Laube, Heinrich: Die Bernsteinhexe. Leipzig, 1846.
Einleitung. lebhaften Theilnahme an diesem Reize übersah ich nur,daß die Form den stärksten Antheil hatte an Erschaffung dieses Reizes. Meinholds Buch giebt sich als treue Dar- stellung "nach einer defecten Handschrift des Pfarrers Abraham Schweidler in Coserow auf Usedom." Dieser Paß öffnet ihm alle Thore. Man hat mich, verwundert über meinen Mangel an Exegese, gefragt: aber haben Sie denn nicht an diesem und jenem Zeichen gemerkt, daß es eine gemachte Chronik war? Darauf hätte ich ganz einfältig zu erwidern: Nein! wenn ich nicht beizufügen hätte: darum habe ich mich gar nicht gekümmert! Die blanke Aechtheit oder Unächtheit in Betreff der geschicht- lichen Quelle war mir vollkommen gleichgültig, und ich muß auf alle Gefahr hin sogar hinzufügen, daß sie mir dies unter solchen Umständen immer ist, daß mir das wirklich Geschehene verhältnißmäßig unwichtig ist neben dem Wah- ren. Jch sehe seit zwanzig Jahren Geschichte entstehen, und habe hinreichend erfahren, daß die einzelnen Wirklichkei- ten nicht nur unwichtig, sondern sogar neben der aus Mannigfaltigkeit entstehenden Wahrheit geradezu unwahr werden können, wenn man sie realistisch betont. Außer- dem aber bilde ich mir ein, von künstlerischer Natur zu sein, und insofern ist es meine geringste Sorge und Frage vor dem Reize einer Geschichte, ob sie geradeso pas- sirt ist wie sie mir erzählt wird. Jede gut erzählte Ge- schichte ist mir auch eine wahre Geschichte. Endlich glaube ich auch heute noch nicht, daß Mein- Einleitung. lebhaften Theilnahme an dieſem Reize uͤberſah ich nur,daß die Form den ſtaͤrkſten Antheil hatte an Erſchaffung dieſes Reizes. Meinholds Buch giebt ſich als treue Dar- ſtellung „nach einer defecten Handſchrift des Pfarrers Abraham Schweidler in Coſerow auf Uſedom.“ Dieſer Paß oͤffnet ihm alle Thore. Man hat mich, verwundert uͤber meinen Mangel an Exegeſe, gefragt: aber haben Sie denn nicht an dieſem und jenem Zeichen gemerkt, daß es eine gemachte Chronik war? Darauf haͤtte ich ganz einfaͤltig zu erwidern: Nein! wenn ich nicht beizufuͤgen haͤtte: darum habe ich mich gar nicht gekuͤmmert! Die blanke Aechtheit oder Unaͤchtheit in Betreff der geſchicht- lichen Quelle war mir vollkommen gleichguͤltig, und ich muß auf alle Gefahr hin ſogar hinzufuͤgen, daß ſie mir dies unter ſolchen Umſtaͤnden immer iſt, daß mir das wirklich Geſchehene verhaͤltnißmaͤßig unwichtig iſt neben dem Wah- ren. Jch ſehe ſeit zwanzig Jahren Geſchichte entſtehen, und habe hinreichend erfahren, daß die einzelnen Wirklichkei- ten nicht nur unwichtig, ſondern ſogar neben der aus Mannigfaltigkeit entſtehenden Wahrheit geradezu unwahr werden koͤnnen, wenn man ſie realiſtiſch betont. Außer- dem aber bilde ich mir ein, von kuͤnſtleriſcher Natur zu ſein, und inſofern iſt es meine geringſte Sorge und Frage vor dem Reize einer Geſchichte, ob ſie geradeſo paſ- ſirt iſt wie ſie mir erzaͤhlt wird. Jede gut erzaͤhlte Ge- ſchichte iſt mir auch eine wahre Geſchichte. Endlich glaube ich auch heute noch nicht, daß Mein- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0029" n="23"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> lebhaften Theilnahme an dieſem Reize uͤberſah ich nur,<lb/> daß die Form den ſtaͤrkſten Antheil hatte an Erſchaffung<lb/> dieſes Reizes. Meinholds Buch giebt ſich als treue Dar-<lb/> ſtellung „nach einer defecten Handſchrift des Pfarrers<lb/> Abraham Schweidler in Coſerow auf Uſedom.“ Dieſer<lb/> Paß oͤffnet ihm alle Thore. Man hat mich, verwundert<lb/> uͤber meinen Mangel an Exegeſe, gefragt: aber haben<lb/> Sie denn nicht an dieſem und jenem Zeichen gemerkt, daß<lb/> es eine gemachte Chronik war? Darauf haͤtte ich ganz<lb/> einfaͤltig zu erwidern: Nein! wenn ich nicht beizufuͤgen<lb/> haͤtte: darum habe ich mich gar nicht gekuͤmmert! Die<lb/> blanke Aechtheit oder Unaͤchtheit in Betreff der geſchicht-<lb/> lichen Quelle war mir vollkommen gleichguͤltig, und ich<lb/> muß auf alle Gefahr hin ſogar hinzufuͤgen, daß ſie mir dies<lb/> unter ſolchen Umſtaͤnden immer iſt, daß mir das wirklich<lb/> Geſchehene verhaͤltnißmaͤßig unwichtig iſt neben dem Wah-<lb/> ren. Jch ſehe ſeit zwanzig Jahren Geſchichte entſtehen, und<lb/> habe hinreichend erfahren, daß die einzelnen Wirklichkei-<lb/> ten nicht nur unwichtig, ſondern ſogar neben der aus<lb/> Mannigfaltigkeit entſtehenden Wahrheit geradezu unwahr<lb/> werden koͤnnen, wenn man ſie realiſtiſch betont. Außer-<lb/> dem aber bilde ich mir ein, von kuͤnſtleriſcher Natur zu<lb/> ſein, und inſofern iſt es meine geringſte Sorge und<lb/> Frage vor dem Reize einer Geſchichte, ob ſie geradeſo paſ-<lb/> ſirt iſt wie ſie mir erzaͤhlt wird. Jede gut erzaͤhlte Ge-<lb/> ſchichte iſt mir auch eine wahre Geſchichte.</p><lb/> <p>Endlich glaube ich auch heute noch nicht, daß Mein-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [23/0029]
Einleitung.
lebhaften Theilnahme an dieſem Reize uͤberſah ich nur,
daß die Form den ſtaͤrkſten Antheil hatte an Erſchaffung
dieſes Reizes. Meinholds Buch giebt ſich als treue Dar-
ſtellung „nach einer defecten Handſchrift des Pfarrers
Abraham Schweidler in Coſerow auf Uſedom.“ Dieſer
Paß oͤffnet ihm alle Thore. Man hat mich, verwundert
uͤber meinen Mangel an Exegeſe, gefragt: aber haben
Sie denn nicht an dieſem und jenem Zeichen gemerkt, daß
es eine gemachte Chronik war? Darauf haͤtte ich ganz
einfaͤltig zu erwidern: Nein! wenn ich nicht beizufuͤgen
haͤtte: darum habe ich mich gar nicht gekuͤmmert! Die
blanke Aechtheit oder Unaͤchtheit in Betreff der geſchicht-
lichen Quelle war mir vollkommen gleichguͤltig, und ich
muß auf alle Gefahr hin ſogar hinzufuͤgen, daß ſie mir dies
unter ſolchen Umſtaͤnden immer iſt, daß mir das wirklich
Geſchehene verhaͤltnißmaͤßig unwichtig iſt neben dem Wah-
ren. Jch ſehe ſeit zwanzig Jahren Geſchichte entſtehen, und
habe hinreichend erfahren, daß die einzelnen Wirklichkei-
ten nicht nur unwichtig, ſondern ſogar neben der aus
Mannigfaltigkeit entſtehenden Wahrheit geradezu unwahr
werden koͤnnen, wenn man ſie realiſtiſch betont. Außer-
dem aber bilde ich mir ein, von kuͤnſtleriſcher Natur zu
ſein, und inſofern iſt es meine geringſte Sorge und
Frage vor dem Reize einer Geſchichte, ob ſie geradeſo paſ-
ſirt iſt wie ſie mir erzaͤhlt wird. Jede gut erzaͤhlte Ge-
ſchichte iſt mir auch eine wahre Geſchichte.
Endlich glaube ich auch heute noch nicht, daß Mein-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/laube_bernsteinhexe_1846 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/laube_bernsteinhexe_1846/29 |
| Zitationshilfe: | Laube, Heinrich: Die Bernsteinhexe. Leipzig, 1846, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_bernsteinhexe_1846/29>, abgerufen am 23.11.2024. |
