Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Hedwig war nicht daheim gewesen, der alte Graf
hatte ihn mit der ihm eignen schnöden Rohheit
behandelt.

"Es war ein schwerer Abend, als ich aus
Hedwigs Hause trat, ohne sie gesehen zu haben,
und mein Gedächtniß die häßlichen Worte des Va-
ters nicht vergessen konnte. Sie trafen mich damals
in der Nacht -- ich hatte die Heimkehr meines
Mädchens erwartet, ich wollte nur ihren Schatten
sehen. Und ach, mein Freund, das waren noch
glückliche Zeiten!"

"Sehen Sie, es quälte mich zu Tode, ihre
Augen nicht mehr sehen zu können, und heute ging
ich wieder hin in jenes Haus. Jch fand sie, ich
sprach sie, ach, und das Herz, das tiefgequälte,
trat mir auf die Lippen, ich erzählte ihr all
meine Freude, all mein Leid an ihr -- Herr, ich
lag vor ihr auf den Knieen, und bat um Leben
oder Tod. Hedwig fuhr mir mit der Hand über
die Locken, und bat mich, nicht so heftig zu sein,
und aufzustehn, Vater und Großmutter seien im
Nebenzimmer. Aber die Welt war für mich ver-
schwunden, ich ließ ihre Hand nicht mehr los, und

Hedwig war nicht daheim geweſen, der alte Graf
hatte ihn mit der ihm eignen ſchnöden Rohheit
behandelt.

„Es war ein ſchwerer Abend, als ich aus
Hedwigs Hauſe trat, ohne ſie geſehen zu haben,
und mein Gedächtniß die häßlichen Worte des Va-
ters nicht vergeſſen konnte. Sie trafen mich damals
in der Nacht — ich hatte die Heimkehr meines
Mädchens erwartet, ich wollte nur ihren Schatten
ſehen. Und ach, mein Freund, das waren noch
glückliche Zeiten!“

„Sehen Sie, es quälte mich zu Tode, ihre
Augen nicht mehr ſehen zu können, und heute ging
ich wieder hin in jenes Haus. Jch fand ſie, ich
ſprach ſie, ach, und das Herz, das tiefgequälte,
trat mir auf die Lippen, ich erzählte ihr all
meine Freude, all mein Leid an ihr — Herr, ich
lag vor ihr auf den Knieen, und bat um Leben
oder Tod. Hedwig fuhr mir mit der Hand über
die Locken, und bat mich, nicht ſo heftig zu ſein,
und aufzuſtehn, Vater und Großmutter ſeien im
Nebenzimmer. Aber die Welt war für mich ver-
ſchwunden, ich ließ ihre Hand nicht mehr los, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0245" n="235"/>
Hedwig war nicht daheim gewe&#x017F;en, der alte Graf<lb/>
hatte ihn mit der ihm eignen &#x017F;chnöden Rohheit<lb/>
behandelt.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Es war ein &#x017F;chwerer Abend, als ich aus<lb/>
Hedwigs Hau&#x017F;e trat, ohne &#x017F;ie ge&#x017F;ehen zu haben,<lb/>
und mein Gedächtniß die häßlichen Worte des Va-<lb/>
ters nicht verge&#x017F;&#x017F;en konnte. Sie trafen mich damals<lb/>
in der Nacht &#x2014; ich hatte die Heimkehr meines<lb/>
Mädchens erwartet, ich wollte nur ihren Schatten<lb/>
&#x017F;ehen. Und ach, mein Freund, das waren noch<lb/>
glückliche Zeiten!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sehen Sie, es quälte mich zu Tode, ihre<lb/>
Augen nicht mehr &#x017F;ehen zu können, und heute ging<lb/>
ich wieder hin in jenes Haus. Jch fand &#x017F;ie, ich<lb/>
&#x017F;prach &#x017F;ie, ach, und das Herz, das tiefgequälte,<lb/>
trat mir auf die Lippen, ich erzählte ihr all<lb/>
meine Freude, all mein Leid an ihr &#x2014; Herr, ich<lb/>
lag vor ihr auf den Knieen, und bat um Leben<lb/>
oder Tod. Hedwig fuhr mir mit der Hand über<lb/>
die Locken, und bat mich, nicht &#x017F;o heftig zu &#x017F;ein,<lb/>
und aufzu&#x017F;tehn, Vater und Großmutter &#x017F;eien im<lb/>
Nebenzimmer. Aber die Welt war für mich ver-<lb/>
&#x017F;chwunden, ich ließ ihre Hand nicht mehr los, und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0245] Hedwig war nicht daheim geweſen, der alte Graf hatte ihn mit der ihm eignen ſchnöden Rohheit behandelt. „Es war ein ſchwerer Abend, als ich aus Hedwigs Hauſe trat, ohne ſie geſehen zu haben, und mein Gedächtniß die häßlichen Worte des Va- ters nicht vergeſſen konnte. Sie trafen mich damals in der Nacht — ich hatte die Heimkehr meines Mädchens erwartet, ich wollte nur ihren Schatten ſehen. Und ach, mein Freund, das waren noch glückliche Zeiten!“ „Sehen Sie, es quälte mich zu Tode, ihre Augen nicht mehr ſehen zu können, und heute ging ich wieder hin in jenes Haus. Jch fand ſie, ich ſprach ſie, ach, und das Herz, das tiefgequälte, trat mir auf die Lippen, ich erzählte ihr all meine Freude, all mein Leid an ihr — Herr, ich lag vor ihr auf den Knieen, und bat um Leben oder Tod. Hedwig fuhr mir mit der Hand über die Locken, und bat mich, nicht ſo heftig zu ſein, und aufzuſtehn, Vater und Großmutter ſeien im Nebenzimmer. Aber die Welt war für mich ver- ſchwunden, ich ließ ihre Hand nicht mehr los, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/245
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/245>, abgerufen am 27.05.2024.