Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Matthäus XII.
sie die Ersten gewesen, die, sobald die Erscheinung wieder
verschwunden wäre, drüber gespottet, und geurtheilt hät-
ten -- "Es wäre sonst und zufälliger Weise geschehen!"
Welches Wunder, das am Himmel hätte geschehen kön-
nen, hätte so dauerhaft, so wichtig, so nützlich, des
Königs
und Arztes der Menschheit so würdig -- so
menschenfreundlich seyn können, wie die hundert und
tausend wunderbaren Hülfen, die Jesus alle Tage
dem mit Elende beladenen Menschengeschlechte leistete!
Dem Feinde der Wahrheit kann nie kein Freund der
Wahrheit, kein Christus auf Erden, kein Gott im Him-
mel genug thun. Denke nie, daß du Ihn überzeugen
könnest. Wer das nicht sehen will, was vor ihm liegt,
wird auch das nicht sehen wollen, was vor ihm liegen
wird.
Wer im Gegenwärtigen untreu ist, mit Lust,
mit Wohlgefallen untreu ist -- der wird es auch in der
Zukunft seyn.

Uebrigens ist merkwürdig, wie Jesus keine Ge-
legenheit vorbeyläßt, für die Schriften des alten Bun-
des seine Verehrung zu bezeugen, und das Siegel des
göttlichen Beyfalls darauf zu drücken! Wie ganz ver-
schieden dacht Er von dem frechen Geist unsrer Zeit --
da, nicht mehr nur öffentliche und erklärte Ungläubige
und Bestreiter des Christenthums und der Offenbahrung,
sondern bald Haufen, sogenannter christlicher Lehrer
und Schriftgelehrten des alten Testamentes und der
wunderbaren Geschichten, wovon dasselbe voll ist, sich
nicht nur schämen, sondern mit Verachtung davon re-
den! Mögen Sie's! Was Christus ehrte, will ich

auch

Matthäus XII.
ſie die Erſten geweſen, die, ſobald die Erſcheinung wieder
verſchwunden wäre, drüber geſpottet, und geurtheilt hät-
ten — „Es wäre ſonſt und zufälliger Weiſe geſchehen!„
Welches Wunder, das am Himmel hätte geſchehen kön-
nen, hätte ſo dauerhaft, ſo wichtig, ſo nützlich, des
Königs
und Arztes der Menſchheit ſo würdig — ſo
menſchenfreundlich ſeyn können, wie die hundert und
tauſend wunderbaren Hülfen, die Jeſus alle Tage
dem mit Elende beladenen Menſchengeſchlechte leiſtete!
Dem Feinde der Wahrheit kann nie kein Freund der
Wahrheit, kein Chriſtus auf Erden, kein Gott im Him-
mel genug thun. Denke nie, daß du Ihn überzeugen
könneſt. Wer das nicht ſehen will, was vor ihm liegt,
wird auch das nicht ſehen wollen, was vor ihm liegen
wird.
Wer im Gegenwärtigen untreu iſt, mit Luſt,
mit Wohlgefallen untreu iſt — der wird es auch in der
Zukunft ſeyn.

Uebrigens iſt merkwürdig, wie Jeſus keine Ge-
legenheit vorbeyläßt, für die Schriften des alten Bun-
des ſeine Verehrung zu bezeugen, und das Siegel des
göttlichen Beyfalls darauf zu drücken! Wie ganz ver-
ſchieden dacht Er von dem frechen Geiſt unſrer Zeit —
da, nicht mehr nur öffentliche und erklärte Ungläubige
und Beſtreiter des Chriſtenthums und der Offenbahrung,
ſondern bald Haufen, ſogenannter chriſtlicher Lehrer
und Schriftgelehrten des alten Teſtamentes und der
wunderbaren Geſchichten, wovon daſſelbe voll iſt, ſich
nicht nur ſchämen, ſondern mit Verachtung davon re-
den! Mögen Sie’s! Was Chriſtus ehrte, will ich

