lehnte sich an die Rückseite des Stuhls und war ohn¬ mächtig. Ihre Augen blieben offen, kein Mensch au¬ ßer mir kannte ihren Zustand. Die Kellner präsentir¬ ten ihr die Speisen, ich dankte statt ihrer. Mein wil¬ der Mensch hatte Lust, sich über das Ereigniß zu freuen, und wollte eben die unwohl gewordene Dame auf ihr Zimmer bringen lassen, um die wieder lebendige in ihrer Schwäche zu erobern. Der alte stolze Hyppolit schämt sich dieses jämmerlichen Gedankens, aber die Liebe hat die alte Kraft zermalmt. In dem Augen¬ blicke tritt ein Kellner zu mir und berichtet, daß eine Dame, welche im Hause wohne, meinen Namen er¬ fahren und mich fragen lasse, ob ich derselbe sei, wel¬ cher die Schauspielerin Desdemona gekannt habe. Diese liege krank in selbigem Hotel darnieder, und wünsche sehnlich mich zu sprechen. In eine verödete Gegend meines Herzens schlug dieser Blitz, und entzündete sie von einem Ende zum andern. Julia hatte sich erholt, ich führte sie aus dem Saale, küßte sie auf das ge¬ brochene Auge und flog davon, Desdemonas Zim¬ mer suchend.
O was erlebte ich! Mein gestähltes Innere bog sich wie ein Baumzweig. Bleich, ein Bild des zerstö¬
lehnte ſich an die Rückſeite des Stuhls und war ohn¬ mächtig. Ihre Augen blieben offen, kein Menſch au¬ ßer mir kannte ihren Zuſtand. Die Kellner präſentir¬ ten ihr die Speiſen, ich dankte ſtatt ihrer. Mein wil¬ der Menſch hatte Luſt, ſich über das Ereigniß zu freuen, und wollte eben die unwohl gewordene Dame auf ihr Zimmer bringen laſſen, um die wieder lebendige in ihrer Schwäche zu erobern. Der alte ſtolze Hyppolit ſchämt ſich dieſes jämmerlichen Gedankens, aber die Liebe hat die alte Kraft zermalmt. In dem Augen¬ blicke tritt ein Kellner zu mir und berichtet, daß eine Dame, welche im Hauſe wohne, meinen Namen er¬ fahren und mich fragen laſſe, ob ich derſelbe ſei, wel¬ cher die Schauſpielerin Desdemona gekannt habe. Dieſe liege krank in ſelbigem Hotel darnieder, und wünſche ſehnlich mich zu ſprechen. In eine verödete Gegend meines Herzens ſchlug dieſer Blitz, und entzündete ſie von einem Ende zum andern. Julia hatte ſich erholt, ich führte ſie aus dem Saale, küßte ſie auf das ge¬ brochene Auge und flog davon, Desdemonas Zim¬ mer ſuchend.
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lehnte ſich an die Rückſeite des Stuhls und war ohn¬
mächtig. Ihre Augen blieben offen, kein Menſch au¬
ßer mir kannte ihren Zuſtand. Die Kellner präſentir¬
ten ihr die Speiſen, ich dankte ſtatt ihrer. Mein wil¬
der Menſch hatte Luſt, ſich über das Ereigniß zu freuen,
und wollte eben die unwohl gewordene Dame auf ihr
Zimmer bringen laſſen, um die wieder lebendige in
ihrer Schwäche zu erobern. Der alte ſtolze Hyppolit
ſchämt ſich dieſes jämmerlichen Gedankens, aber die
Liebe hat die alte Kraft zermalmt. In dem Augen¬
blicke tritt ein Kellner zu mir und berichtet, daß eine
Dame, welche im Hauſe wohne, meinen Namen er¬
fahren und mich fragen laſſe, ob ich derſelbe ſei, wel¬
cher die Schauſpielerin Desdemona gekannt habe. Dieſe
liege krank in ſelbigem Hotel darnieder, und wünſche
ſehnlich mich zu ſprechen. In eine verödete Gegend
meines Herzens ſchlug dieſer Blitz, und entzündete ſie
von einem Ende zum andern. Julia hatte ſich erholt,
ich führte ſie aus dem Saale, küßte ſie auf das ge¬
brochene Auge und flog davon, Desdemonas Zim¬
mer ſuchend.
O was erlebte ich! Mein geſtähltes Innere bog
ſich wie ein Baumzweig. Bleich, ein Bild des zerſtö¬
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/156>, abgerufen am 25.02.2025.
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