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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797.

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Nach diesem kam die Reihe an mich. Ich
wurde hier sehr umständlich verhört, ich würde
aber meinen guten Lesern lästig fallen, wenn ich
die Fragen und Antworten alle wiederholen wollte.
Einigemal verwirrte ich meine Antworten, und
gab dadurch gefährliche Blößen. Der Präsident
merkte alsobald an, daß ich allerdings Schuld ha-
ben müßte, weil ich in meinen Aussagen wankte.
Aber ich half mir, indem ich sagte, daß ich mich
nicht mehr an alles erinnern könnte, daß durch
ein heftiges Fieber mein ohnehin sehr schwaches
Gedächtniß -- es war nie besser, als damals --
noch mehr abgestumpft s[e]y u. s. w. Ich weiß
nicht, ob man bey einem deutschen Kriminalge-
richte mit Gründen dieser Art zufrieden seyn wür-
de, aber zu Macon war man es, oder man schien
es zu seyn. Der Präsident sagte: du hast Zeit
dich zu besinnen, Citoyen: überlege alles, verge-
genwärtige dir alle Umstände der schändlichen Be-
gebenheit: übermorgen sollst du wieder gehört
werden.

Die beyden nächsten Tage brachte ich im Ge-
fängniß sehr unruhig zu: ich hoffte kaum noch,
durchzukommen, und stellte mir das schlimmste
vor. Der Gedanke an die Guillotine durchschauerte
meinen ganzen Körper: alles, was ich von den
Grundsätzen der Stoischen Schule wußte, war

Nach dieſem kam die Reihe an mich. Ich
wurde hier ſehr umſtaͤndlich verhoͤrt, ich wuͤrde
aber meinen guten Leſern laͤſtig fallen, wenn ich
die Fragen und Antworten alle wiederholen wollte.
Einigemal verwirrte ich meine Antworten, und
gab dadurch gefaͤhrliche Bloͤßen. Der Praͤſident
merkte alſobald an, daß ich allerdings Schuld ha-
ben muͤßte, weil ich in meinen Ausſagen wankte.
Aber ich half mir, indem ich ſagte, daß ich mich
nicht mehr an alles erinnern koͤnnte, daß durch
ein heftiges Fieber mein ohnehin ſehr ſchwaches
Gedaͤchtniß — es war nie beſſer, als damals —
noch mehr abgeſtumpft ſ[e]y u. ſ. w. Ich weiß
nicht, ob man bey einem deutſchen Kriminalge-
richte mit Gruͤnden dieſer Art zufrieden ſeyn wuͤr-
de, aber zu Mâcon war man es, oder man ſchien
es zu ſeyn. Der Praͤſident ſagte: du haſt Zeit
dich zu beſinnen, Citoyen: uͤberlege alles, verge-
genwaͤrtige dir alle Umſtaͤnde der ſchaͤndlichen Be-
gebenheit: uͤbermorgen ſollſt du wieder gehoͤrt
werden.

Die beyden naͤchſten Tage brachte ich im Ge-
faͤngniß ſehr unruhig zu: ich hoffte kaum noch,
durchzukommen, und ſtellte mir das ſchlimmſte
vor. Der Gedanke an die Guillotine durchſchauerte
meinen ganzen Koͤrper: alles, was ich von den
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[18/0022] Nach dieſem kam die Reihe an mich. Ich wurde hier ſehr umſtaͤndlich verhoͤrt, ich wuͤrde aber meinen guten Leſern laͤſtig fallen, wenn ich die Fragen und Antworten alle wiederholen wollte. Einigemal verwirrte ich meine Antworten, und gab dadurch gefaͤhrliche Bloͤßen. Der Praͤſident merkte alſobald an, daß ich allerdings Schuld ha- ben muͤßte, weil ich in meinen Ausſagen wankte. Aber ich half mir, indem ich ſagte, daß ich mich nicht mehr an alles erinnern koͤnnte, daß durch ein heftiges Fieber mein ohnehin ſehr ſchwaches Gedaͤchtniß — es war nie beſſer, als damals — noch mehr abgeſtumpft ſey u. ſ. w. Ich weiß nicht, ob man bey einem deutſchen Kriminalge- richte mit Gruͤnden dieſer Art zufrieden ſeyn wuͤr- de, aber zu Mâcon war man es, oder man ſchien es zu ſeyn. Der Praͤſident ſagte: du haſt Zeit dich zu beſinnen, Citoyen: uͤberlege alles, verge- genwaͤrtige dir alle Umſtaͤnde der ſchaͤndlichen Be- gebenheit: uͤbermorgen ſollſt du wieder gehoͤrt werden. Die beyden naͤchſten Tage brachte ich im Ge- faͤngniß ſehr unruhig zu: ich hoffte kaum noch, durchzukommen, und ſtellte mir das ſchlimmſte vor. Der Gedanke an die Guillotine durchſchauerte meinen ganzen Koͤrper: alles, was ich von den Grundſaͤtzen der Stoiſchen Schule wußte, war

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0402_1797/22>, abgerufen am 21.11.2024.