Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

ich wußte wenigstens nichts davon, und meine modrige
Wissenschaft paßte nicht dazu. Auf ihrem Schooße schrieb
ich jene Lieder, die ich Euch im Vereine las, und weil
wir im täglichen Abschiednehmen lebten, so waren sie
im höchsten Glück so tragisch, ein schlagendes Herz, mit¬
ten durchschossen vom tödtlichen Pfeil. Clara's Schicksal
war unwiderruflich bestimmt und entschieden durch ihren
Vater. Wie einen Gott liebte sie diesen Vater; sie wollte
für mich sterben, aber nie mein Glück mit ihr in feind¬
licher Opposition gegen diesen Vater durchsetzen. Jeder
Versuch, das Geschick zu wenden, scheiterte an ihrer
eisernen Festigkeit. Es hat mich diese Festigkeit viel
Schmerz gekostet. Ich sah sie vernichtet zusammenbrechen,
als diese vorgeschriebne Bestimmung erfüllt werden mußte;
ich sah sie zerbrochen und leblos vor mir; -- aber nicht
das leiseste Wort eines Aenderungsversuchs ist je über
ihre Lippen gekommen.

Der Zufall hatte mich mit ihr zusammengeführt;
sie fürchtete sich anfänglich vor mir. Ich war bestürzt
über ihre Anmuth, es war eine rührende Schönheit,
die meinen ganzen Menschen erweichte. Ich sah sie eine
Woche lang täglich und wir wußten beide nicht, was
wir wollten. Ihre Furcht hatte bald dem Extreme, ei¬

ich wußte wenigſtens nichts davon, und meine modrige
Wiſſenſchaft paßte nicht dazu. Auf ihrem Schooße ſchrieb
ich jene Lieder, die ich Euch im Vereine las, und weil
wir im täglichen Abſchiednehmen lebten, ſo waren ſie
im höchſten Glück ſo tragiſch, ein ſchlagendes Herz, mit¬
ten durchſchoſſen vom tödtlichen Pfeil. Clara's Schickſal
war unwiderruflich beſtimmt und entſchieden durch ihren
Vater. Wie einen Gott liebte ſie dieſen Vater; ſie wollte
für mich ſterben, aber nie mein Glück mit ihr in feind¬
licher Oppoſition gegen dieſen Vater durchſetzen. Jeder
Verſuch, das Geſchick zu wenden, ſcheiterte an ihrer
eiſernen Feſtigkeit. Es hat mich dieſe Feſtigkeit viel
Schmerz gekoſtet. Ich ſah ſie vernichtet zuſammenbrechen,
als dieſe vorgeſchriebne Beſtimmung erfüllt werden mußte;
ich ſah ſie zerbrochen und leblos vor mir; — aber nicht
das leiſeſte Wort eines Aenderungsverſuchs iſt je über
ihre Lippen gekommen.

Der Zufall hatte mich mit ihr zuſammengeführt;
ſie fürchtete ſich anfänglich vor mir. Ich war beſtürzt
über ihre Anmuth, es war eine rührende Schönheit,
die meinen ganzen Menſchen erweichte. Ich ſah ſie eine
Woche lang täglich und wir wußten beide nicht, was
wir wollten. Ihre Furcht hatte bald dem Extreme, ei¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0066" n="56"/>
ich wußte wenig&#x017F;tens nichts davon, und meine modrige<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft paßte nicht dazu. Auf ihrem Schooße &#x017F;chrieb<lb/>
ich jene Lieder, die ich Euch im Vereine las, und weil<lb/>
wir im täglichen Ab&#x017F;chiednehmen lebten, &#x017F;o waren &#x017F;ie<lb/>
im höch&#x017F;ten Glück &#x017F;o tragi&#x017F;ch, ein &#x017F;chlagendes Herz, mit¬<lb/>
ten durch&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en vom tödtlichen Pfeil. Clara's Schick&#x017F;al<lb/>
war unwiderruflich be&#x017F;timmt und ent&#x017F;chieden durch ihren<lb/>
Vater. Wie einen Gott liebte &#x017F;ie die&#x017F;en Vater; &#x017F;ie wollte<lb/>
für mich &#x017F;terben, aber nie mein Glück mit ihr in feind¬<lb/>
licher Oppo&#x017F;ition gegen die&#x017F;en Vater durch&#x017F;etzen. Jeder<lb/>
Ver&#x017F;uch, das Ge&#x017F;chick zu wenden, &#x017F;cheiterte an ihrer<lb/>
ei&#x017F;ernen Fe&#x017F;tigkeit. Es hat mich die&#x017F;e Fe&#x017F;tigkeit viel<lb/>
Schmerz geko&#x017F;tet. Ich &#x017F;ah &#x017F;ie vernichtet zu&#x017F;ammenbrechen,<lb/>
als die&#x017F;e vorge&#x017F;chriebne Be&#x017F;timmung erfüllt werden mußte;<lb/>
ich &#x017F;ah &#x017F;ie zerbrochen und leblos vor mir; &#x2014; aber nicht<lb/>
das lei&#x017F;e&#x017F;te Wort eines Aenderungsver&#x017F;uchs i&#x017F;t je über<lb/>
ihre Lippen gekommen.</p><lb/>
          <p>Der Zufall hatte mich mit ihr zu&#x017F;ammengeführt;<lb/>
&#x017F;ie fürchtete &#x017F;ich anfänglich vor mir. Ich war be&#x017F;türzt<lb/>
über ihre Anmuth, es war eine rührende Schönheit,<lb/>
die meinen ganzen Men&#x017F;chen erweichte. Ich &#x017F;ah &#x017F;ie eine<lb/>
Woche lang täglich und wir wußten beide nicht, was<lb/>
wir wollten. Ihre Furcht hatte bald dem Extreme, ei¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0066] ich wußte wenigſtens nichts davon, und meine modrige Wiſſenſchaft paßte nicht dazu. Auf ihrem Schooße ſchrieb ich jene Lieder, die ich Euch im Vereine las, und weil wir im täglichen Abſchiednehmen lebten, ſo waren ſie im höchſten Glück ſo tragiſch, ein ſchlagendes Herz, mit¬ ten durchſchoſſen vom tödtlichen Pfeil. Clara's Schickſal war unwiderruflich beſtimmt und entſchieden durch ihren Vater. Wie einen Gott liebte ſie dieſen Vater; ſie wollte für mich ſterben, aber nie mein Glück mit ihr in feind¬ licher Oppoſition gegen dieſen Vater durchſetzen. Jeder Verſuch, das Geſchick zu wenden, ſcheiterte an ihrer eiſernen Feſtigkeit. Es hat mich dieſe Feſtigkeit viel Schmerz gekoſtet. Ich ſah ſie vernichtet zuſammenbrechen, als dieſe vorgeſchriebne Beſtimmung erfüllt werden mußte; ich ſah ſie zerbrochen und leblos vor mir; — aber nicht das leiſeſte Wort eines Aenderungsverſuchs iſt je über ihre Lippen gekommen. Der Zufall hatte mich mit ihr zuſammengeführt; ſie fürchtete ſich anfänglich vor mir. Ich war beſtürzt über ihre Anmuth, es war eine rührende Schönheit, die meinen ganzen Menſchen erweichte. Ich ſah ſie eine Woche lang täglich und wir wußten beide nicht, was wir wollten. Ihre Furcht hatte bald dem Extreme, ei¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/66
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/66>, abgerufen am 17.05.2024.