euer Vater, der in den Himmeln ist, verzeihe. Wenn ihr aber nicht verzeihet; So wird auch euer Va- ter, der in den Himmeln ist, euere Fehler nicht ver- zeihen. Und nun noch, ehe wir zu den Anmerkungen Luc. XVII. 5. 6.selbst kommen, eine Parallelstelle: Die Apostel sprachen zum Herrn: Herr! Mehre uns den Glauben; Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, so werdet ihr zu diesem Maulbeer- baum sagen: Reiß dich aus der Wurzel und ver- setze dich ins Meer: So würde er euch gehor- sam seyn.
Was follen Christen über diese Stelle für Betrach- tungen machen? Was sollen sie für ihren Verstand und ihr Herz daraus schöpfen? -- Euch Christen meyn' ich mit Nathanaels Seelen -- voll Daubeneinfalt und Kin- dersinns! -- Wie wir immer diese Stellen nehmen mö- gen -- Buchstäblich oder sinnbildlich, wir werden etwas sagen müssen, was der Geist unsers Glaubenhas- senden Zeitalters aneckeln oder bespötteln wird. Sehen wir diese Verdorrung eines fruchtlosen Feigenbaums, von dem Jesus Frucht suchte, weil es noch nicht der Feigen Zeit, das kann heissen, die Pflückzeit war, die Feigenlese noch nicht vorbey war -- bloß als eine (sym- bolische oder) sinnbildliche Handlung unsers Herrn an -- wodurch Er das unausbleibliche Schicksal fruchtlä- rer und Thatenloser Menschen uns sinnlich darstellen und ans Herz legen will; -- So werden vielleicht einige darüber als eine mystische (geheimnißsuchende) Deutung lachen. Nehmen wir's aber buchstäblich, und führen diese Geschichte als ein Beyspiel von der Kraft des Glau-
bens
Matthäus XXI.
euer Vater, der in den Himmeln iſt, verzeihe. Wenn ihr aber nicht verzeihet; So wird auch euer Va- ter, der in den Himmeln iſt, euere Fehler nicht ver- zeihen. Und nun noch, ehe wir zu den Anmerkungen Luc. XVII. 5. 6.ſelbſt kommen, eine Parallelſtelle: Die Apoſtel ſprachen zum Herrn: Herr! Mehre uns den Glauben; Der Herr aber ſprach: Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, ſo werdet ihr zu dieſem Maulbeer- baum ſagen: Reiß dich aus der Wurzel und ver- ſetze dich ins Meer: So würde er euch gehor- ſam ſeyn.
Was follen Chriſten über dieſe Stelle für Betrach- tungen machen? Was ſollen ſie für ihren Verſtand und ihr Herz daraus ſchöpfen? — Euch Chriſten meyn’ ich mit Nathanaels Seelen — voll Daubeneinfalt und Kin- derſinns! — Wie wir immer dieſe Stellen nehmen mö- gen — Buchſtäblich oder ſinnbildlich, wir werden etwas ſagen müſſen, was der Geiſt unſers Glaubenhaſ- ſenden Zeitalters aneckeln oder beſpötteln wird. Sehen wir dieſe Verdorrung eines fruchtloſen Feigenbaums, von dem Jeſus Frucht ſuchte, weil es noch nicht der Feigen Zeit, das kann heiſſen, die Pflückzeit war, die Feigenleſe noch nicht vorbey war — bloß als eine (ſym- boliſche oder) ſinnbildliche Handlung unſers Herrn an — wodurch Er das unausbleibliche Schickſal fruchtlä- rer und Thatenloſer Menſchen uns ſinnlich darſtellen und ans Herz legen will; — So werden vielleicht einige darüber als eine myſtiſche (geheimnißſuchende) Deutung lachen. Nehmen wir’s aber buchſtäblich, und führen dieſe Geſchichte als ein Beyſpiel von der Kraft des Glau-
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[312[332]/0340]
Matthäus XXI.
euer Vater, der in den Himmeln iſt, verzeihe. Wenn
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ter, der in den Himmeln iſt, euere Fehler nicht ver-
zeihen. Und nun noch, ehe wir zu den Anmerkungen
ſelbſt kommen, eine Parallelſtelle: Die Apoſtel ſprachen
zum Herrn: Herr! Mehre uns den Glauben; Der
Herr aber ſprach: Wenn ihr Glauben hättet wie
ein Senfkorn, ſo werdet ihr zu dieſem Maulbeer-
baum ſagen: Reiß dich aus der Wurzel und ver-
ſetze dich ins Meer: So würde er euch gehor-
ſam ſeyn.
Luc.
XVII. 5. 6.
Was follen Chriſten über dieſe Stelle für Betrach-
tungen machen? Was ſollen ſie für ihren Verſtand und
ihr Herz daraus ſchöpfen? — Euch Chriſten meyn’ ich
mit Nathanaels Seelen — voll Daubeneinfalt und Kin-
derſinns! — Wie wir immer dieſe Stellen nehmen mö-
gen — Buchſtäblich oder ſinnbildlich, wir werden
etwas ſagen müſſen, was der Geiſt unſers Glaubenhaſ-
ſenden Zeitalters aneckeln oder beſpötteln wird. Sehen
wir dieſe Verdorrung eines fruchtloſen Feigenbaums,
von dem Jeſus Frucht ſuchte, weil es noch nicht der
Feigen Zeit, das kann heiſſen, die Pflückzeit war, die
Feigenleſe noch nicht vorbey war — bloß als eine (ſym-
boliſche oder) ſinnbildliche Handlung unſers Herrn an
— wodurch Er das unausbleibliche Schickſal fruchtlä-
rer und Thatenloſer Menſchen uns ſinnlich darſtellen und
ans Herz legen will; — So werden vielleicht einige
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 312[332]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/340>, abgerufen am 24.11.2024.
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