wachet; Denn ihr wisset weder Tag noch Stun- de, in welcher des Menschen Sohn kommen wird.
Ich gestehe gern, daß mir vieles in diesem Gleich- nisse dunkel und räthselhaft ist; So klar und einleuch- tend die Hauptsache ist. Die Summa und der Zweck die- ses, wie des vorhergehenden und folgenden Gleichnisses ist offenbar Erweckung zur Wachsamkeit -- zur Bereit- schaft auf den würdigen frohen Empfang des göttli- chen Königes. Die Applikation des Herrn ist diese: Wachet; Denn ihr wisset weder den Tag noch die Stunde, in welcher der Sohn des Menschen kommt: Denkt immer: Es ist die letzte Stunde, die letzte, wenigstens für mich, da ich mich vorbereiten kann. Ich weiß nicht wann? Aber ich weiß, daß Er gewiß kommt; Daß ich bald Ihm entgegen muß -- daß ich nicht oh- ne Schrecken Ihm entgegen gehen kann, wenn ich un- bereitet bin -- das ist, nicht so gut bin als ich seyn soll und kann. Indeß scheinen mir doch auch folgende Winke deutlich drinn zu liegen:
1. Man kann sich sehr leicht bethören und glau- ben, man habe alles, wenn einem doch gerade noch das wesentliche fehlt. Wie wahr ist übrigens dieß Bild von dem bloß äusserlichen Christenthum, das vollkom- men den Lampen ohne Oehl gleicht.
2. Man kann dieß einzige nothwendige (dieß Oehl des Geistes) von niemand -- anderm borgen, weil es jeder für sich selber braucht, und man es nothwendig selber besitzen muß.
3. Man
Matthäus XXV.
wachet; Denn ihr wiſſet weder Tag noch Stun- de, in welcher des Menſchen Sohn kommen wird.
Ich geſtehe gern, daß mir vieles in dieſem Gleich- niſſe dunkel und räthſelhaft iſt; So klar und einleuch- tend die Hauptſache iſt. Die Summa und der Zweck die- ſes, wie des vorhergehenden und folgenden Gleichniſſes iſt offenbar Erweckung zur Wachſamkeit — zur Bereit- ſchaft auf den würdigen frohen Empfang des göttli- chen Königes. Die Applikation des Herrn iſt dieſe: Wachet; Denn ihr wiſſet weder den Tag noch die Stunde, in welcher der Sohn des Menſchen kommt: Denkt immer: Es iſt die letzte Stunde, die letzte, wenigſtens für mich, da ich mich vorbereiten kann. Ich weiß nicht wann? Aber ich weiß, daß Er gewiß kommt; Daß ich bald Ihm entgegen muß — daß ich nicht oh- ne Schrecken Ihm entgegen gehen kann, wenn ich un- bereitet bin — das iſt, nicht ſo gut bin als ich ſeyn ſoll und kann. Indeß ſcheinen mir doch auch folgende Winke deutlich drinn zu liegen:
1. Man kann ſich ſehr leicht bethören und glau- ben, man habe alles, wenn einem doch gerade noch das weſentliche fehlt. Wie wahr iſt übrigens dieß Bild von dem bloß äuſſerlichen Chriſtenthum, das vollkom- men den Lampen ohne Oehl gleicht.
2. Man kann dieß einzige nothwendige (dieß Oehl des Geiſtes) von niemand — anderm borgen, weil es jeder für ſich ſelber braucht, und man es nothwendig ſelber beſitzen muß.
