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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus X.
81.
Schlangenklugheit und Daubeneinfalt.

Seyd klug, wie die Schlangen, und einfäl-
tig, wie die Dauben. Der Mensch kann alles in
sich vereinigen. Der Christ vereinigt wirklich al-
les Gute in sich, was durch die ganze leblose und
lebendige Schöpfung verbreitet ist.
Alles, was
von allem Guten und Bösen gut ist, sammelt, äussert
sich, regt sich in Ihm und durch Ihn. Er kann von
allem lernen; Von allem etwas nehmen; Klugheit von
den Schlangen; Einfalt von den Dauben; Muth
von dem Löwen; Geduld vom Lamm. Er kann
alles Unreine durch Weisheit und Liebe in sich heiligen
und reinigen. Was ist nun aber Schlangenklugheit;
Was Daubenunschuld? Einfalt, Arglosigkeit?
Einfalt,
dünkt's mich, bezieht sich auf Zwek und Ab-
sicht -- Klugheit
auf die Mittel. Heiter, rein,
crystalllauter -- sey deine Absicht, deine Meynung!
Lichtrein, daß du und dein Sinn, deine Absicht und Mey-
nung der Erde und dem Himmel, mögt' ich sagen, ins
Gesicht sehen dürfen -- Uebrigens wähle die weisesten
Mittel, deinen guten Endzweck zu erreichen, deine rühm-
lichen Absichten durchzusetzen. Vergiß es nicht, daß du
es oft mit argen, schlauen Menschen zu thun hast. Du
must nie Unwahrheit reden -- aber auch nicht immer
alle
Wahrheit sagen -- Sie nicht jedem sagen --
Schau, wen du vor dir hast. Gib das Heilige nicht
den Hunden! Wirf die Perlen nicht vor die

Schwei-
Matthäus X.
81.
Schlangenklugheit und Daubeneinfalt.

Seyd klug, wie die Schlangen, und einfäl-
tig, wie die Dauben. Der Menſch kann alles in
ſich vereinigen. Der Chriſt vereinigt wirklich al-
les Gute in ſich, was durch die ganze lebloſe und
lebendige Schöpfung verbreitet iſt.
Alles, was
von allem Guten und Böſen gut iſt, ſammelt, äuſſert
ſich, regt ſich in Ihm und durch Ihn. Er kann von
allem lernen; Von allem etwas nehmen; Klugheit von
den Schlangen; Einfalt von den Dauben; Muth
von dem Löwen; Geduld vom Lamm. Er kann
alles Unreine durch Weisheit und Liebe in ſich heiligen
und reinigen. Was iſt nun aber Schlangenklugheit;
Was Daubenunſchuld? Einfalt, Argloſigkeit?
Einfalt,
dünkt’s mich, bezieht ſich auf Zwek und Ab-
ſicht — Klugheit
auf die Mittel. Heiter, rein,
cryſtalllauter — ſey deine Abſicht, deine Meynung!
Lichtrein, daß du und dein Sinn, deine Abſicht und Mey-
nung der Erde und dem Himmel, mögt’ ich ſagen, ins
Geſicht ſehen dürfen — Uebrigens wähle die weiſeſten
Mittel, deinen guten Endzweck zu erreichen, deine rühm-
lichen Abſichten durchzuſetzen. Vergiß es nicht, daß du
es oft mit argen, ſchlauen Menſchen zu thun haſt. Du
muſt nie Unwahrheit reden — aber auch nicht immer
alle
Wahrheit ſagen — Sie nicht jedem ſagen —
Schau, wen du vor dir haſt. Gib das Heilige nicht
den Hunden! Wirf die Perlen nicht vor die

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[124[144]/0152] Matthäus X. 81. Schlangenklugheit und Daubeneinfalt. Seyd klug, wie die Schlangen, und einfäl- tig, wie die Dauben. Der Menſch kann alles in ſich vereinigen. Der Chriſt vereinigt wirklich al- les Gute in ſich, was durch die ganze lebloſe und lebendige Schöpfung verbreitet iſt. Alles, was von allem Guten und Böſen gut iſt, ſammelt, äuſſert ſich, regt ſich in Ihm und durch Ihn. Er kann von allem lernen; Von allem etwas nehmen; Klugheit von den Schlangen; Einfalt von den Dauben; Muth von dem Löwen; Geduld vom Lamm. Er kann alles Unreine durch Weisheit und Liebe in ſich heiligen und reinigen. Was iſt nun aber Schlangenklugheit; Was Daubenunſchuld? Einfalt, Argloſigkeit? Einfalt, dünkt’s mich, bezieht ſich auf Zwek und Ab- ſicht — Klugheit auf die Mittel. Heiter, rein, cryſtalllauter — ſey deine Abſicht, deine Meynung! Lichtrein, daß du und dein Sinn, deine Abſicht und Mey- nung der Erde und dem Himmel, mögt’ ich ſagen, ins Geſicht ſehen dürfen — Uebrigens wähle die weiſeſten Mittel, deinen guten Endzweck zu erreichen, deine rühm- lichen Abſichten durchzuſetzen. Vergiß es nicht, daß du es oft mit argen, ſchlauen Menſchen zu thun haſt. Du muſt nie Unwahrheit reden — aber auch nicht immer alle Wahrheit ſagen — Sie nicht jedem ſagen — Schau, wen du vor dir haſt. Gib das Heilige nicht den Hunden! Wirf die Perlen nicht vor die Schwei-

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 124[144]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/152>, abgerufen am 09.11.2024.