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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

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Dritte war zerbrochen, matt, elend; der Vierte
gleichgültig und sorglos. Wenn solche Unterhaltung
nur früher gekommen wäre, die Empfängniß blieb
doch gar zu taub in mir; jetzt gab's auch Schreib-
material, aber ich hatte nichts mehr zu schreiben.
So vergingen Wochen, und am Ende dacht' ich:
's war im kalten Loche, hinter der Blende drüben,
nicht viel schlechter.

Heut vor acht Tagen kam der große Tag, dieser
einzige Gedanke seit so vielen Monden: ich ward
frei, stand allein und ungehindert auf der Straße,
kein Führer hinter mir -- ach, und diese Freude
aller Freuden kam zu spät, sie konnte mich nicht
mehr recht bewältigen. Erst spät Abends, als ich
im Mondschein durch die Straßen schlenderte, mei-
ner neuen Freiheit genießend, brach plötzlich ein heißer
Thränenstrom aus meinen Augen, und von da an
fühlte ich mich den Menschen wieder näher, ich
dachte wieder in ihrer Weise, schlug mir die Be-
kümmerniß um meinen im Kerker zurückgelassenen
Kameraden aus dem Sinn, bemerkte, daß ich keinen
Kreuzer Geld besäße, und in der großen, weiten
Freiheit nicht wüßte, wohin mein Haupt zu legen

Dritte war zerbrochen, matt, elend; der Vierte
gleichgültig und ſorglos. Wenn ſolche Unterhaltung
nur früher gekommen wäre, die Empfängniß blieb
doch gar zu taub in mir; jetzt gab’s auch Schreib-
material, aber ich hatte nichts mehr zu ſchreiben.
So vergingen Wochen, und am Ende dacht’ ich:
’s war im kalten Loche, hinter der Blende drüben,
nicht viel ſchlechter.

Heut vor acht Tagen kam der große Tag, dieſer
einzige Gedanke ſeit ſo vielen Monden: ich ward
frei, ſtand allein und ungehindert auf der Straße,
kein Führer hinter mir — ach, und dieſe Freude
aller Freuden kam zu ſpät, ſie konnte mich nicht
mehr recht bewältigen. Erſt ſpät Abends, als ich
im Mondſchein durch die Straßen ſchlenderte, mei-
ner neuen Freiheit genießend, brach plötzlich ein heißer
Thränenſtrom aus meinen Augen, und von da an
fühlte ich mich den Menſchen wieder näher, ich
dachte wieder in ihrer Weiſe, ſchlug mir die Be-
kümmerniß um meinen im Kerker zurückgelaſſenen
Kameraden aus dem Sinn, bemerkte, daß ich keinen
Kreuzer Geld beſäße, und in der großen, weiten
Freiheit nicht wüßte, wohin mein Haupt zu legen

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[172/0180] Dritte war zerbrochen, matt, elend; der Vierte gleichgültig und ſorglos. Wenn ſolche Unterhaltung nur früher gekommen wäre, die Empfängniß blieb doch gar zu taub in mir; jetzt gab’s auch Schreib- material, aber ich hatte nichts mehr zu ſchreiben. So vergingen Wochen, und am Ende dacht’ ich: ’s war im kalten Loche, hinter der Blende drüben, nicht viel ſchlechter. Heut vor acht Tagen kam der große Tag, dieſer einzige Gedanke ſeit ſo vielen Monden: ich ward frei, ſtand allein und ungehindert auf der Straße, kein Führer hinter mir — ach, und dieſe Freude aller Freuden kam zu ſpät, ſie konnte mich nicht mehr recht bewältigen. Erſt ſpät Abends, als ich im Mondſchein durch die Straßen ſchlenderte, mei- ner neuen Freiheit genießend, brach plötzlich ein heißer Thränenſtrom aus meinen Augen, und von da an fühlte ich mich den Menſchen wieder näher, ich dachte wieder in ihrer Weiſe, ſchlug mir die Be- kümmerniß um meinen im Kerker zurückgelaſſenen Kameraden aus dem Sinn, bemerkte, daß ich keinen Kreuzer Geld beſäße, und in der großen, weiten Freiheit nicht wüßte, wohin mein Haupt zu legen

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/180>, abgerufen am 27.11.2024.