teten schon lange gemeinschaftlich an der Vereinigung der Protestanten und Katholiken. Sie sitzen daher, wenn sie sonst nichts zu thun haben, beysammen, untersuchen die Unterscheidungslehren beyder Kir- chen, und schließen bey jeder: "Man könne sie ohne Schaden fahren lassen, und müsse dieses thun, um der Kirche ihre Einigkeit wieder zu verschaf- fen." --
Ich habe einigemal ihren Disputationen bey- gewohnt und bemerkt, daß sie allemal damit en- digten, daß das Korpus der Lehren, so wie diese jezt wären, schlechterdings nicht die Lehre der wah- ren oder der katholischen Kirche seyn könnte: diese sey allgemein, das heißt, habe lauter solche Lehren, welche von jederman ohne Unterschied angenom- men, und nur von Narren oder Bösewichtern ver- worfen werden könnten. Dieß sey so die Religion des ehrlichen Mannes, und darin fände sich kein Papst, keine Transsubstantiation, keine Beichte, keine Messe u. dgl. das seyen lanter Zusätze, die niemand bänden, gesezt auch, sie seyen wahr: denn es könne in der Theologie manches wahr seyn, das doch bey weitem nicht zur Religion gehörte. --
Die Leute räsonnirten so unrecht nicht, aber daran thaten sie unrecht, daß sie die Katholiken mit den Protestanten vereinigen wollten. Da sie mit diesem Vereinigungsplane schon lange um-
teten ſchon lange gemeinſchaftlich an der Vereinigung der Proteſtanten und Katholiken. Sie ſitzen daher, wenn ſie ſonſt nichts zu thun haben, beyſammen, unterſuchen die Unterſcheidungslehren beyder Kir- chen, und ſchließen bey jeder: „Man koͤnne ſie ohne Schaden fahren laſſen, und muͤſſe dieſes thun, um der Kirche ihre Einigkeit wieder zu verſchaf- fen.“ —
Ich habe einigemal ihren Diſputationen bey- gewohnt und bemerkt, daß ſie allemal damit en- digten, daß das Korpus der Lehren, ſo wie dieſe jezt waͤren, ſchlechterdings nicht die Lehre der wah- ren oder der katholiſchen Kirche ſeyn koͤnnte: dieſe ſey allgemein, das heißt, habe lauter ſolche Lehren, welche von jederman ohne Unterſchied angenom- men, und nur von Narren oder Boͤſewichtern ver- worfen werden koͤnnten. Dieß ſey ſo die Religion des ehrlichen Mannes, und darin faͤnde ſich kein Papſt, keine Transſubſtantiation, keine Beichte, keine Meſſe u. dgl. das ſeyen lanter Zuſaͤtze, die niemand baͤnden, geſezt auch, ſie ſeyen wahr: denn es koͤnne in der Theologie manches wahr ſeyn, das doch bey weitem nicht zur Religion gehoͤrte. —
Die Leute raͤſonnirten ſo unrecht nicht, aber daran thaten ſie unrecht, daß ſie die Katholiken mit den Proteſtanten vereinigen wollten. Da ſie mit dieſem Vereinigungsplane ſchon lange um-
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teten ſchon lange gemeinſchaftlich an der Vereinigung
der Proteſtanten und Katholiken. Sie ſitzen daher,
wenn ſie ſonſt nichts zu thun haben, beyſammen,
unterſuchen die Unterſcheidungslehren beyder Kir-
chen, und ſchließen bey jeder: „Man koͤnne ſie
ohne Schaden fahren laſſen, und muͤſſe dieſes thun,
um der Kirche ihre Einigkeit wieder zu verſchaf-
fen.“ —
Ich habe einigemal ihren Diſputationen bey-
gewohnt und bemerkt, daß ſie allemal damit en-
digten, daß das Korpus der Lehren, ſo wie dieſe
jezt waͤren, ſchlechterdings nicht die Lehre der wah-
ren oder der katholiſchen Kirche ſeyn koͤnnte: dieſe
ſey allgemein, das heißt, habe lauter ſolche Lehren,
welche von jederman ohne Unterſchied angenom-
men, und nur von Narren oder Boͤſewichtern ver-
worfen werden koͤnnten. Dieß ſey ſo die Religion
des ehrlichen Mannes, und darin faͤnde ſich kein
Papſt, keine Transſubſtantiation, keine Beichte,
keine Meſſe u. dgl. das ſeyen lanter Zuſaͤtze, die
niemand baͤnden, geſezt auch, ſie ſeyen wahr:
denn es koͤnne in der Theologie manches wahr ſeyn,
das doch bey weitem nicht zur Religion gehoͤrte. —
Die Leute raͤſonnirten ſo unrecht nicht, aber
daran thaten ſie unrecht, daß ſie die Katholiken
mit den Proteſtanten vereinigen wollten. Da ſie
mit dieſem Vereinigungsplane ſchon lange um-
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796/302>, abgerufen am 21.11.2024.
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