Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.Matthäus XXIII. gleisset, für Sonnenstrahl, was blendet -- aber derHerr sieht das Herz an. Scheine noch so gut, noch so edel, fromm, erbarmungsvoll, sanftmüthig, deh- müthig -- bist du's nicht wirklich und innig; Dein Urtheil wird schwehrer seyn, als wenn du's auch nicht scheinen würdest. Thue allen Buchstaben des göttli- chen Gesetzes aufs geflissenste, auf's ängstlichste -- Ist der Geist des Herrn nicht in dir, ist nicht Glaube und Liebe, Wurzel und Quelle deiner Worte und Werke; Kommt dein Aeusseres nicht aus dem Inneren -- der Schein nicht aus dem Wesen -- Alle dein Lohn ist da- hin. Würdest du je, als Vater als Mutter, als Freund mit dem Aeussern, wenn noch so geflissen beob- achteten, noch so ängstlich gehäuften Zeichen der kindli- chen Ehrfurcht und Gehorsams, der Freundschaft und Lie- be zufrieden seyn? Wer in der Welt will Schein ohne Wesen? Schaale ohne Kern? Wer verabscheut's nicht, wen empört's nicht? Wer hälts nicht für Ungerechtig- keit, für strafbaren Betrug, wenn ihm Jemand den Schein der Sache für die Sache selbst giebt? Und Gott sollte damit zufrieden seyn!! Nein -- Ein reiner und Joh. I. 27.unbefleckter Gottesdienst vor Gott und dem Va- ter ist nicht -- breite Denkzedel -- nicht Anis und Küm- mel verzehnden -- nicht Schüsseln und Becher reini- gen -- nicht Aeusserlichkeit, nicht frommer Schein, nicht tadellose Weltehrbarkeit und Weltreligion, sondern Wittwen und Waysen in ihrer Trübsal besuchen und sich selbst von der Welt unbefleckt behalten. 173. Zeug-
Matthäus XXIII. gleiſſet, für Sonnenſtrahl, was blendet — aber derHerr ſieht das Herz an. Scheine noch ſo gut, noch ſo edel, fromm, erbarmungsvoll, ſanftmüthig, deh- müthig — biſt du’s nicht wirklich und innig; Dein Urtheil wird ſchwehrer ſeyn, als wenn du’s auch nicht ſcheinen würdeſt. Thue allen Buchſtaben des göttli- chen Geſetzes aufs gefliſſenſte, auf’s ängſtlichſte — Iſt der Geiſt des Herrn nicht in dir, iſt nicht Glaube und Liebe, Wurzel und Quelle deiner Worte und Werke; Kommt dein Aeuſſeres nicht aus dem Inneren — der Schein nicht aus dem Weſen — Alle dein Lohn iſt da- hin. Würdeſt du je, als Vater als Mutter, als Freund mit dem Aeuſſern, wenn noch ſo gefliſſen beob- achteten, noch ſo ängſtlich gehäuften Zeichen der kindli- chen Ehrfurcht und Gehorſams, der Freundſchaft und Lie- be zufrieden ſeyn? Wer in der Welt will Schein ohne Weſen? Schaale ohne Kern? Wer verabſcheut’s nicht, wen empört’s nicht? Wer hälts nicht für Ungerechtig- keit, für ſtrafbaren Betrug, wenn ihm Jemand den Schein der Sache für die Sache ſelbſt giebt? Und Gott ſollte damit zufrieden ſeyn!! Nein — Ein reiner und Joh. I. 27.unbefleckter Gottesdienſt vor Gott und dem Va- ter iſt nicht — breite Denkzedel — nicht Anis und Küm- mel verzehnden — nicht Schüſſeln und Becher reini- gen — nicht Aeuſſerlichkeit, nicht frommer Schein, nicht tadelloſe Weltehrbarkeit und Weltreligion, ſondern Wittwen und Wayſen in ihrer Trübſal beſuchen und ſich ſelbſt von der Welt unbefleckt behalten. 173. Zeug-
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Matthäus XXIII.
gleiſſet, für Sonnenſtrahl, was blendet — aber der
Herr ſieht das Herz an. Scheine noch ſo gut, noch
ſo edel, fromm, erbarmungsvoll, ſanftmüthig, deh-
müthig — biſt du’s nicht wirklich und innig; Dein
Urtheil wird ſchwehrer ſeyn, als wenn du’s auch nicht
ſcheinen würdeſt. Thue allen Buchſtaben des göttli-
chen Geſetzes aufs gefliſſenſte, auf’s ängſtlichſte — Iſt
der Geiſt des Herrn nicht in dir, iſt nicht Glaube und
Liebe, Wurzel und Quelle deiner Worte und Werke;
Kommt dein Aeuſſeres nicht aus dem Inneren — der
Schein nicht aus dem Weſen — Alle dein Lohn iſt da-
hin. Würdeſt du je, als Vater als Mutter, als
Freund mit dem Aeuſſern, wenn noch ſo gefliſſen beob-
achteten, noch ſo ängſtlich gehäuften Zeichen der kindli-
chen Ehrfurcht und Gehorſams, der Freundſchaft und Lie-
be zufrieden ſeyn? Wer in der Welt will Schein ohne
Weſen? Schaale ohne Kern? Wer verabſcheut’s nicht,
wen empört’s nicht? Wer hälts nicht für Ungerechtig-
keit, für ſtrafbaren Betrug, wenn ihm Jemand den
Schein der Sache für die Sache ſelbſt giebt? Und Gott
ſollte damit zufrieden ſeyn!! Nein — Ein reiner und
unbefleckter Gottesdienſt vor Gott und dem Va-
ter iſt nicht — breite Denkzedel — nicht Anis und Küm-
mel verzehnden — nicht Schüſſeln und Becher reini-
gen — nicht Aeuſſerlichkeit, nicht frommer Schein,
nicht tadelloſe Weltehrbarkeit und Weltreligion, ſondern
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