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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 5. Leipzig, 1802.

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sie müssen schon in einen sauren Apfel beißen, um
nur das liebe Brodt zu erwerben.

Magister artis ingeniique turgitor
Venter, negatas artifex sequi voces.
*)

Von meinen alten Bekannten kam im J. 1797
auch ein gewisser Herr von Briesen. Diesen Men-
schen hatte ich in Göttingen gekannt, und schon
damals hielt man ihn für schwach im Hirne. Er
legte sich unter Michaelis sehr stark auf die Orien-
talische Literatur, und lernte das alte hebräische Te-
stament fast auswendig, dann fiel er über die rab-
binischen Commentare der heiligen Schrift her,
studierte sie fleißig, las das herrliche Buch, den
Talmud, und wurde vor lauter jüdischer Gelehr-
samkeit fast ganz verrückt. Ohne alles Geld kam er
nach Halle und wendete sich an den Direktor des
Waisenhauses, erhielt auch daselbst die gewöhnli-
chen Beneficien. Nun wollte er auch seine hebräi-
schen Kenntnisse den Studenten nützlich machen,
und fing daher an von Stube zu Stube zu laufen,
jedesmal eine Lobrede auf den Hebraismus zu hal-
ten, und sich dann als Präceptor dieser Sprache
ergebenst-gehorsamst zu empfehlen. Der Mann
hatte auch eigne Entdeckungen in der Erklärung des
alten Testaments gemacht, von welchen ich doch

*) Vers. Prolog. in Sat.

ſie muͤſſen ſchon in einen ſauren Apfel beißen, um
nur das liebe Brodt zu erwerben.

Magiſter artis ingeniique turgitor
Venter, negatas artifex ſequi voces.
*)

Von meinen alten Bekannten kam im J. 1797
auch ein gewiſſer Herr von Brieſen. Dieſen Men-
ſchen hatte ich in Goͤttingen gekannt, und ſchon
damals hielt man ihn fuͤr ſchwach im Hirne. Er
legte ſich unter Michaelis ſehr ſtark auf die Orien-
taliſche Literatur, und lernte das alte hebraͤiſche Te-
ſtament faſt auswendig, dann fiel er uͤber die rab-
biniſchen Commentare der heiligen Schrift her,
ſtudierte ſie fleißig, las das herrliche Buch, den
Talmud, und wurde vor lauter juͤdiſcher Gelehr-
ſamkeit faſt ganz verruͤckt. Ohne alles Geld kam er
nach Halle und wendete ſich an den Direktor des
Waiſenhauſes, erhielt auch daſelbſt die gewoͤhnli-
chen Beneficien. Nun wollte er auch ſeine hebraͤi-
ſchen Kenntniſſe den Studenten nuͤtzlich machen,
und fing daher an von Stube zu Stube zu laufen,
jedesmal eine Lobrede auf den Hebraismus zu hal-
ten, und ſich dann als Praͤceptor dieſer Sprache
ergebenſt-gehorſamſt zu empfehlen. Der Mann
hatte auch eigne Entdeckungen in der Erklaͤrung des
alten Teſtaments gemacht, von welchen ich doch

*) Verſ. Prolog. in Sat.
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[92/0100] ſie muͤſſen ſchon in einen ſauren Apfel beißen, um nur das liebe Brodt zu erwerben. Magiſter artis ingeniique turgitor Venter, negatas artifex ſequi voces. *) Von meinen alten Bekannten kam im J. 1797 auch ein gewiſſer Herr von Brieſen. Dieſen Men- ſchen hatte ich in Goͤttingen gekannt, und ſchon damals hielt man ihn fuͤr ſchwach im Hirne. Er legte ſich unter Michaelis ſehr ſtark auf die Orien- taliſche Literatur, und lernte das alte hebraͤiſche Te- ſtament faſt auswendig, dann fiel er uͤber die rab- biniſchen Commentare der heiligen Schrift her, ſtudierte ſie fleißig, las das herrliche Buch, den Talmud, und wurde vor lauter juͤdiſcher Gelehr- ſamkeit faſt ganz verruͤckt. Ohne alles Geld kam er nach Halle und wendete ſich an den Direktor des Waiſenhauſes, erhielt auch daſelbſt die gewoͤhnli- chen Beneficien. Nun wollte er auch ſeine hebraͤi- ſchen Kenntniſſe den Studenten nuͤtzlich machen, und fing daher an von Stube zu Stube zu laufen, jedesmal eine Lobrede auf den Hebraismus zu hal- ten, und ſich dann als Praͤceptor dieſer Sprache ergebenſt-gehorſamſt zu empfehlen. Der Mann hatte auch eigne Entdeckungen in der Erklaͤrung des alten Teſtaments gemacht, von welchen ich doch *) Verſ. Prolog. in Sat.

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 5. Leipzig, 1802, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben05_1802/100>, abgerufen am 24.11.2024.