das Repertoir in Unordnung gebracht. Ihre Pflege¬ mutter, die, Gott weiß, ob unterrichtet oder nicht, zu¬ rückgeblieben, ist heulend und weinend zu Constantins Schwester gekommen. Diese Frau Martha, denn so scheint sie mir auszusehen, hat auf Berlin gedeutet -- Du hast ja lebhafte Verbindungen dahin, thu doch rasch Alles Mögliche, um mir Klarheit für die arme Schwe¬ ster zu verschaffen. Du begreifst, daß ich in meiner einsamen Wohnung, fern vom Getümmel des Stadtver¬ kehrs, mürrisch mit den bleichen Worten der Theologen redend, und in tiefschattigen Schmerzen vergangener Herrlichkeit herumwandelnd weniger geeignet bin, einen Flüchtling zu entdecken. Doch möchte ich so gern die Schwester beruhigen. Es ist so hart vom schlimmen Constantin, ein so weiches Herz mit rauhen Händen anzufassen. Er hat sie so oft verletzt durch seine ab¬ scheuliche Opposition gegen die Gesetze des Herkömmli¬ chen, die seinem barocken Sinn nicht behagen. Den¬ noch liebt sie ihn mit einer Fürsorge, warm wie Maiensonne. O das Herz des Weibes ist reicher denn alle Welt, welche hineingeht, denn es liebt mit dieser Welt noch eine andere -- die besten von uns lieben kaum etwas von dieser.
das Repertoir in Unordnung gebracht. Ihre Pflege¬ mutter, die, Gott weiß, ob unterrichtet oder nicht, zu¬ rückgeblieben, iſt heulend und weinend zu Conſtantins Schweſter gekommen. Dieſe Frau Martha, denn ſo ſcheint ſie mir auszuſehen, hat auf Berlin gedeutet — Du haſt ja lebhafte Verbindungen dahin, thu doch raſch Alles Mögliche, um mir Klarheit für die arme Schwe¬ ſter zu verſchaffen. Du begreifſt, daß ich in meiner einſamen Wohnung, fern vom Getümmel des Stadtver¬ kehrs, mürriſch mit den bleichen Worten der Theologen redend, und in tiefſchattigen Schmerzen vergangener Herrlichkeit herumwandelnd weniger geeignet bin, einen Flüchtling zu entdecken. Doch möchte ich ſo gern die Schweſter beruhigen. Es iſt ſo hart vom ſchlimmen Conſtantin, ein ſo weiches Herz mit rauhen Händen anzufaſſen. Er hat ſie ſo oft verletzt durch ſeine ab¬ ſcheuliche Oppoſition gegen die Geſetze des Herkömmli¬ chen, die ſeinem barocken Sinn nicht behagen. Den¬ noch liebt ſie ihn mit einer Fürſorge, warm wie Maienſonne. O das Herz des Weibes iſt reicher denn alle Welt, welche hineingeht, denn es liebt mit dieſer Welt noch eine andere — die beſten von uns lieben kaum etwas von dieſer.
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das Repertoir in Unordnung gebracht. Ihre Pflege¬
mutter, die, Gott weiß, ob unterrichtet oder nicht, zu¬
rückgeblieben, iſt heulend und weinend zu Conſtantins
Schweſter gekommen. Dieſe Frau Martha, denn ſo
ſcheint ſie mir auszuſehen, hat auf Berlin gedeutet —
Du haſt ja lebhafte Verbindungen dahin, thu doch raſch
Alles Mögliche, um mir Klarheit für die arme Schwe¬
ſter zu verſchaffen. Du begreifſt, daß ich in meiner
einſamen Wohnung, fern vom Getümmel des Stadtver¬
kehrs, mürriſch mit den bleichen Worten der Theologen
redend, und in tiefſchattigen Schmerzen vergangener
Herrlichkeit herumwandelnd weniger geeignet bin, einen
Flüchtling zu entdecken. Doch möchte ich ſo gern die
Schweſter beruhigen. Es iſt ſo hart vom ſchlimmen
Conſtantin, ein ſo weiches Herz mit rauhen Händen
anzufaſſen. Er hat ſie ſo oft verletzt durch ſeine ab¬
ſcheuliche Oppoſition gegen die Geſetze des Herkömmli¬
chen, die ſeinem barocken Sinn nicht behagen. Den¬
noch liebt ſie ihn mit einer Fürſorge, warm wie
Maienſonne. O das Herz des Weibes iſt reicher denn
alle Welt, welche hineingeht, denn es liebt mit dieſer
Welt noch eine andere — die beſten von uns lieben
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/39>, abgerufen am 16.07.2024.
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