Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Die Bernsteinhexe. Leipzig, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
altes Mütterchen von kleiner viereckiger Gestalt, genannt
Mutter Schönknechten, runzlig und garstig und von un-
gezählten Jahren. Sie selbst wußte am Wenigsten Aus-
kunft zu geben, wie lange sie schon auf der Welt sei, sie
wußte nur daß Niemand in der Stadt jemals Bier ge-
trunken, bei dessen Siedung und Brauung sie nicht be-
hilflich gewesen wäre. Mutter Schönknechten galt für
ungewöhnlich begabt. Obwohl so alt und so klein, wusch
sie doch sämmtliche Fässer zu einem Gebräude binnen ei-
nem halben Tage rein und blank mit drahtdurchflochtenen
Lappen und schwenkte trotz ihrer kurzen Arme die großen
Fässer umher als ob es Biergläser wären. Man respek-
tirte das stille Mütterchen ungemein, man traute ihr, wie
gesagt, Ungewöhnliches zu, aber Niemand dachte dabei
an Hexenwesen und Hexenkräfte. Mutter Schönknechten
ward zur guten Sorte gerechnet, die Frau des Brauers
aber galt für eine Hexe, und diese Frau des Brauers,
Brauer-Lene genannt, galt für die tödtliche Feindin der
Mutter Schönknechten. Da war also gutes und böses
Prinzip des Geheimnißvollen für den aufmerksamen Kna-
ben. Zwischen jenen beiden Weibern figurirte als Jn-
differenzpunkt der alte lange Brauer, der mit seinem als
Hexe verschrieenen Weibe lauter starke Jungen zeugte, der
immerdar so gewiß überlegen lachte, wenn man der Hexe-
rei in seiner Gegenwart erwähnte, und der übrigens die
Mutter Schönknechten so wohlwollend und schonend be-
handelte, als ob er sie einmal geliebt habe in jüngeren

Einleitung.
altes Muͤtterchen von kleiner viereckiger Geſtalt, genannt
Mutter Schoͤnknechten, runzlig und garſtig und von un-
gezaͤhlten Jahren. Sie ſelbſt wußte am Wenigſten Aus-
kunft zu geben, wie lange ſie ſchon auf der Welt ſei, ſie
wußte nur daß Niemand in der Stadt jemals Bier ge-
trunken, bei deſſen Siedung und Brauung ſie nicht be-
hilflich geweſen waͤre. Mutter Schoͤnknechten galt fuͤr
ungewoͤhnlich begabt. Obwohl ſo alt und ſo klein, wuſch
ſie doch ſaͤmmtliche Faͤſſer zu einem Gebraͤude binnen ei-
nem halben Tage rein und blank mit drahtdurchflochtenen
Lappen und ſchwenkte trotz ihrer kurzen Arme die großen
Faͤſſer umher als ob es Bierglaͤſer waͤren. Man reſpek-
tirte das ſtille Muͤtterchen ungemein, man traute ihr, wie
geſagt, Ungewoͤhnliches zu, aber Niemand dachte dabei
an Hexenweſen und Hexenkraͤfte. Mutter Schoͤnknechten
ward zur guten Sorte gerechnet, die Frau des Brauers
aber galt fuͤr eine Hexe, und dieſe Frau des Brauers,
Brauer-Lene genannt, galt fuͤr die toͤdtliche Feindin der
Mutter Schoͤnknechten. Da war alſo gutes und boͤſes
Prinzip des Geheimnißvollen fuͤr den aufmerkſamen Kna-
ben. Zwiſchen jenen beiden Weibern figurirte als Jn-
differenzpunkt der alte lange Brauer, der mit ſeinem als
Hexe verſchrieenen Weibe lauter ſtarke Jungen zeugte, der
immerdar ſo gewiß uͤberlegen lachte, wenn man der Hexe-
rei in ſeiner Gegenwart erwaͤhnte, und der uͤbrigens die
Mutter Schoͤnknechten ſo wohlwollend und ſchonend be-
handelte, als ob er ſie einmal geliebt habe in juͤngeren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="11"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
altes Mu&#x0364;tterchen von kleiner viereckiger Ge&#x017F;talt, genannt<lb/>
Mutter Scho&#x0364;nknechten, runzlig und gar&#x017F;tig und von un-<lb/>
geza&#x0364;hlten Jahren. Sie &#x017F;elb&#x017F;t wußte am Wenig&#x017F;ten Aus-<lb/>
kunft zu geben, wie lange &#x017F;ie &#x017F;chon auf der Welt &#x017F;ei, &#x017F;ie<lb/>
wußte nur daß Niemand in der Stadt jemals Bier ge-<lb/>
