dessen Fürst ein rechtschaffener Mann ist! Aber wo man Jeremiaden hören muß, wie in der Pfalz und im Hessenland, da fallen einem alle Sünden der Großen bei, und man wünscht sich weit weg.
Unser Marsch ging über Berlin, oder vielmehr in Berlin sollten wir bis auf weitere Order kantoni- ren: und so war unser nächstes Nachtquartier in No- waweß, einem böhmischen Kolonistendorf bei Pots- dam. Ich logirte beim Schulmeister, welcher auch zugleich ein Kattunweber war. Der Mann klagte sehr über den Verfall der böhmischen Sprache in sei- nem Dorfe, so, daß die Jugend nicht mehr Böh- misch lernen wollte, die böhmischen Bücher nicht mehr verstünde, und daß die Leute sogar keine Böh- mischen Predigten mehr verlangten; alles sollte auf deutsch gehen! Ich stellte dem Manne vor, daß es großer Unsinn sey, mitten in Deutschland noch die böhmische Sprache unter den gemeinen Leuten fort- setzen zu wollen: die Leute könnten sonst was nützli- chers lernen. Aber da hatte ich des Herrn Schul- meisters Gunst gehabt! Er behauptete den Vorzug seiner Sprache vor allen andern, und als ich ihn noch weiter widerlegte, ward er grob, und ich muste, um Händeln vorzubeugen, dem Meister nachgeben, und stille seyn. Er sagte nachher zu einem meiner Kameraden, ich sey ein superkluger Mensch, ders Gras wachsen hörte! -- Du lieber Gott!
deſſen Fuͤrſt ein rechtſchaffener Mann iſt! Aber wo man Jeremiaden hoͤren muß, wie in der Pfalz und im Heſſenland, da fallen einem alle Suͤnden der Großen bei, und man wuͤnſcht ſich weit weg.
Unſer Marſch ging uͤber Berlin, oder vielmehr in Berlin ſollten wir bis auf weitere Order kantoni- ren: und ſo war unſer naͤchſtes Nachtquartier in No- waweß, einem boͤhmiſchen Koloniſtendorf bei Pots- dam. Ich logirte beim Schulmeiſter, welcher auch zugleich ein Kattunweber war. Der Mann klagte ſehr uͤber den Verfall der boͤhmiſchen Sprache in ſei- nem Dorfe, ſo, daß die Jugend nicht mehr Boͤh- miſch lernen wollte, die boͤhmiſchen Buͤcher nicht mehr verſtuͤnde, und daß die Leute ſogar keine Boͤh- miſchen Predigten mehr verlangten; alles ſollte auf deutſch gehen! Ich ſtellte dem Manne vor, daß es großer Unſinn ſey, mitten in Deutſchland noch die boͤhmiſche Sprache unter den gemeinen Leuten fort- ſetzen zu wollen: die Leute koͤnnten ſonſt was nuͤtzli- chers lernen. Aber da hatte ich des Herrn Schul- meiſters Gunſt gehabt! Er behauptete den Vorzug ſeiner Sprache vor allen andern, und als ich ihn noch weiter widerlegte, ward er grob, und ich muſte, um Haͤndeln vorzubeugen, dem Meiſter nachgeben, und ſtille ſeyn. Er ſagte nachher zu einem meiner Kameraden, ich ſey ein ſuperkluger Menſch, ders Gras wachſen hoͤrte! — Du lieber Gott!
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[402[404]/0406]
deſſen Fuͤrſt ein rechtſchaffener Mann iſt! Aber wo
man Jeremiaden hoͤren muß, wie in der Pfalz und
im Heſſenland, da fallen einem alle Suͤnden der
Großen bei, und man wuͤnſcht ſich weit weg.
Unſer Marſch ging uͤber Berlin, oder vielmehr
in Berlin ſollten wir bis auf weitere Order kantoni-
ren: und ſo war unſer naͤchſtes Nachtquartier in No-
waweß, einem boͤhmiſchen Koloniſtendorf bei Pots-
dam. Ich logirte beim Schulmeiſter, welcher auch
zugleich ein Kattunweber war. Der Mann klagte
ſehr uͤber den Verfall der boͤhmiſchen Sprache in ſei-
nem Dorfe, ſo, daß die Jugend nicht mehr Boͤh-
miſch lernen wollte, die boͤhmiſchen Buͤcher nicht
mehr verſtuͤnde, und daß die Leute ſogar keine Boͤh-
miſchen Predigten mehr verlangten; alles ſollte auf
deutſch gehen! Ich ſtellte dem Manne vor, daß es
großer Unſinn ſey, mitten in Deutſchland noch die
boͤhmiſche Sprache unter den gemeinen Leuten fort-
ſetzen zu wollen: die Leute koͤnnten ſonſt was nuͤtzli-
chers lernen. Aber da hatte ich des Herrn Schul-
meiſters Gunſt gehabt! Er behauptete den Vorzug
ſeiner Sprache vor allen andern, und als ich ihn
noch weiter widerlegte, ward er grob, und ich muſte,
um Haͤndeln vorzubeugen, dem Meiſter nachgeben,
und ſtille ſeyn. Er ſagte nachher zu einem meiner
Kameraden, ich ſey ein ſuperkluger Menſch, ders
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 402[404]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/406>, abgerufen am 21.11.2024.
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