Aber endlich erschien der Ankläger mit der üblen Zeitung: daß meine Sache in Macon müsse entschieden werden, und daß ich schon Morgen dahin sollte. Ich erschrak heftig, aber der hu- mane Mann erklärte mir, daß ich ohne Sorgen seyn könnte, wenn ich unschuldig wäre: die Franzosen richteten nur die Verbrecher u. s. w. -- Der Ankläger hielt mich wirklich für unschuldig, und ich würde, wenn ich das gewesen wäre, mich jeder Inquisition gern unterzogen haben. Aber ich war nichts weniger, als unschuldig. Ich war in der That in einer Lage, deren richtige Kenntniß mir ohne Umstände das Leben geraubt hätte. Selbst auf der Guillotine hätt' ich nicht einmal denken können, daß mir Unrecht geschähe. -- Ich kann meine Leser versichern, daß ein böses Gewissen ein sehr dummes Ding ist, dem man hundert Schritt aus dem Weg gehen sollte.
Meine Leser müssen sich erinnern, daß das terroristische System gleich nach der Eroberung von Lyon und den daselbst verübten Gräueln, also ge- gen das Ende des Jänners 1794, immer mehr nachließ, wenigstens in den Departementern. Revolutionnäre Verbrechen wurden nur noch in Bordeaux und Nantes bestraft. Alle andre Ange- klagte wurden erst genauer untersucht, und sodann nach Paris geschickt, um da ihr Urtheil fällen zu
Aber endlich erſchien der Anklaͤger mit der uͤblen Zeitung: daß meine Sache in Mâcon muͤſſe entſchieden werden, und daß ich ſchon Morgen dahin ſollte. Ich erſchrak heftig, aber der hu- mane Mann erklaͤrte mir, daß ich ohne Sorgen ſeyn koͤnnte, wenn ich unſchuldig waͤre: die Franzoſen richteten nur die Verbrecher u. ſ. w. — Der Anklaͤger hielt mich wirklich fuͤr unſchuldig, und ich wuͤrde, wenn ich das geweſen waͤre, mich jeder Inquiſition gern unterzogen haben. Aber ich war nichts weniger, als unſchuldig. Ich war in der That in einer Lage, deren richtige Kenntniß mir ohne Umſtaͤnde das Leben geraubt haͤtte. Selbſt auf der Guillotine haͤtt' ich nicht einmal denken koͤnnen, daß mir Unrecht geſchaͤhe. — Ich kann meine Leſer verſichern, daß ein boͤſes Gewiſſen ein ſehr dummes Ding iſt, dem man hundert Schritt aus dem Weg gehen ſollte.
Meine Leſer muͤſſen ſich erinnern, daß das terroriſtiſche Syſtem gleich nach der Eroberung von Lyon und den daſelbſt veruͤbten Graͤueln, alſo ge- gen das Ende des Jaͤnners 1794, immer mehr nachließ, wenigſtens in den Départementern. Revolutionnaͤre Verbrechen wurden nur noch in Bordeaux und Nantes beſtraft. Alle andre Ange- klagte wurden erſt genauer unterſucht, und ſodann nach Paris geſchickt, um da ihr Urtheil faͤllen zu
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Aber endlich erſchien der Anklaͤger mit der
uͤblen Zeitung: daß meine Sache in Mâcon muͤſſe
entſchieden werden, und daß ich ſchon Morgen
dahin ſollte. Ich erſchrak heftig, aber der hu-
mane Mann erklaͤrte mir, daß ich ohne Sorgen
ſeyn koͤnnte, wenn ich unſchuldig waͤre: die
Franzoſen richteten nur die Verbrecher u. ſ. w. —
Der Anklaͤger hielt mich wirklich fuͤr unſchuldig,
und ich wuͤrde, wenn ich das geweſen waͤre, mich
jeder Inquiſition gern unterzogen haben. Aber
ich war nichts weniger, als unſchuldig. Ich war
in der That in einer Lage, deren richtige Kenntniß
mir ohne Umſtaͤnde das Leben geraubt haͤtte. Selbſt
auf der Guillotine haͤtt' ich nicht einmal denken
koͤnnen, daß mir Unrecht geſchaͤhe. — Ich kann
meine Leſer verſichern, daß ein boͤſes Gewiſſen ein
ſehr dummes Ding iſt, dem man hundert Schritt
aus dem Weg gehen ſollte.
Meine Leſer muͤſſen ſich erinnern, daß das
terroriſtiſche Syſtem gleich nach der Eroberung von
Lyon und den daſelbſt veruͤbten Graͤueln, alſo ge-
gen das Ende des Jaͤnners 1794, immer mehr
nachließ, wenigſtens in den Départementern.
Revolutionnaͤre Verbrechen wurden nur noch in
Bordeaux und Nantes beſtraft. Alle andre Ange-
klagte wurden erſt genauer unterſucht, und ſodann
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0402_1797/18>, abgerufen am 21.11.2024.
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