Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

schränkten Armen im Fensterbogen, und sah lächelnd dem
Aufruhr zu, den Hyppolit erregte. "Ich will Ihnen
einen Brief mittheilen," sagte er, "worin ich den Hyp¬
polit einem Freunde schilderte, als ich ihn vor einiger
Zeit in Straßburg zum ersten Male traf." Er that's,
hier haben Sie einen Auszug davon.

"Ein Mädchen, wahrscheinlich eine leichte, über die
Oberfläche hinflatternde Libelle beschäftigt aber meinen
neuen Freund, der bisher saugend am tiefsten Borne
der Menschheit lag, den des Wissens Trieb bis an die
Mauern von Lahore drängt, der gebräunt von Luft und
Sonne, erwärmt vom Feuer des Forschens wie ein Ath¬
let erst vor Kurzem nach Europa zurückkehrte. In Stra߬
burg lernte ich ihn kennen, wo er in historische Studien
versunken täglich auf der Plattform des Münsters zu fin¬
den war, eine Viertelstunde las, dann sinnend in die
vor ihm wie eine Karte ausgebreitete Welt sah -- die
teutsche Dichtkunst, Göthe, Tieck, ging an ihm vorüber,
er ahnte, bemerkte es kaum; die Kosmogonie, der Ur¬
sitz der Menschen, der Ursitz der Bildung beschäftigte ihn.
Du weißt, wie auch ich seit längerer Zeit nach den
Fußtapfen der menschheitlichen Entwicklung jage, Heeren,
Herder, Schlegel, Champollion studire -- wir sprachen

ſchränkten Armen im Fenſterbogen, und ſah lächelnd dem
Aufruhr zu, den Hyppolit erregte. „Ich will Ihnen
einen Brief mittheilen,“ ſagte er, „worin ich den Hyp¬
polit einem Freunde ſchilderte, als ich ihn vor einiger
Zeit in Straßburg zum erſten Male traf.“ Er that's,
hier haben Sie einen Auszug davon.

„Ein Mädchen, wahrſcheinlich eine leichte, über die
Oberfläche hinflatternde Libelle beſchäftigt aber meinen
neuen Freund, der bisher ſaugend am tiefſten Borne
der Menſchheit lag, den des Wiſſens Trieb bis an die
Mauern von Lahore drängt, der gebräunt von Luft und
Sonne, erwärmt vom Feuer des Forſchens wie ein Ath¬
let erſt vor Kurzem nach Europa zurückkehrte. In Stra߬
burg lernte ich ihn kennen, wo er in hiſtoriſche Studien
verſunken täglich auf der Plattform des Münſters zu fin¬
den war, eine Viertelſtunde las, dann ſinnend in die
vor ihm wie eine Karte ausgebreitete Welt ſah — die
teutſche Dichtkunſt, Göthe, Tieck, ging an ihm vorüber,
er ahnte, bemerkte es kaum; die Kosmogonie, der Ur¬
ſitz der Menſchen, der Urſitz der Bildung beſchäftigte ihn.
Du weißt, wie auch ich ſeit längerer Zeit nach den
Fußtapfen der menſchheitlichen Entwicklung jage, Heeren,
Herder, Schlegel, Champollion ſtudire — wir ſprachen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0162" n="152"/>
&#x017F;chränkten Armen im Fen&#x017F;terbogen, und &#x017F;ah lächelnd dem<lb/>
Aufruhr zu, den Hyppolit erregte. &#x201E;Ich will Ihnen<lb/>
einen Brief mittheilen,&#x201C; &#x017F;agte er, &#x201E;worin ich den Hyp¬<lb/>
polit einem Freunde &#x017F;childerte, als ich ihn vor einiger<lb/>
Zeit in Straßburg zum er&#x017F;ten Male traf.&#x201C; Er that's,<lb/>
hier haben Sie einen Auszug davon.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ein Mädchen, wahr&#x017F;cheinlich eine leichte, über die<lb/>
Oberfläche hinflatternde Libelle be&#x017F;chäftigt aber meinen<lb/>
neuen Freund, der bisher &#x017F;augend am tief&#x017F;ten Borne<lb/>
der Men&#x017F;chheit lag, den des Wi&#x017F;&#x017F;ens Trieb bis an die<lb/>
Mauern von Lahore drängt, der gebräunt von Luft und<lb/>
Sonne, erwärmt vom Feuer des For&#x017F;chens wie ein Ath¬<lb/>
let er&#x017F;t vor Kurzem nach Europa zurückkehrte. In Stra߬<lb/>
burg lernte ich ihn kennen, wo er in hi&#x017F;tori&#x017F;che Studien<lb/>
ver&#x017F;unken täglich auf der Plattform des Mün&#x017F;ters zu fin¬<lb/>
den war, eine Viertel&#x017F;tunde las, dann &#x017F;innend in die<lb/>
vor ihm wie eine Karte ausgebreitete Welt &#x017F;ah &#x2014; die<lb/>
teut&#x017F;che Dichtkun&#x017F;t, Göthe, Tieck, ging an ihm vorüber,<lb/>
er ahnte, bemerkte es kaum; die Kosmogonie, der Ur¬<lb/>
&#x017F;itz der Men&#x017F;chen, der Ur&#x017F;itz der Bildung be&#x017F;chäftigte ihn.<lb/>
Du weißt, wie auch ich &#x017F;eit längerer Zeit nach den<lb/>
Fußtapfen der men&#x017F;chheitlichen Entwicklung jage, Heeren,<lb/>
Herder, Schlegel, Champollion &#x017F;tudire &#x2014; wir &#x017F;prachen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0162] ſchränkten Armen im Fenſterbogen, und ſah lächelnd dem Aufruhr zu, den Hyppolit erregte. „Ich will Ihnen einen Brief mittheilen,“ ſagte er, „worin ich den Hyp¬ polit einem Freunde ſchilderte, als ich ihn vor einiger Zeit in Straßburg zum erſten Male traf.“ Er that's, hier haben Sie einen Auszug davon. „Ein Mädchen, wahrſcheinlich eine leichte, über die Oberfläche hinflatternde Libelle beſchäftigt aber meinen neuen Freund, der bisher ſaugend am tiefſten Borne der Menſchheit lag, den des Wiſſens Trieb bis an die Mauern von Lahore drängt, der gebräunt von Luft und Sonne, erwärmt vom Feuer des Forſchens wie ein Ath¬ let erſt vor Kurzem nach Europa zurückkehrte. In Stra߬ burg lernte ich ihn kennen, wo er in hiſtoriſche Studien verſunken täglich auf der Plattform des Münſters zu fin¬ den war, eine Viertelſtunde las, dann ſinnend in die vor ihm wie eine Karte ausgebreitete Welt ſah — die teutſche Dichtkunſt, Göthe, Tieck, ging an ihm vorüber, er ahnte, bemerkte es kaum; die Kosmogonie, der Ur¬ ſitz der Menſchen, der Urſitz der Bildung beſchäftigte ihn. Du weißt, wie auch ich ſeit längerer Zeit nach den Fußtapfen der menſchheitlichen Entwicklung jage, Heeren, Herder, Schlegel, Champollion ſtudire — wir ſprachen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/162
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/162>, abgerufen am 24.11.2024.