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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

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auch sehr mit Deklamation verbrämt, war un-
schöpferisch, und das eigentliche Leben der Leute war
in kleinerem Verhältnisse entweder ebenso wie das
getadelte, oder es war gegen allen Reichthum der
Welt cynisch -- nichts fesselte mich.

Jch mag oberflächlich geblieben sein, weil meine
Liebhabereien und Avantüren wie gewöhnlich meine
Zeit in Beschlag nahmen, dies mag ein Grund sein,
daß ich immerwährend eine deutsche Anekdote auf
der Zunge behielt, die mir allen Geschmack verlei-
dete: Ein deutscher Professor zerkaut in einer politi-
schen Unterhaltung die Zeitung, welche er in der
Hand hält, man will endlich etwas nachsehn, und
der Gegner sagt entrüstet: "Herr, Sie haben ja
die Zeitung gefressen" -- ""Drum, "" erwidert
dieser, ""drum schmeckte mir's so nach Papier.""

Es schmeckt hier Alles nach dem Journalpapier.
Die Kammern haben sich überlebt, es sind nur ein
Paar wirkliche, ursprüngliche Potenzen übrig, das
ist zuerst Ludwig Philipp, und dann sind's ein Paar
Schriftsteller, die freilich auf den traurigen Aus-
druck durch die Feder angewiesen sind. Wenn man
lange schreibt, so wird die Feder entweder durch

auch ſehr mit Deklamation verbraͤmt, war un-
ſchoͤpferiſch, und das eigentliche Leben der Leute war
in kleinerem Verhaͤltniſſe entweder ebenſo wie das
getadelte, oder es war gegen allen Reichthum der
Welt cyniſch — nichts feſſelte mich.

Jch mag oberflaͤchlich geblieben ſein, weil meine
Liebhabereien und Avantuͤren wie gewoͤhnlich meine
Zeit in Beſchlag nahmen, dies mag ein Grund ſein,
daß ich immerwaͤhrend eine deutſche Anekdote auf
der Zunge behielt, die mir allen Geſchmack verlei-
dete: Ein deutſcher Profeſſor zerkaut in einer politi-
ſchen Unterhaltung die Zeitung, welche er in der
Hand haͤlt, man will endlich etwas nachſehn, und
der Gegner ſagt entruͤſtet: „Herr, Sie haben ja
die Zeitung gefreſſen“ — „„Drum, ““ erwidert
dieſer, „„drum ſchmeckte mir’s ſo nach Papier.““

Es ſchmeckt hier Alles nach dem Journalpapier.
Die Kammern haben ſich uͤberlebt, es ſind nur ein
Paar wirkliche, urſpruͤngliche Potenzen uͤbrig, das
iſt zuerſt Ludwig Philipp, und dann ſind’s ein Paar
Schriftſteller, die freilich auf den traurigen Aus-
druck durch die Feder angewieſen ſind. Wenn man
lange ſchreibt, ſo wird die Feder entweder durch

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[199/0207] auch ſehr mit Deklamation verbraͤmt, war un- ſchoͤpferiſch, und das eigentliche Leben der Leute war in kleinerem Verhaͤltniſſe entweder ebenſo wie das getadelte, oder es war gegen allen Reichthum der Welt cyniſch — nichts feſſelte mich. Jch mag oberflaͤchlich geblieben ſein, weil meine Liebhabereien und Avantuͤren wie gewoͤhnlich meine Zeit in Beſchlag nahmen, dies mag ein Grund ſein, daß ich immerwaͤhrend eine deutſche Anekdote auf der Zunge behielt, die mir allen Geſchmack verlei- dete: Ein deutſcher Profeſſor zerkaut in einer politi- ſchen Unterhaltung die Zeitung, welche er in der Hand haͤlt, man will endlich etwas nachſehn, und der Gegner ſagt entruͤſtet: „Herr, Sie haben ja die Zeitung gefreſſen“ — „„Drum, ““ erwidert dieſer, „„drum ſchmeckte mir’s ſo nach Papier.““ Es ſchmeckt hier Alles nach dem Journalpapier. Die Kammern haben ſich uͤberlebt, es ſind nur ein Paar wirkliche, urſpruͤngliche Potenzen uͤbrig, das iſt zuerſt Ludwig Philipp, und dann ſind’s ein Paar Schriftſteller, die freilich auf den traurigen Aus- druck durch die Feder angewieſen ſind. Wenn man lange ſchreibt, ſo wird die Feder entweder durch

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/207>, abgerufen am 27.11.2024.