Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

charaktervolle Bild Marys nicht vergessen und ihre
verzauberte Einsamkeit auf der Abtei; in einer
Stunde des Gedankens daran warf ich mich auf's
Pferd, und ritt Tag und Nacht, hinaus nach dem
Felsenschlosse. Jm Walde vor dem Hügel ließ ich
das Pferd meinem Burschen, und eilte hinauf,
Niemand begegnete mir, ich kam in den Saal,
Mary saß am Fenster und schaute in's Meer hin-
aus; das dunkle Haar hing aufgelös't über den
blosen Nacken und das schwarze Sammtkleid herab,
sie glich einer Balladenkönigin, und hob staunenden
Rufs ihre Arme, da sie mich sah.

Das Kleid war schwarz, der Leib war weiß,
Die Hand war kalt, das Herz war heiß;
Sie wehrte, rang und küßte --

Es giebt Dämonen, die ihre Krallen tief herein
strecken in die Welt, glaub mir's. Sie schüttel-
ten dies Weib selbst in meinen Armen, sie gönnten
ihr keine Ruhe, kein Glück, in den Träumen rang
sie mit Henry.

Und diesem erging es ebenso: von der Seite
des liebenden und geliebten Weibes ward er zur

V. 11

charaktervolle Bild Marys nicht vergeſſen und ihre
verzauberte Einſamkeit auf der Abtei; in einer
Stunde des Gedankens daran warf ich mich auf’s
Pferd, und ritt Tag und Nacht, hinaus nach dem
Felſenſchloſſe. Jm Walde vor dem Hügel ließ ich
das Pferd meinem Burſchen, und eilte hinauf,
Niemand begegnete mir, ich kam in den Saal,
Mary ſaß am Fenſter und ſchaute in’s Meer hin-
aus; das dunkle Haar hing aufgelöſ’t über den
bloſen Nacken und das ſchwarze Sammtkleid herab,
ſie glich einer Balladenkönigin, und hob ſtaunenden
Rufs ihre Arme, da ſie mich ſah.

Das Kleid war ſchwarz, der Leib war weiß,
Die Hand war kalt, das Herz war heiß;
Sie wehrte, rang und küßte —

Es giebt Dämonen, die ihre Krallen tief herein
ſtrecken in die Welt, glaub mir’s. Sie ſchüttel-
ten dies Weib ſelbſt in meinen Armen, ſie gönnten
ihr keine Ruhe, kein Glück, in den Träumen rang
ſie mit Henry.

Und dieſem erging es ebenſo: von der Seite
des liebenden und geliebten Weibes ward er zur

V. 11
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0249" n="241"/>
charaktervolle Bild Marys nicht verge&#x017F;&#x017F;en und ihre<lb/>
verzauberte Ein&#x017F;amkeit auf der Abtei; in einer<lb/>
Stunde des Gedankens daran warf ich mich auf&#x2019;s<lb/>
Pferd, und ritt Tag und Nacht, hinaus nach dem<lb/>
Fel&#x017F;en&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;e. Jm Walde vor dem Hügel ließ ich<lb/>
das Pferd meinem Bur&#x017F;chen, und eilte hinauf,<lb/>
Niemand begegnete mir, ich kam in den Saal,<lb/>
Mary &#x017F;aß am Fen&#x017F;ter und &#x017F;chaute in&#x2019;s Meer hin-<lb/>
aus; das dunkle Haar hing aufgelö&#x017F;&#x2019;t über den<lb/>
blo&#x017F;en Nacken und das &#x017F;chwarze Sammtkleid herab,<lb/>
&#x017F;ie glich einer Balladenkönigin, und hob &#x017F;taunenden<lb/>
Rufs ihre Arme, da &#x017F;ie mich &#x017F;ah.</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Das Kleid war &#x017F;chwarz, der Leib war weiß,</l><lb/>
            <l>Die Hand war kalt, das Herz war heiß;</l><lb/>
            <l>Sie wehrte, rang und küßte &#x2014;</l>
          </lg><lb/>
          <p>Es giebt Dämonen, die ihre Krallen tief herein<lb/>
&#x017F;trecken in die Welt, glaub mir&#x2019;s. Sie &#x017F;chüttel-<lb/>
ten dies Weib &#x017F;elb&#x017F;t in meinen Armen, &#x017F;ie gönnten<lb/>
ihr keine Ruhe, kein Glück, in den Träumen rang<lb/>
&#x017F;ie mit Henry.</p><lb/>
          <p>Und die&#x017F;em erging es eben&#x017F;o: von der Seite<lb/>
des liebenden und geliebten Weibes ward er zur<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">V.</hi> 11</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0249] charaktervolle Bild Marys nicht vergeſſen und ihre verzauberte Einſamkeit auf der Abtei; in einer Stunde des Gedankens daran warf ich mich auf’s Pferd, und ritt Tag und Nacht, hinaus nach dem Felſenſchloſſe. Jm Walde vor dem Hügel ließ ich das Pferd meinem Burſchen, und eilte hinauf, Niemand begegnete mir, ich kam in den Saal, Mary ſaß am Fenſter und ſchaute in’s Meer hin- aus; das dunkle Haar hing aufgelöſ’t über den bloſen Nacken und das ſchwarze Sammtkleid herab, ſie glich einer Balladenkönigin, und hob ſtaunenden Rufs ihre Arme, da ſie mich ſah. Das Kleid war ſchwarz, der Leib war weiß, Die Hand war kalt, das Herz war heiß; Sie wehrte, rang und küßte — Es giebt Dämonen, die ihre Krallen tief herein ſtrecken in die Welt, glaub mir’s. Sie ſchüttel- ten dies Weib ſelbſt in meinen Armen, ſie gönnten ihr keine Ruhe, kein Glück, in den Träumen rang ſie mit Henry. Und dieſem erging es ebenſo: von der Seite des liebenden und geliebten Weibes ward er zur V. 11

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/249
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/249>, abgerufen am 22.11.2024.