mir thätig ist, was nächste Anknüpfung mit höheren Welten sein mag. Aber es äußert sich das auf viele Weise, höchst selten in der eigentlichen Gebetform, es äußert sich in der reinsten, uneigennützigen Liebe für ein menschlich Wesen, für eine That, für eine Offenbarung der Geschichte oder der Natur, für ein Verhältniß meiner selbst zur Welt, was mir plötz- lich aufgeht, und mir die Empfindung macht, als öffne sich groß und selig ein Auge Gottes in mei- nem heiligsten inneren Menschen. Soll ich Dir's nun offen gestehen, daß es mir wie kläglich und jämmerlich vorkam, just im tiefen Elende das Gebet so aufzusuchen, wie es mir niemals nahe getreten, niemals für mein Jch natürlich gewesen war, und diese Verläugnung meiner selbst mochte ich nicht. Der innerste Gedanke eines nicht verwahrlos'ten Menschen ist für mich ein Göttliches; dagegen zu lügen ist mir ein Frevel, eine Sünde wie es die Terminologie nennt -- das Glück vielleicht bekehrte mich zu etwas Herkömmlichem, was meinem Wesen sonst fremd ist, das Unglück nimmer. Der geheimste, beste Stolz ist gar oft der Lebensodem einer mora- lischen Existenz, man muß ihn respektiren, selbst
mir thätig iſt, was nächſte Anknüpfung mit höheren Welten ſein mag. Aber es äußert ſich das auf viele Weiſe, höchſt ſelten in der eigentlichen Gebetform, es äußert ſich in der reinſten, uneigennützigen Liebe für ein menſchlich Weſen, für eine That, für eine Offenbarung der Geſchichte oder der Natur, für ein Verhältniß meiner ſelbſt zur Welt, was mir plötz- lich aufgeht, und mir die Empfindung macht, als öffne ſich groß und ſelig ein Auge Gottes in mei- nem heiligſten inneren Menſchen. Soll ich Dir’s nun offen geſtehen, daß es mir wie kläglich und jämmerlich vorkam, juſt im tiefen Elende das Gebet ſo aufzuſuchen, wie es mir niemals nahe getreten, niemals für mein Jch natürlich geweſen war, und dieſe Verläugnung meiner ſelbſt mochte ich nicht. Der innerſte Gedanke eines nicht verwahrloſ’ten Menſchen iſt für mich ein Göttliches; dagegen zu lügen iſt mir ein Frevel, eine Sünde wie es die Terminologie nennt — das Glück vielleicht bekehrte mich zu etwas Herkömmlichem, was meinem Weſen ſonſt fremd iſt, das Unglück nimmer. Der geheimſte, beſte Stolz iſt gar oft der Lebensodem einer mora- liſchen Exiſtenz, man muß ihn reſpektiren, ſelbſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0138"n="130"/>
mir thätig iſt, was nächſte Anknüpfung mit höheren<lb/>
Welten ſein mag. Aber es äußert ſich das auf viele<lb/>
Weiſe, höchſt ſelten in der eigentlichen Gebetform,<lb/>
es äußert ſich in der reinſten, uneigennützigen Liebe<lb/>
für ein menſchlich Weſen, für eine That, für eine<lb/>
Offenbarung der Geſchichte oder der Natur, für ein<lb/>
Verhältniß meiner ſelbſt zur Welt, was mir plötz-<lb/>
lich aufgeht, und mir die Empfindung macht, als<lb/>
öffne ſich groß und ſelig ein Auge Gottes in mei-<lb/>
nem heiligſten inneren Menſchen. Soll ich Dir’s<lb/>
nun offen geſtehen, daß es mir wie kläglich und<lb/>
jämmerlich vorkam, juſt im tiefen Elende das Gebet<lb/>ſo aufzuſuchen, wie es mir niemals nahe getreten,<lb/>
niemals für mein Jch natürlich geweſen war, und<lb/>
dieſe Verläugnung meiner ſelbſt mochte ich nicht.<lb/>
Der innerſte Gedanke eines nicht verwahrloſ’ten<lb/>
Menſchen iſt für mich ein Göttliches; dagegen zu<lb/>
lügen iſt mir ein Frevel, eine Sünde wie es die<lb/>
Terminologie nennt — das Glück vielleicht bekehrte<lb/>
mich zu etwas Herkömmlichem, was meinem Weſen<lb/>ſonſt fremd iſt, das Unglück nimmer. Der geheimſte,<lb/>
beſte Stolz iſt gar oft der Lebensodem einer mora-<lb/>
liſchen Exiſtenz, man muß ihn reſpektiren, ſelbſt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[130/0138]
mir thätig iſt, was nächſte Anknüpfung mit höheren
Welten ſein mag. Aber es äußert ſich das auf viele
Weiſe, höchſt ſelten in der eigentlichen Gebetform,
es äußert ſich in der reinſten, uneigennützigen Liebe
für ein menſchlich Weſen, für eine That, für eine
Offenbarung der Geſchichte oder der Natur, für ein
Verhältniß meiner ſelbſt zur Welt, was mir plötz-
lich aufgeht, und mir die Empfindung macht, als
öffne ſich groß und ſelig ein Auge Gottes in mei-
nem heiligſten inneren Menſchen. Soll ich Dir’s
nun offen geſtehen, daß es mir wie kläglich und
jämmerlich vorkam, juſt im tiefen Elende das Gebet
ſo aufzuſuchen, wie es mir niemals nahe getreten,
niemals für mein Jch natürlich geweſen war, und
dieſe Verläugnung meiner ſelbſt mochte ich nicht.
Der innerſte Gedanke eines nicht verwahrloſ’ten
Menſchen iſt für mich ein Göttliches; dagegen zu
lügen iſt mir ein Frevel, eine Sünde wie es die
Terminologie nennt — das Glück vielleicht bekehrte
mich zu etwas Herkömmlichem, was meinem Weſen
ſonſt fremd iſt, das Unglück nimmer. Der geheimſte,
beſte Stolz iſt gar oft der Lebensodem einer mora-
liſchen Exiſtenz, man muß ihn reſpektiren, ſelbſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/138>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.