3. Man
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0454"n="426[446]"/><fwplace="top"type="header">Matthäus <hirendition="#aq">XXV.</hi></fw><lb/><hirendition="#fr">wachet; Denn ihr wiſſet weder Tag noch Stun-<lb/>
de, in welcher des Menſchen Sohn kommen<lb/>
wird.</hi></p><lb/><p>Ich geſtehe gern, daß mir vieles in dieſem Gleich-<lb/>
niſſe dunkel und räthſelhaft iſt; So klar und einleuch-<lb/>
tend die Hauptſache iſt. Die Summa und der Zweck die-<lb/>ſes, wie des vorhergehenden und folgenden Gleichniſſes<lb/>
iſt offenbar Erweckung zur Wachſamkeit — zur Bereit-<lb/>ſchaft auf den würdigen frohen Empfang des göttli-<lb/>
chen Königes. Die Applikation des Herrn iſt dieſe:<lb/><hirendition="#fr">Wachet; Denn ihr wiſſet weder den Tag noch<lb/>
die Stunde, in welcher der Sohn des Menſchen<lb/>
kommt:</hi> Denkt immer: Es iſt die letzte Stunde, die letzte,<lb/>
wenigſtens für <hirendition="#fr">mich,</hi> da ich mich vorbereiten kann. Ich<lb/>
weiß nicht <hirendition="#fr">wann?</hi> Aber ich weiß, daß Er <hirendition="#fr">gewiß</hi> kommt;<lb/>
Daß ich <hirendition="#fr">bald</hi> Ihm entgegen muß — daß ich nicht oh-<lb/>
ne Schrecken Ihm entgegen gehen kann, wenn ich un-<lb/>
bereitet bin — das iſt, nicht ſo gut bin als ich ſeyn<lb/>ſoll und kann. Indeß ſcheinen mir doch auch folgende<lb/>
Winke deutlich drinn zu liegen:</p><lb/><p>1. Man kann ſich ſehr leicht bethören und glau-<lb/>
ben, man habe alles, wenn einem doch gerade noch das<lb/><hirendition="#fr">weſentliche fehlt.</hi> Wie wahr iſt übrigens dieß Bild<lb/>
von dem bloß äuſſerlichen Chriſtenthum, das vollkom-<lb/>
men den Lampen ohne Oehl gleicht.</p><lb/><p>2. Man kann dieß einzige nothwendige (dieß Oehl<lb/>
des Geiſtes) von niemand — anderm <hirendition="#fr">borgen,</hi> weil es<lb/>
jeder für ſich ſelber braucht, und man es nothwendig<lb/>ſelber beſitzen muß.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">3. Man</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[426[446]/0454]
Matthäus XXV.
wachet; Denn ihr wiſſet weder Tag noch Stun-
de, in welcher des Menſchen Sohn kommen
wird.
Ich geſtehe gern, daß mir vieles in dieſem Gleich-
niſſe dunkel und räthſelhaft iſt; So klar und einleuch-
tend die Hauptſache iſt. Die Summa und der Zweck die-
ſes, wie des vorhergehenden und folgenden Gleichniſſes
iſt offenbar Erweckung zur Wachſamkeit — zur Bereit-
ſchaft auf den würdigen frohen Empfang des göttli-
chen Königes. Die Applikation des Herrn iſt dieſe:
Wachet; Denn ihr wiſſet weder den Tag noch
die Stunde, in welcher der Sohn des Menſchen
kommt: Denkt immer: Es iſt die letzte Stunde, die letzte,
wenigſtens für mich, da ich mich vorbereiten kann. Ich
weiß nicht wann? Aber ich weiß, daß Er gewiß kommt;
Daß ich bald Ihm entgegen muß — daß ich nicht oh-
ne Schrecken Ihm entgegen gehen kann, wenn ich un-
bereitet bin — das iſt, nicht ſo gut bin als ich ſeyn
ſoll und kann. Indeß ſcheinen mir doch auch folgende
Winke deutlich drinn zu liegen:
1. Man kann ſich ſehr leicht bethören und glau-
ben, man habe alles, wenn einem doch gerade noch das
weſentliche fehlt. Wie wahr iſt übrigens dieß Bild
von dem bloß äuſſerlichen Chriſtenthum, das vollkom-
men den Lampen ohne Oehl gleicht.
2. Man kann dieß einzige nothwendige (dieß Oehl
des Geiſtes) von niemand — anderm borgen, weil es
jeder für ſich ſelber braucht, und man es nothwendig
ſelber beſitzen muß.
3. Man
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 426[446]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/454>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.