immer mehr selbst nachdenken, und fand, daß das Unglück, ich meyne das moralische Unglück, die Ver- stimmung der moralischen Saiten, der fatale Mis- klang der innern Gefühlnerven, und was davon in meinem Aeußern abhing, blos in meinem Leichtsinn und in meinem schwärmenden Wesen zu suchen war. Aus Bosheit hatte ich wahrlich nie gefehlt: dazu hat- te ich wirklich zu viel Leichtsinn und zu wenig Festig- keit des Karakters. Wie kann ein Mensch aus Bos- heit fehlen, der blos für den Augenblick sorgt, und das Gegenwärtige entweder für das höchste Gut, oder für das höchste Uebel hält, und dann nach sol- chen schönen, freilich sehr wirksamen Vorstellungen auch jedesmal handelt? Allein was hilfts dem Un- glücklichen, ob er es durch Bosheit oder durch Leicht- sinn geworden ist! Genug, mein Leben war ein aus- schweifendes zum Theil schändliches Leben, wie meine Leser ja schon von Anfange dieses Buches bis jetzt in beinahe ununterbrochener Reihe von Erzählungen gesehen haben. Ich sah das endlich nach und nach immer besser ein, und das hatte Einfluß auf meine moralische Genesung.
Dazu kam noch besonders, wie ich zum Theil schon oben berührt habe, eine meinem Zustande an- gemessene Unterhaltung im Lesen. Ich hatte bisher zwar viel, und sehr viel gelesen und behalten. Die meisten alten Schriftsteller, und recht viele neuere
immer mehr ſelbſt nachdenken, und fand, daß das Ungluͤck, ich meyne das moraliſche Ungluͤck, die Ver- ſtimmung der moraliſchen Saiten, der fatale Mis- klang der innern Gefuͤhlnerven, und was davon in meinem Aeußern abhing, blos in meinem Leichtſinn und in meinem ſchwaͤrmenden Weſen zu ſuchen war. Aus Bosheit hatte ich wahrlich nie gefehlt: dazu hat- te ich wirklich zu viel Leichtſinn und zu wenig Feſtig- keit des Karakters. Wie kann ein Menſch aus Bos- heit fehlen, der blos fuͤr den Augenblick ſorgt, und das Gegenwaͤrtige entweder fuͤr das hoͤchſte Gut, oder fuͤr das hoͤchſte Uebel haͤlt, und dann nach ſol- chen ſchoͤnen, freilich ſehr wirkſamen Vorſtellungen auch jedesmal handelt? Allein was hilfts dem Un- gluͤcklichen, ob er es durch Bosheit oder durch Leicht- ſinn geworden iſt! Genug, mein Leben war ein aus- ſchweifendes zum Theil ſchaͤndliches Leben, wie meine Leſer ja ſchon von Anfange dieſes Buches bis jetzt in beinahe ununterbrochener Reihe von Erzaͤhlungen geſehen haben. Ich ſah das endlich nach und nach immer beſſer ein, und das hatte Einfluß auf meine moraliſche Geneſung.
Dazu kam noch beſonders, wie ich zum Theil ſchon oben beruͤhrt habe, eine meinem Zuſtande an- gemeſſene Unterhaltung im Leſen. Ich hatte bisher zwar viel, und ſehr viel geleſen und behalten. Die meiſten alten Schriftſteller, und recht viele neuere
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0472"n="468[470]"/>
immer mehr ſelbſt nachdenken, und fand, daß das<lb/>
Ungluͤck, ich meyne das moraliſche Ungluͤck, die Ver-<lb/>ſtimmung der moraliſchen Saiten, der fatale Mis-<lb/>
klang der innern Gefuͤhlnerven, und was davon in<lb/>
meinem Aeußern abhing, blos in meinem Leichtſinn<lb/>
und in meinem ſchwaͤrmenden Weſen zu ſuchen war.<lb/>
Aus Bosheit hatte ich wahrlich nie gefehlt: dazu hat-<lb/>
te ich wirklich zu viel Leichtſinn und zu wenig Feſtig-<lb/>
keit des Karakters. Wie kann ein Menſch aus Bos-<lb/>
heit fehlen, der blos fuͤr den Augenblick ſorgt, und<lb/>
das Gegenwaͤrtige entweder fuͤr das hoͤchſte Gut,<lb/>
oder fuͤr das hoͤchſte Uebel haͤlt, und dann nach ſol-<lb/>
chen ſchoͤnen, freilich ſehr wirkſamen Vorſtellungen<lb/>
auch jedesmal handelt? Allein was hilfts dem Un-<lb/>
gluͤcklichen, ob er es durch Bosheit oder durch Leicht-<lb/>ſinn geworden iſt! Genug, mein Leben war ein aus-<lb/>ſchweifendes zum Theil ſchaͤndliches Leben, wie meine<lb/>
Leſer ja ſchon von Anfange dieſes Buches bis jetzt in<lb/>
beinahe ununterbrochener Reihe von Erzaͤhlungen<lb/>
geſehen haben. Ich ſah das endlich nach und nach<lb/>
immer beſſer ein, und das hatte Einfluß auf meine<lb/>
moraliſche Geneſung.</p><lb/><p>Dazu kam noch beſonders, wie ich zum Theil<lb/>ſchon oben beruͤhrt habe, eine meinem Zuſtande an-<lb/>
gemeſſene Unterhaltung im Leſen. Ich hatte bisher<lb/>
zwar viel, und ſehr viel geleſen und behalten. Die<lb/>
meiſten alten Schriftſteller, und recht viele neuere<lb/></p></div></body></text></TEI>
[468[470]/0472]
immer mehr ſelbſt nachdenken, und fand, daß das
Ungluͤck, ich meyne das moraliſche Ungluͤck, die Ver-
ſtimmung der moraliſchen Saiten, der fatale Mis-
klang der innern Gefuͤhlnerven, und was davon in
meinem Aeußern abhing, blos in meinem Leichtſinn
und in meinem ſchwaͤrmenden Weſen zu ſuchen war.
Aus Bosheit hatte ich wahrlich nie gefehlt: dazu hat-
te ich wirklich zu viel Leichtſinn und zu wenig Feſtig-
keit des Karakters. Wie kann ein Menſch aus Bos-
heit fehlen, der blos fuͤr den Augenblick ſorgt, und
das Gegenwaͤrtige entweder fuͤr das hoͤchſte Gut,
oder fuͤr das hoͤchſte Uebel haͤlt, und dann nach ſol-
chen ſchoͤnen, freilich ſehr wirkſamen Vorſtellungen
auch jedesmal handelt? Allein was hilfts dem Un-
gluͤcklichen, ob er es durch Bosheit oder durch Leicht-
ſinn geworden iſt! Genug, mein Leben war ein aus-
ſchweifendes zum Theil ſchaͤndliches Leben, wie meine
Leſer ja ſchon von Anfange dieſes Buches bis jetzt in
beinahe ununterbrochener Reihe von Erzaͤhlungen
geſehen haben. Ich ſah das endlich nach und nach
immer beſſer ein, und das hatte Einfluß auf meine
moraliſche Geneſung.
Dazu kam noch beſonders, wie ich zum Theil
ſchon oben beruͤhrt habe, eine meinem Zuſtande an-
gemeſſene Unterhaltung im Leſen. Ich hatte bisher
zwar viel, und ſehr viel geleſen und behalten. Die
meiſten alten Schriftſteller, und recht viele neuere
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 468[470]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/472>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.