Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Diese Erscheinung unumwundner Sprache bei
einem allgemeinen Charakter, wie er sich eben an
jenem ersten Redner und jenen insurgirenden Bauern
herausgestellt hat, darf nicht verwundern. Der
Muth ist keinen Gesetzen unterworfen, und jener
tollkühne Muth belebte einen großen Theil der damals
thätigen polnischen Jugend, die sich im vierten
Regimente koncentrirte. Jener Muth übersprang
selbst die national gewordenen Eigenthümlichkeiten.

Diese Rede erregte einen tosenden Lärm, und
sie ward eigentlich nicht zu Ende gebracht, sondern
der immer höher steigende Sturm übertäubte sie --
es lebe Driwiecki -- der Name des Redners --
es lebe Polen! braus'te der Lärmen durcheinander,
und besänftigte sich nur zur Regelmäßigkeit, indem
er in den donnernden Gesang des bekannten Volks-
liedes "Noch ist Polen nicht verloren" überging.

Valerius sah die Bauern außer sich vor Bewe-
gung, Thränen liefen ihnen in die Bärte, und sie
umarmten und küßten sich stürmisch.

Er wollte den Saal verlassen. Unweit der Thür
sah er im Dunkeln einen Mann stehn, der abge-
sondert von allen Uebrigen dem Sturme der Begei-

Dieſe Erſcheinung unumwundner Sprache bei
einem allgemeinen Charakter, wie er ſich eben an
jenem erſten Redner und jenen inſurgirenden Bauern
herausgeſtellt hat, darf nicht verwundern. Der
Muth iſt keinen Geſetzen unterworfen, und jener
tollkühne Muth belebte einen großen Theil der damals
thätigen polniſchen Jugend, die ſich im vierten
Regimente koncentrirte. Jener Muth überſprang
ſelbſt die national gewordenen Eigenthümlichkeiten.

Dieſe Rede erregte einen toſenden Lärm, und
ſie ward eigentlich nicht zu Ende gebracht, ſondern
der immer höher ſteigende Sturm übertäubte ſie —
es lebe Driwiecki — der Name des Redners —
es lebe Polen! brauſ’te der Lärmen durcheinander,
und beſänftigte ſich nur zur Regelmäßigkeit, indem
er in den donnernden Geſang des bekannten Volks-
liedes „Noch iſt Polen nicht verloren“ überging.

Valerius ſah die Bauern außer ſich vor Bewe-
gung, Thränen liefen ihnen in die Bärte, und ſie
umarmten und küßten ſich ſtürmiſch.

Er wollte den Saal verlaſſen. Unweit der Thür
ſah er im Dunkeln einen Mann ſtehn, der abge-
ſondert von allen Uebrigen dem Sturme der Begei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0154" n="144"/>
          <p>Die&#x017F;e Er&#x017F;cheinung unumwundner Sprache bei<lb/>
einem allgemeinen Charakter, wie er &#x017F;ich eben an<lb/>
jenem er&#x017F;ten Redner und jenen in&#x017F;urgirenden Bauern<lb/>
herausge&#x017F;tellt hat, darf nicht verwundern. Der<lb/>
Muth i&#x017F;t keinen Ge&#x017F;etzen unterworfen, und jener<lb/>
tollkühne Muth belebte einen großen Theil der damals<lb/>
thätigen polni&#x017F;chen Jugend, die &#x017F;ich im vierten<lb/>
Regimente koncentrirte. Jener Muth über&#x017F;prang<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t die national gewordenen Eigenthümlichkeiten.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Rede erregte einen to&#x017F;enden Lärm, und<lb/>
&#x017F;ie ward eigentlich nicht zu Ende gebracht, &#x017F;ondern<lb/>
der immer höher &#x017F;teigende Sturm übertäubte &#x017F;ie &#x2014;<lb/>
es lebe Driwiecki &#x2014; der Name des Redners &#x2014;<lb/>
es lebe Polen! brau&#x017F;&#x2019;te der Lärmen durcheinander,<lb/>
und be&#x017F;änftigte &#x017F;ich nur zur Regelmäßigkeit, indem<lb/>
er in den donnernden Ge&#x017F;ang des bekannten Volks-<lb/>
liedes &#x201E;Noch i&#x017F;t Polen nicht verloren&#x201C; überging.</p><lb/>
          <p>Valerius &#x017F;ah die Bauern außer &#x017F;ich vor Bewe-<lb/>
gung, Thränen liefen ihnen in die Bärte, und &#x017F;ie<lb/>
umarmten und küßten &#x017F;ich &#x017F;türmi&#x017F;ch.</p><lb/>
          <p>Er wollte den Saal verla&#x017F;&#x017F;en. Unweit der Thür<lb/>
&#x017F;ah er im Dunkeln einen Mann &#x017F;tehn, der abge-<lb/>
&#x017F;ondert von allen Uebrigen dem Sturme der Begei-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0154] Dieſe Erſcheinung unumwundner Sprache bei einem allgemeinen Charakter, wie er ſich eben an jenem erſten Redner und jenen inſurgirenden Bauern herausgeſtellt hat, darf nicht verwundern. Der Muth iſt keinen Geſetzen unterworfen, und jener tollkühne Muth belebte einen großen Theil der damals thätigen polniſchen Jugend, die ſich im vierten Regimente koncentrirte. Jener Muth überſprang ſelbſt die national gewordenen Eigenthümlichkeiten. Dieſe Rede erregte einen toſenden Lärm, und ſie ward eigentlich nicht zu Ende gebracht, ſondern der immer höher ſteigende Sturm übertäubte ſie — es lebe Driwiecki — der Name des Redners — es lebe Polen! brauſ’te der Lärmen durcheinander, und beſänftigte ſich nur zur Regelmäßigkeit, indem er in den donnernden Geſang des bekannten Volks- liedes „Noch iſt Polen nicht verloren“ überging. Valerius ſah die Bauern außer ſich vor Bewe- gung, Thränen liefen ihnen in die Bärte, und ſie umarmten und küßten ſich ſtürmiſch. Er wollte den Saal verlaſſen. Unweit der Thür ſah er im Dunkeln einen Mann ſtehn, der abge- ſondert von allen Uebrigen dem Sturme der Begei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/154
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/154>, abgerufen am 04.12.2024.