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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

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wie ein schönes Opfer des Lebens aus, wie eine indi¬
sche Witwe, die mit Wollust im Scheiterhaufen verkoh¬
len will. Fast unverwandt sah sie nach unsrer Loge
und wie es schien, auf mich. Plötzlich fiel mir ein,
daß ich sie schon gesehn. Auf einem einsamen Wege
kam ich neulich zur Stadt geritten, mein Pferd war
scheu und unstät, es ging sehr unruhig, ich lasse ihm
die Zügel schießen, um seinen Drang nach Freiheit zu
stillen. Wie ein rasselndes Gewitter braus't es die Straße
einher, eine kleine Strecke vor mir seh' ich plötzlich ein
Kind in den Weg hereinspringen, eine Dame mit durch¬
dringendem Geschrei ihm nach, sie will es von der Straße
reißen, das Kind sträubt sich, mein Pferd ist schon dicht
vor ihnen. War das Kind allein, so setzte ich darüber
hinweg, mein Rappe versteht das, und beschädigt Nie¬
mand. Aber die Dame richtet sich auf, ich parire mit
aller Kraft, die mir zu Gebote steht, das Pferd und
setze es so fest in den Boden, daß mich der Stoß über
den Kopf des Thieres schleudert. Ich stand neben der
Dame, die mich mit unbeschreiblich schmerzhaftem Aus¬
drucke in ihrem schönen Gesichte ansah, sie war wieder
halb zusammengekauert und drückte wie schützend das
kleine Mädchen in ihren Schooß. Ich hob das liebe

wie ein ſchönes Opfer des Lebens aus, wie eine indi¬
ſche Witwe, die mit Wolluſt im Scheiterhaufen verkoh¬
len will. Faſt unverwandt ſah ſie nach unſrer Loge
und wie es ſchien, auf mich. Plötzlich fiel mir ein,
daß ich ſie ſchon geſehn. Auf einem einſamen Wege
kam ich neulich zur Stadt geritten, mein Pferd war
ſcheu und unſtät, es ging ſehr unruhig, ich laſſe ihm
die Zügel ſchießen, um ſeinen Drang nach Freiheit zu
ſtillen. Wie ein raſſelndes Gewitter brauſ't es die Straße
einher, eine kleine Strecke vor mir ſeh' ich plötzlich ein
Kind in den Weg hereinſpringen, eine Dame mit durch¬
dringendem Geſchrei ihm nach, ſie will es von der Straße
reißen, das Kind ſträubt ſich, mein Pferd iſt ſchon dicht
vor ihnen. War das Kind allein, ſo ſetzte ich darüber
hinweg, mein Rappe verſteht das, und beſchädigt Nie¬
mand. Aber die Dame richtet ſich auf, ich parire mit
aller Kraft, die mir zu Gebote ſteht, das Pferd und
ſetze es ſo feſt in den Boden, daß mich der Stoß über
den Kopf des Thieres ſchleudert. Ich ſtand neben der
Dame, die mich mit unbeſchreiblich ſchmerzhaftem Aus¬
drucke in ihrem ſchönen Geſichte anſah, ſie war wieder
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kleine Mädchen in ihren Schooß. Ich hob das liebe

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[98/0108] wie ein ſchönes Opfer des Lebens aus, wie eine indi¬ ſche Witwe, die mit Wolluſt im Scheiterhaufen verkoh¬ len will. Faſt unverwandt ſah ſie nach unſrer Loge und wie es ſchien, auf mich. Plötzlich fiel mir ein, daß ich ſie ſchon geſehn. Auf einem einſamen Wege kam ich neulich zur Stadt geritten, mein Pferd war ſcheu und unſtät, es ging ſehr unruhig, ich laſſe ihm die Zügel ſchießen, um ſeinen Drang nach Freiheit zu ſtillen. Wie ein raſſelndes Gewitter brauſ't es die Straße einher, eine kleine Strecke vor mir ſeh' ich plötzlich ein Kind in den Weg hereinſpringen, eine Dame mit durch¬ dringendem Geſchrei ihm nach, ſie will es von der Straße reißen, das Kind ſträubt ſich, mein Pferd iſt ſchon dicht vor ihnen. War das Kind allein, ſo ſetzte ich darüber hinweg, mein Rappe verſteht das, und beſchädigt Nie¬ mand. Aber die Dame richtet ſich auf, ich parire mit aller Kraft, die mir zu Gebote ſteht, das Pferd und ſetze es ſo feſt in den Boden, daß mich der Stoß über den Kopf des Thieres ſchleudert. Ich ſtand neben der Dame, die mich mit unbeſchreiblich ſchmerzhaftem Aus¬ drucke in ihrem ſchönen Geſichte anſah, ſie war wieder halb zuſammengekauert und drückte wie ſchützend das kleine Mädchen in ihren Schooß. Ich hob das liebe

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/108>, abgerufen am 23.11.2024.