuſern der Stadt, ganz einſam dicht an der ver-
fallenden Stadtmauer, und ich mußte als zehn- bis zwoͤlf-
jaͤhriger Bube des Jahres wohl ein Dutzend Mal in die-
ſem Brauhauſe wachen helfen, daß von dem friſch gebrau-
ten Biere aus den Buͤtten nichts entwendet wuͤrde. Mein
einziger Gefaͤhrte bei dieſer wunderlichen Wacht war ein
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |