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Laube, Heinrich: Die Bernsteinhexe. Leipzig, 1846.

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Einleitung.
lich! das hatten wir wohl gemerkt, Dergleichen ist ja immer
Machwerk!" Jetzt erst kommt die Auflösung: die Ueber-
lieferung von der Marie Schweidler ist wirklich ächt, ich
habe nur die auseinander gerissenen Theile aneinander ge-
fügt. Da habt Jhr das mitsprechende Beispiel für alte
Ueberlieferungen und für Eure Kritik!

Doch genug über einen absonderlichen Scherz, welcher
die kritischen Leute länger interessiren mag als die künst-
lerischen. Diesen wird Meinholds Buch unter allen Um-
ständen werth bleiben, und mich persönlich entzückte es der-
maßen, daß ich, erfüllt von lauter dramatischen Formen,
nicht Rast noch Ruhe hatte, bis ich es als Theaterstück
vor mir sah. Jch war mitten in der Abfassung des Stru-
ensee begriffen, und also nicht nur nicht verlegen um ei-
nen Stoff, sondern im Gegentheil gestört durch das bereits
ausgebreitete Leben eines ganz andern Stoffes, welcher
nach Erledigung ungestüm in meinem Jnnern pochte. Der
Drang war so groß, daß ich wesentliche Uebelstände, welche
sich meinem Verstande aufdrängten, durchaus übersehen
wollte. Der Verstand sagte mir: der Hauptreiz in der
"Schweidlerin" sind die naiven Ausbreitungen im Detail,
sind die leisen Töne und Striche in der Charakteristik der
Personen, in der Führung der Begebenheit, und eine wich-
tige Hilfe für den Hauptreiz ist die alte Sprache! Das
Alles geht Dir für's Drama verloren, denn dieses ver-
trägt die Ausbreitung des Details, verträgt die leisen
Wendungen, verträgt die alte Sprache nicht, es fordert rasch

Einleitung.
lich! das hatten wir wohl gemerkt, Dergleichen iſt ja immer
Machwerk!“ Jetzt erſt kommt die Aufloͤſung: die Ueber-
lieferung von der Marie Schweidler iſt wirklich aͤcht, ich
habe nur die auseinander geriſſenen Theile aneinander ge-
fuͤgt. Da habt Jhr das mitſprechende Beiſpiel fuͤr alte
Ueberlieferungen und fuͤr Eure Kritik!

Doch genug uͤber einen abſonderlichen Scherz, welcher
die kritiſchen Leute laͤnger intereſſiren mag als die kuͤnſt-
leriſchen. Dieſen wird Meinholds Buch unter allen Um-
ſtaͤnden werth bleiben, und mich perſoͤnlich entzuͤckte es der-
maßen, daß ich, erfuͤllt von lauter dramatiſchen Formen,
nicht Raſt noch Ruhe hatte, bis ich es als Theaterſtuͤck
vor mir ſah. Jch war mitten in der Abfaſſung des Stru-
enſee begriffen, und alſo nicht nur nicht verlegen um ei-
nen Stoff, ſondern im Gegentheil geſtoͤrt durch das bereits
ausgebreitete Leben eines ganz andern Stoffes, welcher
nach Erledigung ungeſtuͤm in meinem Jnnern pochte. Der
Drang war ſo groß, daß ich weſentliche Uebelſtaͤnde, welche
ſich meinem Verſtande aufdraͤngten, durchaus uͤberſehen
wollte. Der Verſtand ſagte mir: der Hauptreiz in der
„Schweidlerin“ ſind die naiven Ausbreitungen im Detail,
ſind die leiſen Toͤne und Striche in der Charakteriſtik der
Perſonen, in der Fuͤhrung der Begebenheit, und eine wich-
tige Hilfe fuͤr den Hauptreiz iſt die alte Sprache! Das
Alles geht Dir fuͤr’s Drama verloren, denn dieſes ver-
traͤgt die Ausbreitung des Details, vertraͤgt die leiſen
Wendungen, vertraͤgt die alte Sprache nicht, es fordert raſch

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[25/0031] Einleitung. lich! das hatten wir wohl gemerkt, Dergleichen iſt ja immer Machwerk!“ Jetzt erſt kommt die Aufloͤſung: die Ueber- lieferung von der Marie Schweidler iſt wirklich aͤcht, ich habe nur die auseinander geriſſenen Theile aneinander ge- fuͤgt. Da habt Jhr das mitſprechende Beiſpiel fuͤr alte Ueberlieferungen und fuͤr Eure Kritik! Doch genug uͤber einen abſonderlichen Scherz, welcher die kritiſchen Leute laͤnger intereſſiren mag als die kuͤnſt- leriſchen. Dieſen wird Meinholds Buch unter allen Um- ſtaͤnden werth bleiben, und mich perſoͤnlich entzuͤckte es der- maßen, daß ich, erfuͤllt von lauter dramatiſchen Formen, nicht Raſt noch Ruhe hatte, bis ich es als Theaterſtuͤck vor mir ſah. Jch war mitten in der Abfaſſung des Stru- enſee begriffen, und alſo nicht nur nicht verlegen um ei- nen Stoff, ſondern im Gegentheil geſtoͤrt durch das bereits ausgebreitete Leben eines ganz andern Stoffes, welcher nach Erledigung ungeſtuͤm in meinem Jnnern pochte. Der Drang war ſo groß, daß ich weſentliche Uebelſtaͤnde, welche ſich meinem Verſtande aufdraͤngten, durchaus uͤberſehen wollte. Der Verſtand ſagte mir: der Hauptreiz in der „Schweidlerin“ ſind die naiven Ausbreitungen im Detail, ſind die leiſen Toͤne und Striche in der Charakteriſtik der Perſonen, in der Fuͤhrung der Begebenheit, und eine wich- tige Hilfe fuͤr den Hauptreiz iſt die alte Sprache! Das Alles geht Dir fuͤr’s Drama verloren, denn dieſes ver- traͤgt die Ausbreitung des Details, vertraͤgt die leiſen Wendungen, vertraͤgt die alte Sprache nicht, es fordert raſch

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Die Bernsteinhexe. Leipzig, 1846, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_bernsteinhexe_1846/31>, abgerufen am 21.11.2024.