Du schreibst mir nicht, Freund, weil Du wahrschein¬ lich mir und meiner Sinnesänderung zürnst. Warum lässest Du Dir die Gelegenheit entgehen, auf eine Krisis einzuwirken, und in einer solchen befind' ich mich doch zuverläßig. Rette an mir was zu retten ist, ich fühle, wie mir Alles unter den Händen verschwindet; ich fange an, den Schicksalstragödien zu glauben, es denkt und lös't ein fremder Geist in mir. Du gehörst ja doch sonst nicht zu der platt republicanischen Partei, Du warst ja, wahrhaftig so war's, oft genug mein Gegner; Du ge¬ stattest ja Entwickelungsgang, Modification etc. -- Sollte denn an mir gar nichts mehr zu brauchen sein? Hyp¬ polit ist da und trägt mir eigentlich auf, an Dich zu schreiben, er selbst schreibt keine Zeile: entweder tobt er herum oder liegt starr ausgestreckt da und schweigt. Meine politische Sinnesänderung, die ich ihm mittheilte, nahm er mit tödtlichem Schweigen auf; es erkältete, ja entsetzte mich durch und durch, als er mit untergeschla¬ genen Armen vor mir stehend mit den schwarzen tief¬
II. 8
39. Constantin an Valerius.
Du ſchreibſt mir nicht, Freund, weil Du wahrſchein¬ lich mir und meiner Sinnesänderung zürnſt. Warum läſſeſt Du Dir die Gelegenheit entgehen, auf eine Kriſis einzuwirken, und in einer ſolchen befind' ich mich doch zuverläßig. Rette an mir was zu retten iſt, ich fühle, wie mir Alles unter den Händen verſchwindet; ich fange an, den Schickſalstragödien zu glauben, es denkt und löſ't ein fremder Geiſt in mir. Du gehörſt ja doch ſonſt nicht zu der platt republicaniſchen Partei, Du warſt ja, wahrhaftig ſo war's, oft genug mein Gegner; Du ge¬ ſtatteſt ja Entwickelungsgang, Modification ꝛc. — Sollte denn an mir gar nichts mehr zu brauchen ſein? Hyp¬ polit iſt da und trägt mir eigentlich auf, an Dich zu ſchreiben, er ſelbſt ſchreibt keine Zeile: entweder tobt er herum oder liegt ſtarr ausgeſtreckt da und ſchweigt. Meine politiſche Sinnesänderung, die ich ihm mittheilte, nahm er mit tödtlichem Schweigen auf; es erkältete, ja entſetzte mich durch und durch, als er mit untergeſchla¬ genen Armen vor mir ſtehend mit den ſchwarzen tief¬
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39.
Constantin an Valerius.
Du ſchreibſt mir nicht, Freund, weil Du wahrſchein¬
lich mir und meiner Sinnesänderung zürnſt. Warum
läſſeſt Du Dir die Gelegenheit entgehen, auf eine Kriſis
einzuwirken, und in einer ſolchen befind' ich mich doch
zuverläßig. Rette an mir was zu retten iſt, ich fühle,
wie mir Alles unter den Händen verſchwindet; ich fange
an, den Schickſalstragödien zu glauben, es denkt und
löſ't ein fremder Geiſt in mir. Du gehörſt ja doch ſonſt
nicht zu der platt republicaniſchen Partei, Du warſt ja,
wahrhaftig ſo war's, oft genug mein Gegner; Du ge¬
ſtatteſt ja Entwickelungsgang, Modification ꝛc. — Sollte
denn an mir gar nichts mehr zu brauchen ſein? Hyp¬
polit iſt da und trägt mir eigentlich auf, an Dich zu
ſchreiben, er ſelbſt ſchreibt keine Zeile: entweder tobt er
herum oder liegt ſtarr ausgeſtreckt da und ſchweigt.
Meine politiſche Sinnesänderung, die ich ihm mittheilte,
nahm er mit tödtlichem Schweigen auf; es erkältete, ja
entſetzte mich durch und durch, als er mit untergeſchla¬
genen Armen vor mir ſtehend mit den ſchwarzen tief¬
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/181>, abgerufen am 25.02.2025.
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