Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.Matthäus XIII. geben werden. -- Vor der Zeit soll kein Privatge-richt gehalten, keine Sonderung der guten und bösen Menschen vorgenommen werden. Die Guten müssen unter den Bösen so gut werden als sie werden können. Ohne böse Menschen könnten die Guten nicht vollkom- men gut, ohne die Guten die Bösen nicht so böse werden, daß ihre Bosheit als unverbesserlich Jedermann einleuch- ten muß. Tugend als Tugend setzt immer Wider- stand und Laster neben sich voraus. Wo Mangel ist, ist Mäßigkeit nicht Tugend. Wo keine Neigung zum Zorne statt hat, kann es keine bewährte Sanft- muth geben; Keine bewährte Geduld, wo nicht viel Lei- den ist; Keine Versöhnlichkeit ohne Feindseeligkeit; Kei- ne Großmuth auf der Einen ohne Beleidigung auf der andern Seite. Also treibt immer eins das andere hö- her! Ruhig und hofnungsvoll also laßt uns die Zeit der Zeitigung und Scheidung abwarten! Sie wird nicht ausbleiben. Sie kommt mit jedem Tage. Je sichtbar höher das Unkraut gewachsen, desto leichter läßt es sich ausraufen, desto verbrennungswürdiger erscheint es. Gottes Gerechtigkeit am letzten Tage muß nicht nur ge- glaubt, sie muß im hellsten Lichte gesehen werden. Alles muß Gott rechtfertigen. Seine Langmuth muß sich über allen Ausdruck anbethungswürdig erzeigen. Als satanisch und abscheulich muß alles Böse -- Als gött- lich, als Christus würdig muß alles Gute offenb[a]hr werden. Wie die Sonne die Nacht verdrängt, so Chri- stus und seine Freunde, jede Art von Finsterniß, na- türliche, sittliche, geistliche. Die Gerechren werden leuch-
Matthäus XIII. geben werden. — Vor der Zeit ſoll kein Privatge-richt gehalten, keine Sonderung der guten und böſen Menſchen vorgenommen werden. Die Guten müſſen unter den Böſen ſo gut werden als ſie werden können. Ohne böſe Menſchen könnten die Guten nicht vollkom- men gut, ohne die Guten die Böſen nicht ſo böſe werden, daß ihre Bosheit als unverbeſſerlich Jedermann einleuch- ten muß. Tugend als Tugend ſetzt immer Wider- ſtand und Laſter neben ſich voraus. Wo Mangel iſt, iſt Mäßigkeit nicht Tugend. Wo keine Neigung zum Zorne ſtatt hat, kann es keine bewährte Sanft- muth geben; Keine bewährte Geduld, wo nicht viel Lei- den iſt; Keine Verſöhnlichkeit ohne Feindſeeligkeit; Kei- ne Großmuth auf der Einen ohne Beleidigung auf der andern Seite. Alſo treibt immer eins das andere hö- her! Ruhig und hofnungsvoll alſo laßt uns die Zeit der Zeitigung und Scheidung abwarten! Sie wird nicht ausbleiben. Sie kommt mit jedem Tage. Je ſichtbar höher das Unkraut gewachſen, deſto leichter läßt es ſich ausraufen, deſto verbrennungswürdiger erſcheint es. Gottes Gerechtigkeit am letzten Tage muß nicht nur ge- glaubt, ſie muß im hellſten Lichte geſehen werden. Alles muß Gott rechtfertigen. Seine Langmuth muß ſich über allen Ausdruck anbethungswürdig erzeigen. Als ſataniſch und abſcheulich muß alles Böſe — Als gött- lich, als Chriſtus würdig muß alles Gute offenb[a]hr werden. Wie die Sonne die Nacht verdrängt, ſo Chri- ſtus und ſeine Freunde, jede Art von Finſterniß, na- türliche, ſittliche, geiſtliche. Die Gerechren werden leuch-
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Matthäus XIII.
geben werden. — Vor der Zeit ſoll kein Privatge-
richt gehalten, keine Sonderung der guten und böſen
Menſchen vorgenommen werden. Die Guten müſſen
unter den Böſen ſo gut werden als ſie werden können.
Ohne böſe Menſchen könnten die Guten nicht vollkom-
men gut, ohne die Guten die Böſen nicht ſo böſe werden,
daß ihre Bosheit als unverbeſſerlich Jedermann einleuch-
ten muß. Tugend als Tugend ſetzt immer Wider-
ſtand und Laſter neben ſich voraus. Wo Mangel
iſt, iſt Mäßigkeit nicht Tugend. Wo keine Neigung
zum Zorne ſtatt hat, kann es keine bewährte Sanft-
muth geben; Keine bewährte Geduld, wo nicht viel Lei-
den iſt; Keine Verſöhnlichkeit ohne Feindſeeligkeit; Kei-
ne Großmuth auf der Einen ohne Beleidigung auf der
andern Seite. Alſo treibt immer eins das andere hö-
her! Ruhig und hofnungsvoll alſo laßt uns die Zeit
der Zeitigung und Scheidung abwarten! Sie wird nicht
ausbleiben. Sie kommt mit jedem Tage. Je ſichtbar
höher das Unkraut gewachſen, deſto leichter läßt es ſich
ausraufen, deſto verbrennungswürdiger erſcheint es.
Gottes Gerechtigkeit am letzten Tage muß nicht nur ge-
glaubt, ſie muß im hellſten Lichte geſehen werden.
Alles muß Gott rechtfertigen. Seine Langmuth muß
ſich über allen Ausdruck anbethungswürdig erzeigen. Als
ſataniſch und abſcheulich muß alles Böſe — Als gött-
lich, als Chriſtus würdig muß alles Gute offenbahr
werden. Wie die Sonne die Nacht verdrängt, ſo Chri-
ſtus und ſeine Freunde, jede Art von Finſterniß, na-
türliche, ſittliche, geiſtliche. Die Gerechren werden
leuch-
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