Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

bei sich mit irgend welchem Eßkrame; aber mir
erwuchs noch ein specielleres Jnteresse daraus. Mein
Wärter nämlich benutzte diese Garde, um mein
Gemach täglich reinigen zu lassen, und mit mun-
terem Geschmacke wählte er stets eine Handfeste für's
Grobe und eine Hübschere für's Leichtere, das Bett
zu machen, den Staub abzukehren. Das war den
Mädchen auch eine Abwechselung, und sie kamen
meist sehr heiter, erzählten auch meist in der Kürze
dieser Viertelstunde ihre Lebensgeschichte. Ein bild-
schönes Mädchen kam öfters wieder, endlich Tag
für Tag; der Wärter nahm ein gewiß herzliches
Jnteresse an ihr und an ihrem Schicksale, er hatte
sie gekannt, da sie noch als kleines Mädchen her-
umgelaufen war, sagte, sie sei ein wirklich gutmü-
thiges Geschöpf, und doch sei sie immer wieder auf
leichtsinnigem Verkehr mit Männern betroffen wor-
den. Sie nannte sich Louise und war sehr küm-
merlich und spärlich gekleidet. Wenn sie beim Aus-
fegen manchmal die Thür herumschlug, so daß der
Wärter auf der Thürschwelle, oder weiter zurück
auf dem Korridor uns einige Augenblicke nicht sehen
konnte, dann erhob sie ihre gutmüthigen, schönen

bei ſich mit irgend welchem Eßkrame; aber mir
erwuchs noch ein ſpecielleres Jntereſſe daraus. Mein
Wärter nämlich benutzte dieſe Garde, um mein
Gemach täglich reinigen zu laſſen, und mit mun-
terem Geſchmacke wählte er ſtets eine Handfeſte für’s
Grobe und eine Hübſchere für’s Leichtere, das Bett
zu machen, den Staub abzukehren. Das war den
Mädchen auch eine Abwechſelung, und ſie kamen
meiſt ſehr heiter, erzählten auch meiſt in der Kürze
dieſer Viertelſtunde ihre Lebensgeſchichte. Ein bild-
ſchönes Mädchen kam öfters wieder, endlich Tag
für Tag; der Wärter nahm ein gewiß herzliches
Jntereſſe an ihr und an ihrem Schickſale, er hatte
ſie gekannt, da ſie noch als kleines Mädchen her-
umgelaufen war, ſagte, ſie ſei ein wirklich gutmü-
thiges Geſchöpf, und doch ſei ſie immer wieder auf
leichtſinnigem Verkehr mit Männern betroffen wor-
den. Sie nannte ſich Louiſe und war ſehr küm-
merlich und ſpärlich gekleidet. Wenn ſie beim Aus-
fegen manchmal die Thür herumſchlug, ſo daß der
Wärter auf der Thürſchwelle, oder weiter zurück
auf dem Korridor uns einige Augenblicke nicht ſehen
konnte, dann erhob ſie ihre gutmüthigen, ſchönen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0097" n="89"/>
bei &#x017F;ich mit irgend welchem Eßkrame; aber mir<lb/>
erwuchs noch ein &#x017F;pecielleres Jntere&#x017F;&#x017F;e daraus. Mein<lb/>
Wärter nämlich benutzte die&#x017F;e Garde, um mein<lb/>
Gemach täglich reinigen zu la&#x017F;&#x017F;en, und mit mun-<lb/>
terem Ge&#x017F;chmacke wählte er &#x017F;tets eine Handfe&#x017F;te für&#x2019;s<lb/>
Grobe und eine Hüb&#x017F;chere für&#x2019;s Leichtere, das Bett<lb/>
zu machen, den Staub abzukehren. Das war den<lb/>
Mädchen auch eine Abwech&#x017F;elung, und &#x017F;ie kamen<lb/>
mei&#x017F;t &#x017F;ehr heiter, erzählten auch mei&#x017F;t in der Kürze<lb/>
die&#x017F;er Viertel&#x017F;tunde ihre Lebensge&#x017F;chichte. Ein bild-<lb/>
&#x017F;chönes Mädchen kam öfters wieder, endlich Tag<lb/>
für Tag; der Wärter nahm ein gewiß herzliches<lb/>
Jntere&#x017F;&#x017F;e an ihr und an ihrem Schick&#x017F;ale, er hatte<lb/>
&#x017F;ie gekannt, da &#x017F;ie noch als kleines Mädchen her-<lb/>
umgelaufen war, &#x017F;agte, &#x017F;ie &#x017F;ei ein wirklich gutmü-<lb/>
thiges Ge&#x017F;chöpf, und doch &#x017F;ei &#x017F;ie immer wieder auf<lb/>
leicht&#x017F;innigem Verkehr mit Männern betroffen wor-<lb/>
den. Sie nannte &#x017F;ich Loui&#x017F;e und war &#x017F;ehr küm-<lb/>
merlich und &#x017F;pärlich gekleidet. Wenn &#x017F;ie beim Aus-<lb/>
fegen manchmal die Thür herum&#x017F;chlug, &#x017F;o daß der<lb/>
Wärter auf der Thür&#x017F;chwelle, oder weiter zurück<lb/>
auf dem Korridor uns einige Augenblicke nicht &#x017F;ehen<lb/>
konnte, dann erhob &#x017F;ie ihre gutmüthigen, &#x017F;chönen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0097] bei ſich mit irgend welchem Eßkrame; aber mir erwuchs noch ein ſpecielleres Jntereſſe daraus. Mein Wärter nämlich benutzte dieſe Garde, um mein Gemach täglich reinigen zu laſſen, und mit mun- terem Geſchmacke wählte er ſtets eine Handfeſte für’s Grobe und eine Hübſchere für’s Leichtere, das Bett zu machen, den Staub abzukehren. Das war den Mädchen auch eine Abwechſelung, und ſie kamen meiſt ſehr heiter, erzählten auch meiſt in der Kürze dieſer Viertelſtunde ihre Lebensgeſchichte. Ein bild- ſchönes Mädchen kam öfters wieder, endlich Tag für Tag; der Wärter nahm ein gewiß herzliches Jntereſſe an ihr und an ihrem Schickſale, er hatte ſie gekannt, da ſie noch als kleines Mädchen her- umgelaufen war, ſagte, ſie ſei ein wirklich gutmü- thiges Geſchöpf, und doch ſei ſie immer wieder auf leichtſinnigem Verkehr mit Männern betroffen wor- den. Sie nannte ſich Louiſe und war ſehr küm- merlich und ſpärlich gekleidet. Wenn ſie beim Aus- fegen manchmal die Thür herumſchlug, ſo daß der Wärter auf der Thürſchwelle, oder weiter zurück auf dem Korridor uns einige Augenblicke nicht ſehen konnte, dann erhob ſie ihre gutmüthigen, ſchönen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/97
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/97>, abgerufen am 16.05.2024.