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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792.

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traute: und wie sollte ich fortkommen? Ich hatte
weder Wäsche noch ganze Stiefeln, und im Winter,
der es war, mußte ich befürchten, unterwegs gar
umzukommen!

Der bestimmte Posttag kam heran; aber leider
wieder kein Brief! Man versetze sich in meine Lage,
und ermesse darnach den Drang und Sturm meiner
Empfindungen. Abends durchlief ich alle Gassen,
gleichsam ausser mir: es war der heilige Abend vor
Weinachten. Köster begegnete mir, und fragte, wie
mir's ginge? Ich stieß ihn zurück ohne zu antwor-
ten, und rennte weiter. Köster mir nach, und bath
mich um Gottes willen, ihm meine Noth oder
den Grund meines Unwillens zu entdecken. Ich
schwieg hartnäckig. Er wiederholte seine Frage mehr-
mals, warum ich ihm nicht antworten wollte?
Weil du ein Schurke bist, erwiederte ich endlich.

Köster: Ums Himmels willen Bruder, sag',
was ist dir? So spricht mein Laukhard nicht! so
spricht ein böser Genius aus dir.

Ich: Du bist ein Mensch: alle Menschen sind
Schurken, also auch du! Hast du meinen Schluß
verstanden? Geh! --

Köster: Ich lasse dich nicht gehn: Bruder
sag', wo du hin willst? ich gehe mit und wenn du
zum Teufel gingst. Ich lasse dich so nicht gehn!


traute: und wie ſollte ich fortkommen? Ich hatte
weder Waͤſche noch ganze Stiefeln, und im Winter,
der es war, mußte ich befuͤrchten, unterwegs gar
umzukommen!

Der beſtimmte Poſttag kam heran; aber leider
wieder kein Brief! Man verſetze ſich in meine Lage,
und ermeſſe darnach den Drang und Sturm meiner
Empfindungen. Abends durchlief ich alle Gaſſen,
gleichſam auſſer mir: es war der heilige Abend vor
Weinachten. Koͤſter begegnete mir, und fragte, wie
mir's ginge? Ich ſtieß ihn zuruͤck ohne zu antwor-
ten, und rennte weiter. Koͤſter mir nach, und bath
mich um Gottes willen, ihm meine Noth oder
den Grund meines Unwillens zu entdecken. Ich
ſchwieg hartnaͤckig. Er wiederholte ſeine Frage mehr-
mals, warum ich ihm nicht antworten wollte?
Weil du ein Schurke biſt, erwiederte ich endlich.

Koͤſter: Ums Himmels willen Bruder, ſag',
was iſt dir? So ſpricht mein Laukhard nicht! ſo
ſpricht ein boͤſer Genius aus dir.

Ich: Du biſt ein Menſch: alle Menſchen ſind
Schurken, alſo auch du! Haſt du meinen Schluß
verſtanden? Geh! —

Koͤſter: Ich laſſe dich nicht gehn: Bruder
ſag', wo du hin willſt? ich gehe mit und wenn du
zum Teufel gingſt. Ich laſſe dich ſo nicht gehn!


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[229[239]/0241] traute: und wie ſollte ich fortkommen? Ich hatte weder Waͤſche noch ganze Stiefeln, und im Winter, der es war, mußte ich befuͤrchten, unterwegs gar umzukommen! Der beſtimmte Poſttag kam heran; aber leider wieder kein Brief! Man verſetze ſich in meine Lage, und ermeſſe darnach den Drang und Sturm meiner Empfindungen. Abends durchlief ich alle Gaſſen, gleichſam auſſer mir: es war der heilige Abend vor Weinachten. Koͤſter begegnete mir, und fragte, wie mir's ginge? Ich ſtieß ihn zuruͤck ohne zu antwor- ten, und rennte weiter. Koͤſter mir nach, und bath mich um Gottes willen, ihm meine Noth oder den Grund meines Unwillens zu entdecken. Ich ſchwieg hartnaͤckig. Er wiederholte ſeine Frage mehr- mals, warum ich ihm nicht antworten wollte? Weil du ein Schurke biſt, erwiederte ich endlich. Koͤſter: Ums Himmels willen Bruder, ſag', was iſt dir? So ſpricht mein Laukhard nicht! ſo ſpricht ein boͤſer Genius aus dir. Ich: Du biſt ein Menſch: alle Menſchen ſind Schurken, alſo auch du! Haſt du meinen Schluß verſtanden? Geh! — Koͤſter: Ich laſſe dich nicht gehn: Bruder ſag', wo du hin willſt? ich gehe mit und wenn du zum Teufel gingſt. Ich laſſe dich ſo nicht gehn!

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 229[239]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/241>, abgerufen am 25.11.2024.