trunken, bei de&#x017F;&#x017F;en Siedung und Brauung &#x017F;ie nicht be-<lb/>
hilflich gewe&#x017F;en wa&#x0364;re. Mutter Scho&#x0364;nknechten galt fu&#x0364;r<lb/>
ungewo&#x0364;hnlich begabt. Obwohl &#x017F;o alt und &#x017F;o klein, wu&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;ie doch &#x017F;a&#x0364;mmtliche Fa&#x0364;&#x017F;&#x017F;er zu einem Gebra&#x0364;ude binnen ei-<lb/>
nem halben Tage rein und blank mit drahtdurchflochtenen<lb/>
Lappen und &#x017F;chwenkte trotz ihrer kurzen Arme die großen<lb/>
Fa&#x0364;&#x017F;&#x017F;er umher als ob es Biergla&#x0364;&#x017F;er wa&#x0364;ren. Man re&#x017F;pek-<lb/>
tirte das &#x017F;tille Mu&#x0364;tterchen ungemein, man traute ihr, wie<lb/>
ge&#x017F;agt, Ungewo&#x0364;hnliches zu, aber Niemand dachte dabei<lb/>
an Hexenwe&#x017F;en und Hexenkra&#x0364;fte. Mutter Scho&#x0364;nknechten<lb/>
ward zur guten Sorte gerechnet, die Frau des Brauers<lb/>
aber galt fu&#x0364;r eine Hexe, und die&#x017F;e Frau des Brauers,<lb/>
Brauer-Lene genannt, galt fu&#x0364;r die to&#x0364;dtliche Feindin der<lb/>
Mutter Scho&#x0364;nknechten. Da war al&#x017F;o gutes und bo&#x0364;&#x017F;es<lb/>
Prinzip des Geheimnißvollen fu&#x0364;r den aufmerk&#x017F;amen Kna-<lb/>
ben. Zwi&#x017F;chen jenen beiden Weibern figurirte als Jn-<lb/>
differenzpunkt der alte lange Brauer, der mit &#x017F;einem als<lb/>
Hexe ver&#x017F;chrieenen Weibe lauter &#x017F;tarke Jungen zeugte, der<lb/>
immerdar &#x017F;o gewiß u&#x0364;berlegen lachte, wenn man der Hexe-<lb/>
rei in &#x017F;einer Gegenwart erwa&#x0364;hnte, und der u&#x0364;brigens die<lb/>
Mutter Scho&#x0364;nknechten &#x017F;o wohlwollend und &#x017F;chonend be-<lb/>
handelte, als ob er &#x017F;ie einmal geliebt habe in ju&#x0364;ngeren<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0017] Einleitung. altes Muͤtterchen von kleiner viereckiger Geſtalt, genannt Mutter Schoͤnknechten, runzlig und garſtig und von un- gezaͤhlten Jahren. Sie ſelbſt wußte am Wenigſten Aus- kunft zu geben, wie lange ſie ſchon auf der Welt ſei, ſie wußte nur daß Niemand in der Stadt jemals Bier ge- trunken, bei deſſen Siedung und Brauung ſie nicht be- hilflich geweſen waͤre. Mutter Schoͤnknechten galt fuͤr ungewoͤhnlich begabt. Obwohl ſo alt und ſo klein, wuſch ſie doch ſaͤmmtliche Faͤſſer zu einem Gebraͤude binnen ei- nem halben Tage rein und blank mit drahtdurchflochtenen Lappen und ſchwenkte trotz ihrer kurzen Arme die großen Faͤſſer umher als ob es Bierglaͤſer waͤren. Man reſpek- tirte das ſtille Muͤtterchen ungemein, man traute ihr, wie geſagt, Ungewoͤhnliches zu, aber Niemand dachte dabei an Hexenweſen und Hexenkraͤfte. Mutter Schoͤnknechten ward zur guten Sorte gerechnet, die Frau des Brauers aber galt fuͤr eine Hexe, und dieſe Frau des Brauers, Brauer-Lene genannt, galt fuͤr die toͤdtliche Feindin der Mutter Schoͤnknechten. Da war alſo gutes und boͤſes Prinzip des Geheimnißvollen fuͤr den aufmerkſamen Kna- ben. Zwiſchen jenen beiden Weibern figurirte als Jn- differenzpunkt der alte lange Brauer, der mit ſeinem als Hexe verſchrieenen Weibe lauter ſtarke Jungen zeugte, der immerdar ſo gewiß uͤberlegen lachte, wenn man der Hexe- rei in ſeiner Gegenwart erwaͤhnte, und der uͤbrigens die Mutter Schoͤnknechten ſo wohlwollend und ſchonend be- handelte, als ob er ſie einmal geliebt habe in juͤngeren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_bernsteinhexe_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_bernsteinhexe_1846/17
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Die Bernsteinhexe. Leipzig, 1846, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_bernsteinhexe_1846/17>, abgerufen am 23.11.2024.