öffentlichen Häuser zu besuchen und da den Debat- ten der Leute zuzuhören, oder die angeschlaguen Zettel an den Ecken der Straßen zu lesen, oder in Weinschenken mich mit Leuten von Kopf zu unter- halten, um das jetzige Frankreich, soviel als mög- lich war, kennen zu lernen, auch die Maschinerie genau zu erforschen, wodurch es das geworden ist, was es jezt ist, u. dgl. Diese Art von psycholo- gisch-politischem Studium trieb ich von Ort zu Ort, verglich meine Ausbeute mit der Geschichte, und fand dabey soviel Unterhaltung, daß es mir zum Bedürfniß geworden war. Dieses Bedürfniß konnte ich jezt nicht befriedigen, und meine Wir- thin, eine Wittfrau, ging oft weg, und ließ mich allein; und wenn sie auch da war, so wußte sie doch wenig zu erzählen.
Nach ohngefähr 10 oder 12 Tagen entschloß ich mich, Lyon zu verlassen: meine Freunde, die Oh- nehosen, versicherten mich, solche Wunden heilten von selbst, wenn man nur Pflaster darauf legte. Die Wirthin begehrte auch, daß ich aufs Hospital gehen sollte, weil sie befürchtete, mein Aufenthalt in ihrem Hause mögte ihr Ungelegenheit zuziehen. Ich entdeckte meinen Vorsatz dem Arzte, der ihn aber stracks verwarf, und mir rieth, mich im La- zarethe vollends kuriren zu lassen. Der Mann
oͤffentlichen Haͤuſer zu beſuchen und da den Debat- ten der Leute zuzuhoͤren, oder die angeſchlaguen Zettel an den Ecken der Straßen zu leſen, oder in Weinſchenken mich mit Leuten von Kopf zu unter- halten, um das jetzige Frankreich, ſoviel als moͤg- lich war, kennen zu lernen, auch die Maſchinerie genau zu erforſchen, wodurch es das geworden iſt, was es jezt iſt, u. dgl. Dieſe Art von pſycholo- giſch-politiſchem Studium trieb ich von Ort zu Ort, verglich meine Ausbeute mit der Geſchichte, und fand dabey ſoviel Unterhaltung, daß es mir zum Beduͤrfniß geworden war. Dieſes Beduͤrfniß konnte ich jezt nicht befriedigen, und meine Wir- thin, eine Wittfrau, ging oft weg, und ließ mich allein; und wenn ſie auch da war, ſo wußte ſie doch wenig zu erzaͤhlen.
Nach ohngefaͤhr 10 oder 12 Tagen entſchloß ich mich, Lyon zu verlaſſen: meine Freunde, die Oh- nehoſen, verſicherten mich, ſolche Wunden heilten von ſelbſt, wenn man nur Pflaſter darauf legte. Die Wirthin begehrte auch, daß ich aufs Hoſpital gehen ſollte, weil ſie befuͤrchtete, mein Aufenthalt in ihrem Hauſe moͤgte ihr Ungelegenheit zuziehen. Ich entdeckte meinen Vorſatz dem Arzte, der ihn aber ſtracks verwarf, und mir rieth, mich im La- zarethe vollends kuriren zu laſſen. Der Mann
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0438"n="434"/>
oͤffentlichen Haͤuſer zu beſuchen und da den Debat-<lb/>
ten der Leute zuzuhoͤren, oder die angeſchlaguen<lb/>
Zettel an den Ecken der Straßen zu leſen, oder in<lb/>
Weinſchenken mich mit Leuten von Kopf zu unter-<lb/>
halten, um das jetzige Frankreich, ſoviel als moͤg-<lb/>
lich war, kennen zu lernen, auch die Maſchinerie<lb/>
genau zu erforſchen, wodurch es das geworden iſt,<lb/>
was es jezt iſt, u. dgl. Dieſe Art von pſycholo-<lb/>
giſch-politiſchem Studium trieb ich von Ort zu<lb/>
Ort, verglich meine Ausbeute mit der Geſchichte,<lb/>
und fand dabey ſoviel Unterhaltung, daß es mir<lb/>
zum Beduͤrfniß geworden war. Dieſes Beduͤrfniß<lb/>
konnte ich jezt nicht befriedigen, und meine Wir-<lb/>
thin, eine Wittfrau, ging oft weg, und ließ mich<lb/>
allein; und wenn ſie auch da war, ſo wußte ſie<lb/>
doch wenig zu erzaͤhlen.</p><lb/><p>Nach ohngefaͤhr 10 oder 12 Tagen entſchloß ich<lb/>
mich, Lyon zu verlaſſen: meine Freunde, die Oh-<lb/>
nehoſen, verſicherten mich, ſolche Wunden heilten<lb/>
von ſelbſt, wenn man nur Pflaſter darauf legte.<lb/>
Die Wirthin begehrte auch, daß ich aufs Hoſpital<lb/>
gehen ſollte, weil ſie befuͤrchtete, mein Aufenthalt<lb/>
in ihrem Hauſe moͤgte ihr Ungelegenheit zuziehen.<lb/>
Ich entdeckte meinen Vorſatz dem Arzte, der ihn<lb/>
aber ſtracks verwarf, und mir rieth, mich im La-<lb/>
zarethe vollends kuriren zu laſſen. Der Mann<lb/></p></div></body></text></TEI>
[434/0438]
oͤffentlichen Haͤuſer zu beſuchen und da den Debat-
ten der Leute zuzuhoͤren, oder die angeſchlaguen
Zettel an den Ecken der Straßen zu leſen, oder in
Weinſchenken mich mit Leuten von Kopf zu unter-
halten, um das jetzige Frankreich, ſoviel als moͤg-
lich war, kennen zu lernen, auch die Maſchinerie
genau zu erforſchen, wodurch es das geworden iſt,
was es jezt iſt, u. dgl. Dieſe Art von pſycholo-
giſch-politiſchem Studium trieb ich von Ort zu
Ort, verglich meine Ausbeute mit der Geſchichte,
und fand dabey ſoviel Unterhaltung, daß es mir
zum Beduͤrfniß geworden war. Dieſes Beduͤrfniß
konnte ich jezt nicht befriedigen, und meine Wir-
thin, eine Wittfrau, ging oft weg, und ließ mich
allein; und wenn ſie auch da war, ſo wußte ſie
doch wenig zu erzaͤhlen.
Nach ohngefaͤhr 10 oder 12 Tagen entſchloß ich
mich, Lyon zu verlaſſen: meine Freunde, die Oh-
nehoſen, verſicherten mich, ſolche Wunden heilten
von ſelbſt, wenn man nur Pflaſter darauf legte.
Die Wirthin begehrte auch, daß ich aufs Hoſpital
gehen ſollte, weil ſie befuͤrchtete, mein Aufenthalt
in ihrem Hauſe moͤgte ihr Ungelegenheit zuziehen.
Ich entdeckte meinen Vorſatz dem Arzte, der ihn
aber ſtracks verwarf, und mir rieth, mich im La-
zarethe vollends kuriren zu laſſen. Der Mann
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/438>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.