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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837.

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der über mich herfiel, erstickte ihn. Noch hielt ich
Hedwigs Hand fest, so fest, wie ich jetzt die
Jhrige halte, ich wollte sie dem tückischen Schick-
sale nicht frei geben, noch lag ich vor ihr auf den
Knieen -- da hört' ich ein wunderbares Gekreisch
hinter mir, und die Henkersstimme des alten Gra-
fen bringt mich zur Besinnung. Die Flügelthüre
ist offen, wie der Höllenrichter sitzt er auf seinem
Stuhle mitten im andern Zimmer, die alte schwarze
Gräfin steht nicht weit von uns, ihre trocknen
Hände sind wie zum Fluch erhoben -- vorüber,
vorüber, er hat nach den Bedienten gerufen -- ich
habe den einen zu Boden geschlagen, Gott weiß, ob
er wieder aufgestanden ist, und bin hierher geflohn
in Manasses verborgene Zelle" --

Valerius fühlte die Unmöglichkeit, hier zu trö-
sten, wie damals auf dem Schlosse. Es handelte
sich um ein tödtliches Erbübel der Gesellschaft, und
er konnte wie ein freundlicher Arzt nur Alles auf-
bieten, die Schmerzen zu lindern. Joel mußte sich
aussprechen, ausklagen, austoben -- die Zeit der
Thränen war vorüber, aber jeder Schmerz ist wie
alles Jrdische, er erschöpft sich durch sich selbst.

der über mich herfiel, erſtickte ihn. Noch hielt ich
Hedwigs Hand feſt, ſo feſt, wie ich jetzt die
Jhrige halte, ich wollte ſie dem tückiſchen Schick-
ſale nicht frei geben, noch lag ich vor ihr auf den
Knieen — da hört’ ich ein wunderbares Gekreiſch
hinter mir, und die Henkersſtimme des alten Gra-
fen bringt mich zur Beſinnung. Die Flügelthüre
iſt offen, wie der Höllenrichter ſitzt er auf ſeinem
Stuhle mitten im andern Zimmer, die alte ſchwarze
Gräfin ſteht nicht weit von uns, ihre trocknen
Hände ſind wie zum Fluch erhoben — vorüber,
vorüber, er hat nach den Bedienten gerufen — ich
habe den einen zu Boden geſchlagen, Gott weiß, ob
er wieder aufgeſtanden iſt, und bin hierher geflohn
in Manaſſes verborgene Zelle“ —

Valerius fühlte die Unmöglichkeit, hier zu trö-
ſten, wie damals auf dem Schloſſe. Es handelte
ſich um ein tödtliches Erbübel der Geſellſchaft, und
er konnte wie ein freundlicher Arzt nur Alles auf-
bieten, die Schmerzen zu lindern. Joel mußte ſich
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Thränen war vorüber, aber jeder Schmerz iſt wie
alles Jrdiſche, er erſchöpft ſich durch ſich ſelbſt.

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[237/0247] der über mich herfiel, erſtickte ihn. Noch hielt ich Hedwigs Hand feſt, ſo feſt, wie ich jetzt die Jhrige halte, ich wollte ſie dem tückiſchen Schick- ſale nicht frei geben, noch lag ich vor ihr auf den Knieen — da hört’ ich ein wunderbares Gekreiſch hinter mir, und die Henkersſtimme des alten Gra- fen bringt mich zur Beſinnung. Die Flügelthüre iſt offen, wie der Höllenrichter ſitzt er auf ſeinem Stuhle mitten im andern Zimmer, die alte ſchwarze Gräfin ſteht nicht weit von uns, ihre trocknen Hände ſind wie zum Fluch erhoben — vorüber, vorüber, er hat nach den Bedienten gerufen — ich habe den einen zu Boden geſchlagen, Gott weiß, ob er wieder aufgeſtanden iſt, und bin hierher geflohn in Manaſſes verborgene Zelle“ — Valerius fühlte die Unmöglichkeit, hier zu trö- ſten, wie damals auf dem Schloſſe. Es handelte ſich um ein tödtliches Erbübel der Geſellſchaft, und er konnte wie ein freundlicher Arzt nur Alles auf- bieten, die Schmerzen zu lindern. Joel mußte ſich ausſprechen, ausklagen, austoben — die Zeit der Thränen war vorüber, aber jeder Schmerz iſt wie alles Jrdiſche, er erſchöpft ſich durch ſich ſelbſt.

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/247>, abgerufen am 27.05.2024.