Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

keit endlich aufzurollen und mich einmal nach der Sonne
umzusehen. Wie ein bleicher Mann trat ich hervor aus
langer Kerkernacht in die bewegte Erde -- was Wun¬
der, daß ich ein wenig bestürzt war. Beinahe ein hal¬
bes Jahr ist es her, daß ich einsam auf meinem Gar¬
tenhause lebte, nur Euch sah ich zuweilen bei mir, nur
der Abend sah mich manchmal bei Euch, sonst hat mich
Niemand, sonst hab' ich Niemand gesehen. Ihr hattet mich
immer nur zurückgezogen gekannt; so lange wir zusam¬
men lebten, war ich völlig aus dem Getümmel der Welt
getreten. Ein Unterschied nur mußte Euch auffallen.
Früher suchtet Ihr mich oft vergebens in meiner Behau¬
sung; ich war oft nicht daheim. Ob Ihr es wißt, wo
ich war, was mich beschäftigte, weiß ich nicht; ich bin
Euern Fragen ausgewichen, ich habe nie geforscht, ob
Ihr geforscht. Wahrscheinlich indeß ists Dir nicht neu.
Ich liebte, Freund, und war bei ihr, die mich wieder
liebte. Nenn' es eine Schwäche oder wie Du willst:
das grelle Licht der Oeffentlichkeit blendet meine Augen,
wenn ich sie hineinsenken kann in das Auge der Liebe.
All mein Thun gehört der offnen Welt, aber meine Liebe
trag' ich scheu in den dunkelsten Hain; mein Herz er¬
schrickt, wenn es plötzlich vor aller Welt erscheinen soll

keit endlich aufzurollen und mich einmal nach der Sonne
umzuſehen. Wie ein bleicher Mann trat ich hervor aus
langer Kerkernacht in die bewegte Erde — was Wun¬
der, daß ich ein wenig beſtürzt war. Beinahe ein hal¬
bes Jahr iſt es her, daß ich einſam auf meinem Gar¬
tenhauſe lebte, nur Euch ſah ich zuweilen bei mir, nur
der Abend ſah mich manchmal bei Euch, ſonſt hat mich
Niemand, ſonſt hab' ich Niemand geſehen. Ihr hattet mich
immer nur zurückgezogen gekannt; ſo lange wir zuſam¬
men lebten, war ich völlig aus dem Getümmel der Welt
getreten. Ein Unterſchied nur mußte Euch auffallen.
Früher ſuchtet Ihr mich oft vergebens in meiner Behau¬
ſung; ich war oft nicht daheim. Ob Ihr es wißt, wo
ich war, was mich beſchäftigte, weiß ich nicht; ich bin
Euern Fragen ausgewichen, ich habe nie geforſcht, ob
Ihr geforſcht. Wahrſcheinlich indeß iſts Dir nicht neu.
Ich liebte, Freund, und war bei ihr, die mich wieder
liebte. Nenn' es eine Schwäche oder wie Du willſt:
das grelle Licht der Oeffentlichkeit blendet meine Augen,
wenn ich ſie hineinſenken kann in das Auge der Liebe.
All mein Thun gehört der offnen Welt, aber meine Liebe
trag' ich ſcheu in den dunkelſten Hain; mein Herz er¬
ſchrickt, wenn es plötzlich vor aller Welt erſcheinen ſoll

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0064" n="54"/>
keit endlich aufzurollen und mich einmal nach der Sonne<lb/>
umzu&#x017F;ehen. Wie ein bleicher Mann trat ich hervor aus<lb/>
langer Kerkernacht in die bewegte Erde &#x2014; was Wun¬<lb/>
der, daß ich ein wenig be&#x017F;türzt war. Beinahe ein hal¬<lb/>
bes Jahr i&#x017F;t es her, daß ich ein&#x017F;am auf meinem Gar¬<lb/>
tenhau&#x017F;e lebte, nur Euch &#x017F;ah ich zuweilen bei mir, nur<lb/>
der Abend &#x017F;ah mich manchmal bei Euch, &#x017F;on&#x017F;t hat mich<lb/>
Niemand, &#x017F;on&#x017F;t hab' ich Niemand ge&#x017F;ehen. Ihr hattet mich<lb/>
immer nur zurückgezogen gekannt; &#x017F;o lange wir zu&#x017F;am¬<lb/>
men lebten, war ich völlig aus dem Getümmel der Welt<lb/>
getreten. Ein Unter&#x017F;chied nur mußte Euch auffallen.<lb/>
Früher &#x017F;uchtet Ihr mich oft vergebens in meiner Behau¬<lb/>
&#x017F;ung; ich war oft nicht daheim. Ob Ihr es wißt, wo<lb/>
ich war, was mich be&#x017F;chäftigte, weiß ich nicht; ich bin<lb/>
Euern Fragen ausgewichen, ich habe nie gefor&#x017F;cht, ob<lb/>
Ihr gefor&#x017F;cht. Wahr&#x017F;cheinlich indeß i&#x017F;ts Dir nicht neu.<lb/>
Ich liebte, Freund, und war bei ihr, die mich wieder<lb/>
liebte. Nenn' es eine Schwäche oder wie Du will&#x017F;t:<lb/>
das grelle Licht der Oeffentlichkeit blendet meine Augen,<lb/>
wenn ich &#x017F;ie hinein&#x017F;enken kann in das Auge der Liebe.<lb/>
All mein Thun gehört der offnen Welt, aber meine Liebe<lb/>
trag' ich &#x017F;cheu in den dunkel&#x017F;ten Hain; mein Herz er¬<lb/>
&#x017F;chrickt, wenn es plötzlich vor aller Welt er&#x017F;cheinen &#x017F;oll<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0064] keit endlich aufzurollen und mich einmal nach der Sonne umzuſehen. Wie ein bleicher Mann trat ich hervor aus langer Kerkernacht in die bewegte Erde — was Wun¬ der, daß ich ein wenig beſtürzt war. Beinahe ein hal¬ bes Jahr iſt es her, daß ich einſam auf meinem Gar¬ tenhauſe lebte, nur Euch ſah ich zuweilen bei mir, nur der Abend ſah mich manchmal bei Euch, ſonſt hat mich Niemand, ſonſt hab' ich Niemand geſehen. Ihr hattet mich immer nur zurückgezogen gekannt; ſo lange wir zuſam¬ men lebten, war ich völlig aus dem Getümmel der Welt getreten. Ein Unterſchied nur mußte Euch auffallen. Früher ſuchtet Ihr mich oft vergebens in meiner Behau¬ ſung; ich war oft nicht daheim. Ob Ihr es wißt, wo ich war, was mich beſchäftigte, weiß ich nicht; ich bin Euern Fragen ausgewichen, ich habe nie geforſcht, ob Ihr geforſcht. Wahrſcheinlich indeß iſts Dir nicht neu. Ich liebte, Freund, und war bei ihr, die mich wieder liebte. Nenn' es eine Schwäche oder wie Du willſt: das grelle Licht der Oeffentlichkeit blendet meine Augen, wenn ich ſie hineinſenken kann in das Auge der Liebe. All mein Thun gehört der offnen Welt, aber meine Liebe trag' ich ſcheu in den dunkelſten Hain; mein Herz er¬ ſchrickt, wenn es plötzlich vor aller Welt erſcheinen ſoll

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/64
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/64>, abgerufen am 27.11.2024.