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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Weg zur Glückseeligkeit. Reichthum.

2. Was soll ich gutes thun? Frägt der nach
dem unsterblichen Leben begierige Frager. Etwas in uns
sagt es uns gar zu deutlich: Gutes thun sey unsere Be-
stimmung; Ein guter Mensch, der gutes thue -- ha-
be Anspruch auf Unsterblichkeit. So tief ist kaum ein
Mensch verfallen, daß er je im Ernste fragen könnte:
"Was muß ich böses thun, damit ich seelig werde?"
Jeder Mensch weiß es, daß bösesthun alle Hoffnung zu
ewiger Glückseeligkeit in ihm erstickt. Je böser ein
Mensch, desto weniger hofft er Glückseeligkeit nach dem
Tode. Je besser der Mensch, desto mehr hofft er Frey-
heit und Erlösung von allem Uebel, und ewige frohe
Fortdauer. Religion ist eben sowohl Tochter als
Mutter der Tugend. Das heißt: Glauben an
unsichtbare ewige Dinge, die auf uns Einfluß
haben,
stärkt sich eben so sehr durch Gutes thun, --
als der Eifer im Gutsthun sich durch diesen Glauben
stärkt.

3. Der Jüngling nennt unsern Herrn: Guter
Meister! Mit Recht und Unrecht. Mit Recht, denn,
wenn irgend ein Mensch diesen Namen verdiente, so
verdiente Er ihn. Wer war gut, wenn Er es nicht
war? Wer könnte an Güte, Gutheit, Wohlwollen mit
Ihm verglichen werden? Wer war so edelmüthig, so rein,
so unschuldig, so entfernt vom Bösen, so unverführ-
bar zum Bösen, wie Er? Wer hatte sogar keinen bö-
sen Blutstropfen, wie Er? -- Und dennoch frägt die-
ser übergute den, der Ihn gut nennt: Was heissest
du mich gut? Es ist Niemand gut, als der ei-

nige
S 5
Weg zur Glückſeeligkeit. Reichthum.

2. Was ſoll ich gutes thun? Frägt der nach
dem unſterblichen Leben begierige Frager. Etwas in uns
ſagt es uns gar zu deutlich: Gutes thun ſey unſere Be-
ſtimmung; Ein guter Menſch, der gutes thue — ha-
be Anſpruch auf Unſterblichkeit. So tief iſt kaum ein
Menſch verfallen, daß er je im Ernſte fragen könnte:
„Was muß ich böſes thun, damit ich ſeelig werde?„
Jeder Menſch weiß es, daß böſesthun alle Hoffnung zu
ewiger Glückſeeligkeit in ihm erſtickt. Je böſer ein
Menſch, deſto weniger hofft er Glückſeeligkeit nach dem
Tode. Je beſſer der Menſch, deſto mehr hofft er Frey-
heit und Erlöſung von allem Uebel, und ewige frohe
Fortdauer. Religion iſt eben ſowohl Tochter als
Mutter der Tugend. Das heißt: Glauben an
unſichtbare ewige Dinge, die auf uns Einfluß
haben,
ſtärkt ſich eben ſo ſehr durch Gutes thun,
als der Eifer im Gutsthun ſich durch dieſen Glauben
ſtärkt.

3. Der Jüngling nennt unſern Herrn: Guter
Meiſter! Mit Recht und Unrecht. Mit Recht, denn,
wenn irgend ein Menſch dieſen Namen verdiente, ſo
verdiente Er ihn. Wer war gut, wenn Er es nicht
war? Wer könnte an Güte, Gutheit, Wohlwollen mit
Ihm verglichen werden? Wer war ſo edelmüthig, ſo rein,
ſo unſchuldig, ſo entfernt vom Böſen, ſo unverführ-
bar zum Böſen, wie Er? Wer hatte ſogar keinen bö-
ſen Blutstropfen, wie Er? — Und dennoch frägt die-
ſer übergute den, der Ihn gut nennt: Was heiſſeſt
du mich gut? Es iſt Niemand gut, als der ei-

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[281[301]/0309] Weg zur Glückſeeligkeit. Reichthum. 2. Was ſoll ich gutes thun? Frägt der nach dem unſterblichen Leben begierige Frager. Etwas in uns ſagt es uns gar zu deutlich: Gutes thun ſey unſere Be- ſtimmung; Ein guter Menſch, der gutes thue — ha- be Anſpruch auf Unſterblichkeit. So tief iſt kaum ein Menſch verfallen, daß er je im Ernſte fragen könnte: „Was muß ich böſes thun, damit ich ſeelig werde?„ Jeder Menſch weiß es, daß böſesthun alle Hoffnung zu ewiger Glückſeeligkeit in ihm erſtickt. Je böſer ein Menſch, deſto weniger hofft er Glückſeeligkeit nach dem Tode. Je beſſer der Menſch, deſto mehr hofft er Frey- heit und Erlöſung von allem Uebel, und ewige frohe Fortdauer. Religion iſt eben ſowohl Tochter als Mutter der Tugend. Das heißt: Glauben an unſichtbare ewige Dinge, die auf uns Einfluß haben, ſtärkt ſich eben ſo ſehr durch Gutes thun, — als der Eifer im Gutsthun ſich durch dieſen Glauben ſtärkt. 3. Der Jüngling nennt unſern Herrn: Guter Meiſter! Mit Recht und Unrecht. Mit Recht, denn, wenn irgend ein Menſch dieſen Namen verdiente, ſo verdiente Er ihn. Wer war gut, wenn Er es nicht war? Wer könnte an Güte, Gutheit, Wohlwollen mit Ihm verglichen werden? Wer war ſo edelmüthig, ſo rein, ſo unſchuldig, ſo entfernt vom Böſen, ſo unverführ- bar zum Böſen, wie Er? Wer hatte ſogar keinen bö- ſen Blutstropfen, wie Er? — Und dennoch frägt die- ſer übergute den, der Ihn gut nennt: Was heiſſeſt du mich gut? Es iſt Niemand gut, als der ei- nige S 5

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 281[301]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/309>, abgerufen am 24.11.2024.