Etwas zu essen bekam, als bis man das Lied: Gott lebet noch, mit hergeorgelt und neun und neunzig Tischgebeter mit hergeplerret hatte. An An- dacht war nicht zu denken, war aber auch nicht nöthig, und der liebe Gott mußte mit dem Heror- geln und Herplerren schon zufrieden seyn.
Erst gegen sechs Uhr kamen wir nach Nordhau- sen. Ich eilte nach dem Hause des Herrn Justiz- commissarius Lange, aber stehe da! der war nicht zu Hause. Was war zu thun? In ein Gasthaus wollte ich zwar gehen, aber Hr. Wolf nahm mich mit, und ich machte mich schon commode, als Hr. Fromm, der negotiorum gestar des Justizcommis- sars erschien, und mich mit Gewalt fortschleppte. Herr Fromm redete mich folgender Weise an: "Das verborgene Bewußtseyn hat uns electeriomatisch be- lehrt, daß Sie, mein werthester Magister, in dem Dunstkreis der des heiligen Reichs freyen Stadt Nordhausen seit einer Stunde den Punkt Ihrer Existenz genommen haben. Herr Justizcommissar Lange, mein verehrter und bis in das Nichtseyn meines sich selbst vergessenden Bewußtseyn verehr- ter Gönner, Protector und Patronus, ersucht Sie durch die Pusillanimität meines Zungenorgans und durch die Abjecticität meiner Suada, ihre freylich etwas müden Hölzer des Spazierens, loco- motiv zu machen, und mir zu folgen." Diese
N 2
Etwas zu eſſen bekam, als bis man das Lied: Gott lebet noch, mit hergeorgelt und neun und neunzig Tiſchgebeter mit hergeplerret hatte. An An- dacht war nicht zu denken, war aber auch nicht noͤthig, und der liebe Gott mußte mit dem Heror- geln und Herplerren ſchon zufrieden ſeyn.
Erſt gegen ſechs Uhr kamen wir nach Nordhau- ſen. Ich eilte nach dem Hauſe des Herrn Juſtiz- commiſſarius Lange, aber ſtehe da! der war nicht zu Hauſe. Was war zu thun? In ein Gaſthaus wollte ich zwar gehen, aber Hr. Wolf nahm mich mit, und ich machte mich ſchon commode, als Hr. Fromm, der negotiorum geſtar des Juſtizcommiſ- ſars erſchien, und mich mit Gewalt fortſchleppte. Herr Fromm redete mich folgender Weiſe an: „Das verborgene Bewußtſeyn hat uns electeriomatiſch be- lehrt, daß Sie, mein wertheſter Magiſter, in dem Dunſtkreis der des heiligen Reichs freyen Stadt Nordhauſen ſeit einer Stunde den Punkt Ihrer Exiſtenz genommen haben. Herr Juſtizcommiſſar Lange, mein verehrter und bis in das Nichtſeyn meines ſich ſelbſt vergeſſenden Bewußtſeyn verehr- ter Goͤnner, Protector und Patronus, erſucht Sie durch die Puſillanimitaͤt meines Zungenorgans und durch die Abjecticitaͤt meiner Suada, ihre freylich etwas muͤden Hoͤlzer des Spazierens, loco- motiv zu machen, und mir zu folgen.“ Dieſe
N 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0203"n="195"/>
Etwas zu eſſen bekam, als bis man das Lied:<lb/><hirendition="#g">Gott lebet noch</hi>, mit hergeorgelt und neun und<lb/>
neunzig Tiſchgebeter mit hergeplerret hatte. An An-<lb/>
dacht war nicht zu denken, war aber auch nicht<lb/>
noͤthig, und der liebe Gott mußte mit dem Heror-<lb/>
geln und Herplerren ſchon zufrieden ſeyn.</p><lb/><p>Erſt gegen ſechs Uhr kamen wir nach Nordhau-<lb/>ſen. Ich eilte nach dem Hauſe des Herrn Juſtiz-<lb/>
commiſſarius Lange, aber ſtehe da! der war nicht<lb/>
zu Hauſe. Was war zu thun? In ein Gaſthaus<lb/>
wollte ich zwar gehen, aber Hr. Wolf nahm mich<lb/>
mit, und ich machte mich ſchon commode, als Hr.<lb/>
Fromm, der <hirendition="#aq">negotiorum geſtar</hi> des Juſtizcommiſ-<lb/>ſars erſchien, und mich mit Gewalt fortſchleppte.<lb/>
Herr Fromm redete mich folgender Weiſe an: „Das<lb/>
verborgene Bewußtſeyn hat uns electeriomatiſch be-<lb/>
lehrt, daß Sie, mein wertheſter Magiſter, in dem<lb/>
Dunſtkreis der des heiligen Reichs freyen Stadt<lb/>
Nordhauſen ſeit einer Stunde den Punkt Ihrer<lb/>
Exiſtenz genommen haben. Herr Juſtizcommiſſar<lb/>
Lange, mein verehrter und bis in das Nichtſeyn<lb/>
meines ſich ſelbſt vergeſſenden Bewußtſeyn verehr-<lb/>
ter Goͤnner, Protector und Patronus, erſucht Sie<lb/>
durch die Puſillanimitaͤt meines Zungenorgans<lb/>
und durch die Abjecticitaͤt meiner Suada, ihre<lb/>
freylich etwas muͤden Hoͤlzer des Spazierens, loco-<lb/>
motiv zu machen, und mir zu folgen.“ Dieſe<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N 2</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[195/0203]
Etwas zu eſſen bekam, als bis man das Lied:
Gott lebet noch, mit hergeorgelt und neun und
neunzig Tiſchgebeter mit hergeplerret hatte. An An-
dacht war nicht zu denken, war aber auch nicht
noͤthig, und der liebe Gott mußte mit dem Heror-
geln und Herplerren ſchon zufrieden ſeyn.
Erſt gegen ſechs Uhr kamen wir nach Nordhau-
ſen. Ich eilte nach dem Hauſe des Herrn Juſtiz-
commiſſarius Lange, aber ſtehe da! der war nicht
zu Hauſe. Was war zu thun? In ein Gaſthaus
wollte ich zwar gehen, aber Hr. Wolf nahm mich
mit, und ich machte mich ſchon commode, als Hr.
Fromm, der negotiorum geſtar des Juſtizcommiſ-
ſars erſchien, und mich mit Gewalt fortſchleppte.
Herr Fromm redete mich folgender Weiſe an: „Das
verborgene Bewußtſeyn hat uns electeriomatiſch be-
lehrt, daß Sie, mein wertheſter Magiſter, in dem
Dunſtkreis der des heiligen Reichs freyen Stadt
Nordhauſen ſeit einer Stunde den Punkt Ihrer
Exiſtenz genommen haben. Herr Juſtizcommiſſar
Lange, mein verehrter und bis in das Nichtſeyn
meines ſich ſelbſt vergeſſenden Bewußtſeyn verehr-
ter Goͤnner, Protector und Patronus, erſucht Sie
durch die Puſillanimitaͤt meines Zungenorgans
und durch die Abjecticitaͤt meiner Suada, ihre
freylich etwas muͤden Hoͤlzer des Spazierens, loco-
motiv zu machen, und mir zu folgen.“ Dieſe
N 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 5. Leipzig, 1802, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben05_1802/203>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.