Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.einer zeitgemäßen Religion? Die Religion einer jeden einer zeitgemäßen Religion? Die Religion einer jeden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0090" n="78"/> einer zeitgemäßen Religion? Die Religion einer jeden<lb/> Zeit iſt die zeitgemäße. Du raiſonnirſt über die Pfaf¬<lb/> fen, die ſich ſo gemächlich in ihrem alten Dachsbau<lb/> bewegen und willſt doch am Ende einen neuen <hi rendition="#aq">dito</hi><lb/> anlegen. Sowie man über Religion ſpricht und ſchreibt,<lb/> kommt gewiß etwas Verkehrtes heraus, was dem Spre¬<lb/> chenden oder Schreibenden fremd iſt; es geht einem wie<lb/> der Kaſſandra, aber anders, die Worte werden im<lb/> Munde verdreht. Es iſt, als ſollte man dergleichen<lb/> nicht beſprechen wie die nächſte Wollſchur oder Weinleſe.<lb/> Wenn ich an einem ſchönen Tage oder auch in einem<lb/> anſtändigen trocknen Sturme mit offnem Rock ſpaziren<lb/> gehe, in ein friedliches Menſchenantlitz ſehe; wenn ich<lb/> eine tüchtige, nicht nach Knalleffekt haſchende Muſik höre,<lb/> ein duftiges Gemälde oder eine Statue mit reinen ſchö¬<lb/> nen Formen anblicke; wenn ich endlich eine recht lu¬<lb/> ſtige, ſich ganz gehen laſſende Geſellſchaft ſehe: da weiß<lb/> ich ſo klar mit und in dem Himmel Beſcheid, daß es<lb/> eine wahre Freude iſt. Sowie ich dagegen noch ſo ge¬<lb/> ſammelt, durchgeſehen und verbeſſert von Gott, Reli¬<lb/> gion ꝛc. ſpreche oder ſchreibe, flugs iſt eine Albernheit<lb/> mehr in der Welt. Auch mir war noch vor Kurzem das<lb/> Chriſtenthum als Conglomerat von Dogmen nichts mehr<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [78/0090]
einer zeitgemäßen Religion? Die Religion einer jeden
Zeit iſt die zeitgemäße. Du raiſonnirſt über die Pfaf¬
fen, die ſich ſo gemächlich in ihrem alten Dachsbau
bewegen und willſt doch am Ende einen neuen dito
anlegen. Sowie man über Religion ſpricht und ſchreibt,
kommt gewiß etwas Verkehrtes heraus, was dem Spre¬
chenden oder Schreibenden fremd iſt; es geht einem wie
der Kaſſandra, aber anders, die Worte werden im
Munde verdreht. Es iſt, als ſollte man dergleichen
nicht beſprechen wie die nächſte Wollſchur oder Weinleſe.
Wenn ich an einem ſchönen Tage oder auch in einem
anſtändigen trocknen Sturme mit offnem Rock ſpaziren
gehe, in ein friedliches Menſchenantlitz ſehe; wenn ich
eine tüchtige, nicht nach Knalleffekt haſchende Muſik höre,
ein duftiges Gemälde oder eine Statue mit reinen ſchö¬
nen Formen anblicke; wenn ich endlich eine recht lu¬
ſtige, ſich ganz gehen laſſende Geſellſchaft ſehe: da weiß
ich ſo klar mit und in dem Himmel Beſcheid, daß es
eine wahre Freude iſt. Sowie ich dagegen noch ſo ge¬
ſammelt, durchgeſehen und verbeſſert von Gott, Reli¬
gion ꝛc. ſpreche oder ſchreibe, flugs iſt eine Albernheit
mehr in der Welt. Auch mir war noch vor Kurzem das
Chriſtenthum als Conglomerat von Dogmen nichts mehr
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