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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

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Herzens hast Du vergessen, die in Jahren, Jahrzehnden
und Jahrhunderten schreitet, weil Dein Herz plötzlich zu¬
sammengeschrumpft ist.

Diese mangelhafte Gesellschaftsanschauung entreißt
unserer sich wiedergebährenden Zeit manch braven Mann,
seine Kraft reicht nicht aus für den fortwährenden Un¬
tersuchungs- und Anklagestand, die Eitelkeit überkommt
ihn und erklärt lieber das Ganze für einen Irrthum,
als sich für schwach. Der nur wird ein großer Feld¬
herr, der die Massen zu beurtheilen versteht, der nur
ein großer Historiker, der die Zeitmassen in seinem Geiste
aufzunehmen und zu beherrschen vermag. Wenn Na¬
poleon an der Brücke von Lodi tausend von seinen Gre¬
nadieren schonte, so drang das freiheitsmörderische
Oesterreich vielleicht nach Frankreich und Millionen wur¬
den um die Freiheit gebracht, welche in Frankreich auf¬
wuchs für die Welt. Jahrzehnte des alten Jammers
kehrten wieder.

Da das Handgemenge um die Freiheit begonnen
hat, alle Triebe, Begriffe, Wissenschaften, Künste in
dieses Handgemenge verwickelt sind, schreist Du mit
schwacher Stimme "Ordnung -- Ordnung," und weil
es nichts hilft, wirfst Du Dich weinend an den Bo¬

Herzens haſt Du vergeſſen, die in Jahren, Jahrzehnden
und Jahrhunderten ſchreitet, weil Dein Herz plötzlich zu¬
ſammengeſchrumpft iſt.

Dieſe mangelhafte Geſellſchaftsanſchauung entreißt
unſerer ſich wiedergebährenden Zeit manch braven Mann,
ſeine Kraft reicht nicht aus für den fortwährenden Un¬
terſuchungs- und Anklageſtand, die Eitelkeit überkommt
ihn und erklärt lieber das Ganze für einen Irrthum,
als ſich für ſchwach. Der nur wird ein großer Feld¬
herr, der die Maſſen zu beurtheilen verſteht, der nur
ein großer Hiſtoriker, der die Zeitmaſſen in ſeinem Geiſte
aufzunehmen und zu beherrſchen vermag. Wenn Na¬
poleon an der Brücke von Lodi tauſend von ſeinen Gre¬
nadieren ſchonte, ſo drang das freiheitsmörderiſche
Oeſterreich vielleicht nach Frankreich und Millionen wur¬
den um die Freiheit gebracht, welche in Frankreich auf¬
wuchs für die Welt. Jahrzehnte des alten Jammers
kehrten wieder.

Da das Handgemenge um die Freiheit begonnen
hat, alle Triebe, Begriffe, Wiſſenſchaften, Künſte in
dieſes Handgemenge verwickelt ſind, ſchreiſt Du mit
ſchwacher Stimme „Ordnung — Ordnung,“ und weil
es nichts hilft, wirfſt Du Dich weinend an den Bo¬

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[98/0110] Herzens haſt Du vergeſſen, die in Jahren, Jahrzehnden und Jahrhunderten ſchreitet, weil Dein Herz plötzlich zu¬ ſammengeſchrumpft iſt. Dieſe mangelhafte Geſellſchaftsanſchauung entreißt unſerer ſich wiedergebährenden Zeit manch braven Mann, ſeine Kraft reicht nicht aus für den fortwährenden Un¬ terſuchungs- und Anklageſtand, die Eitelkeit überkommt ihn und erklärt lieber das Ganze für einen Irrthum, als ſich für ſchwach. Der nur wird ein großer Feld¬ herr, der die Maſſen zu beurtheilen verſteht, der nur ein großer Hiſtoriker, der die Zeitmaſſen in ſeinem Geiſte aufzunehmen und zu beherrſchen vermag. Wenn Na¬ poleon an der Brücke von Lodi tauſend von ſeinen Gre¬ nadieren ſchonte, ſo drang das freiheitsmörderiſche Oeſterreich vielleicht nach Frankreich und Millionen wur¬ den um die Freiheit gebracht, welche in Frankreich auf¬ wuchs für die Welt. Jahrzehnte des alten Jammers kehrten wieder. Da das Handgemenge um die Freiheit begonnen hat, alle Triebe, Begriffe, Wiſſenſchaften, Künſte in dieſes Handgemenge verwickelt ſind, ſchreiſt Du mit ſchwacher Stimme „Ordnung — Ordnung,“ und weil es nichts hilft, wirfſt Du Dich weinend an den Bo¬

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/110>, abgerufen am 17.05.2024.