auch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0198" n="170[190]"/><fw place="top" type="header">Matthäus <hi rendition="#aq">XII.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ie die Er&#x017F;ten gewe&#x017F;en, die, &#x017F;obald die Er&#x017F;cheinung wieder<lb/>
ver&#x017F;chwunden wäre, drüber ge&#x017F;pottet, und geurtheilt hät-<lb/>
ten &#x2014; &#x201E;Es wäre &#x017F;on&#x017F;t und zufälliger Wei&#x017F;e ge&#x017F;chehen!&#x201E;<lb/>
Welches Wunder, das am Himmel hätte ge&#x017F;chehen kön-<lb/>
nen, hätte &#x017F;o dauerhaft, &#x017F;o wichtig, &#x017F;o nützlich, <hi rendition="#fr">des<lb/>
Königs</hi> und <hi rendition="#fr">Arztes der Men&#x017F;chheit</hi> &#x017F;o würdig &#x2014; &#x017F;o<lb/>
men&#x017F;chenfreundlich &#x017F;eyn können, wie die hundert und<lb/>
tau&#x017F;end wunderbaren Hülfen, die <hi rendition="#fr">Je&#x017F;us</hi> alle Tage<lb/>
dem mit Elende beladenen Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechte lei&#x017F;tete!<lb/>
Dem Feinde der Wahrheit kann nie kein Freund der<lb/>
Wahrheit, kein Chri&#x017F;tus auf Erden, kein Gott im Him-<lb/>
mel genug thun. Denke nie, daß du Ihn überzeugen<lb/>
könne&#x017F;t. Wer das nicht &#x017F;ehen will, was vor ihm <hi rendition="#fr">liegt,</hi><lb/>
wird auch das nicht &#x017F;ehen wollen, was vor ihm <hi rendition="#fr">liegen<lb/>
wird.</hi> Wer im Gegenwärtigen untreu i&#x017F;t, mit Lu&#x017F;t,<lb/>
mit Wohlgefallen untreu i&#x017F;t &#x2014; der wird es auch in der<lb/>
Zukunft &#x017F;eyn.</p><lb/>
            <p>Uebrigens i&#x017F;t merkwürdig, wie <hi rendition="#fr">Je&#x017F;us</hi> keine Ge-<lb/>
legenheit vorbeyläßt, für die Schriften des alten Bun-<lb/>
des &#x017F;eine Verehrung zu bezeugen, und das Siegel des<lb/>
göttlichen Beyfalls darauf zu drücken! Wie ganz ver-<lb/>
&#x017F;chieden dacht Er von dem frechen Gei&#x017F;t un&#x017F;rer Zeit &#x2014;<lb/>
da, nicht mehr nur öffentliche und erklärte Ungläubige<lb/>
und Be&#x017F;treiter des Chri&#x017F;tenthums und der Offenbahrung,<lb/>
&#x017F;ondern bald Haufen, &#x017F;ogenannter <hi rendition="#fr">chri&#x017F;tlicher</hi> Lehrer<lb/>
und Schriftgelehrten des alten Te&#x017F;tamentes und der<lb/>
wunderbaren Ge&#x017F;chichten, wovon da&#x017F;&#x017F;elbe voll i&#x017F;t, &#x017F;ich<lb/>
nicht nur &#x017F;chämen, &#x017F;ondern mit Verachtung davon re-<lb/>
den! Mögen Sie&#x2019;s! Was <hi rendition="#fr">Chri&#x017F;tus</hi> ehrte, will ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">auch</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170[190]/0198] Matthäus XII. ſie die Erſten geweſen, die, ſobald die Erſcheinung wieder verſchwunden wäre, drüber geſpottet, und geurtheilt hät- ten — „Es wäre ſonſt und zufälliger Weiſe geſchehen!„ Welches Wunder, das am Himmel hätte geſchehen kön- nen, hätte ſo dauerhaft, ſo wichtig, ſo nützlich, des Königs und Arztes der Menſchheit ſo würdig — ſo menſchenfreundlich ſeyn können, wie die hundert und tauſend wunderbaren Hülfen, die Jeſus alle Tage dem mit Elende beladenen Menſchengeſchlechte leiſtete! Dem Feinde der Wahrheit kann nie kein Freund der Wahrheit, kein Chriſtus auf Erden, kein Gott im Him- mel genug thun. Denke nie, daß du Ihn überzeugen könneſt. Wer das nicht ſehen will, was vor ihm liegt, wird auch das nicht ſehen wollen, was vor ihm liegen wird. Wer im Gegenwärtigen untreu iſt, mit Luſt, mit Wohlgefallen untreu iſt — der wird es auch in der Zukunft ſeyn. Uebrigens iſt merkwürdig, wie Jeſus keine Ge- legenheit vorbeyläßt, für die Schriften des alten Bun- des ſeine Verehrung zu bezeugen, und das Siegel des göttlichen Beyfalls darauf zu drücken! Wie ganz ver- ſchieden dacht Er von dem frechen Geiſt unſrer Zeit — da, nicht mehr nur öffentliche und erklärte Ungläubige und Beſtreiter des Chriſtenthums und der Offenbahrung, ſondern bald Haufen, ſogenannter chriſtlicher Lehrer und Schriftgelehrten des alten Teſtamentes und der wunderbaren Geſchichten, wovon daſſelbe voll iſt, ſich nicht nur ſchämen, ſondern mit Verachtung davon re- den! Mögen Sie’s! Was Chriſtus ehrte, will ich auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/198
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 170[190]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/198>, abgerufen am 29.11.2024.