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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792.

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derdinge hatte ich schon längst aus meinem Gehirne
verbannt. Ach, wie traurig war meine Lage! Phan-
tastische Trostgründe schlugen bei mir nicht an; und
im Reiche der Wirklichkeit fand ich keine.

Eine Frau, Namens Wilkin, welche mit
den Studenten fleißig handelte, und sie auf gut
hallisch derb dafür prellte, war auch meine Geschäfts-
trägerin in der Noth. Diese Frau hatte mir so nach
und nach, seit dem Abschiede meines Bruders, meine
beiden guten Kleider, meine Wäsche, kurz alles, was
ich entbehren konnte, versetzt. In meiner Krank-
heit muste sie wieder Rath schaffen, und jetzt verkaufte
sie mein übriges rothes Kleid mit Weste und Hosen,
und brachte mir nur fünf Thaler und einige Gro-
schen. Aber was wollte ich machen? ich mußte ein-
mal so handeln. Dem Herrn Semler war ich schon
6 Thaler schuldig, welche mein Vater erst im Fe-
bruar des folgenden Jahres bezahlt hat: und an
wen sonst sollte ich mich wenden? Ich hatte ja keine
Bekannten in Halle weiter; und die Erfahrung hat
mich nachher noch belehrt, daß ich auch da würde
umsonst gebeten haben: und in diesem Falle wäre
mein Unmuth in Raserei übergangen.

Ich überlegte in dieser Noth, wie es wohl wer-
den würde, wenn ich mich anderswohin begäbe?
Allein wohin? Ich traute den Menschen einmal
nicht mehr, weil ich Vater und Bruder nicht mehr

derdinge hatte ich ſchon laͤngſt aus meinem Gehirne
verbannt. Ach, wie traurig war meine Lage! Phan-
taſtiſche Troſtgruͤnde ſchlugen bei mir nicht an; und
im Reiche der Wirklichkeit fand ich keine.

Eine Frau, Namens Wilkin, welche mit
den Studenten fleißig handelte, und ſie auf gut
halliſch derb dafuͤr prellte, war auch meine Geſchaͤfts-
traͤgerin in der Noth. Dieſe Frau hatte mir ſo nach
und nach, ſeit dem Abſchiede meines Bruders, meine
beiden guten Kleider, meine Waͤſche, kurz alles, was
ich entbehren konnte, verſetzt. In meiner Krank-
heit muſte ſie wieder Rath ſchaffen, und jetzt verkaufte
ſie mein uͤbriges rothes Kleid mit Weſte und Hoſen,
und brachte mir nur fuͤnf Thaler und einige Gro-
ſchen. Aber was wollte ich machen? ich mußte ein-
mal ſo handeln. Dem Herrn Semler war ich ſchon
6 Thaler ſchuldig, welche mein Vater erſt im Fe-
bruar des folgenden Jahres bezahlt hat: und an
wen ſonſt ſollte ich mich wenden? Ich hatte ja keine
Bekannten in Halle weiter; und die Erfahrung hat
mich nachher noch belehrt, daß ich auch da wuͤrde
umſonſt gebeten haben: und in dieſem Falle waͤre
mein Unmuth in Raſerei uͤbergangen.

Ich uͤberlegte in dieſer Noth, wie es wohl wer-
den wuͤrde, wenn ich mich anderswohin begaͤbe?
Allein wohin? Ich traute den Menſchen einmal
nicht mehr, weil ich Vater und Bruder nicht mehr

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[228[238]/0240] derdinge hatte ich ſchon laͤngſt aus meinem Gehirne verbannt. Ach, wie traurig war meine Lage! Phan- taſtiſche Troſtgruͤnde ſchlugen bei mir nicht an; und im Reiche der Wirklichkeit fand ich keine. Eine Frau, Namens Wilkin, welche mit den Studenten fleißig handelte, und ſie auf gut halliſch derb dafuͤr prellte, war auch meine Geſchaͤfts- traͤgerin in der Noth. Dieſe Frau hatte mir ſo nach und nach, ſeit dem Abſchiede meines Bruders, meine beiden guten Kleider, meine Waͤſche, kurz alles, was ich entbehren konnte, verſetzt. In meiner Krank- heit muſte ſie wieder Rath ſchaffen, und jetzt verkaufte ſie mein uͤbriges rothes Kleid mit Weſte und Hoſen, und brachte mir nur fuͤnf Thaler und einige Gro- ſchen. Aber was wollte ich machen? ich mußte ein- mal ſo handeln. Dem Herrn Semler war ich ſchon 6 Thaler ſchuldig, welche mein Vater erſt im Fe- bruar des folgenden Jahres bezahlt hat: und an wen ſonſt ſollte ich mich wenden? Ich hatte ja keine Bekannten in Halle weiter; und die Erfahrung hat mich nachher noch belehrt, daß ich auch da wuͤrde umſonſt gebeten haben: und in dieſem Falle waͤre mein Unmuth in Raſerei uͤbergangen. Ich uͤberlegte in dieſer Noth, wie es wohl wer- den wuͤrde, wenn ich mich anderswohin begaͤbe? Allein wohin? Ich traute den Menſchen einmal nicht mehr, weil ich Vater und Bruder nicht mehr

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 228[238]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/240>, abgerufen am 25.11.2024.