Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Salbung Christi.
bemerkter von Ihm. Je miskannter, misdeuteter Et-
was Gutes an einem guten Menschen ist, desto ge-
schätzter, gewürdigter von Jhm.

3. Durch nichts werden gute Menschen so leicht
schlimm, als wenn ihre unschuldige, Einfaltsvollen, gut-
gemeinten Handlungen von Gefühllosen und scharfzün-
gigen Menschen verurtheilt werden. Durch nichts wer-
den gute Menschen besser, als wenn die geheimsten Ab-
sichten, oder Triebfedern ihrer Thaten, die sie selbst nicht
deutlich erkannten, von einem guten Menschen in eben
dem Augenblicke, da sie schief und boshaft beurtheilt
werden, mit entscheidender Weisheit zu Tage geleget
werden.

4. Wer einen guten Menschen ehrt, weil er gut
ist, ehrt in seiner Person die Tugend selbst -- und al-
les, was gut ist, es sey, wo es wolle. Wer Christus,
den besten Menschen ehrt, ehrt Religion und Tugend.

5. Christus, der Gesalbte ward gesalbet -- ge-
salbt in jedem Sinne, auf alle Weise -- von Gott und
Menschen, lebend, sterbend, todt. Alles, was ihm dem
Scheine nach, ganz zufälliger Weise wiederfuhr ----
hatte sinnbildliche Beziehung auf seinen Hauptcharakter,
Alles sollte daran erinnern, darauf aufmerksam machen.

6. Die guten Thaten der Menschen, die mit Ein-
falt und Liebe geschehen, haben größtentheils viel mehr
Bedeutung, viel mehr Folgen, und sind einer weit bes-
sern Auslegung fähig, als der, welcher sie verrichtet,
selbst glauben kann. Wie konnte die gute Maria

daran

Salbung Chriſti.
bemerkter von Ihm. Je miskannter, misdeuteter Et-
was Gutes an einem guten Menſchen iſt, deſto ge-
ſchätzter, gewürdigter von Jhm.

3. Durch nichts werden gute Menſchen ſo leicht
ſchlimm, als wenn ihre unſchuldige, Einfaltsvollen, gut-
gemeinten Handlungen von Gefühlloſen und ſcharfzün-
gigen Menſchen verurtheilt werden. Durch nichts wer-
den gute Menſchen beſſer, als wenn die geheimſten Ab-
ſichten, oder Triebfedern ihrer Thaten, die ſie ſelbſt nicht
deutlich erkannten, von einem guten Menſchen in eben
dem Augenblicke, da ſie ſchief und boshaft beurtheilt
werden, mit entſcheidender Weisheit zu Tage geleget
werden.

4. Wer einen guten Menſchen ehrt, weil er gut
iſt, ehrt in ſeiner Perſon die Tugend ſelbſt — und al-
les, was gut iſt, es ſey, wo es wolle. Wer Chriſtus,
den beſten Menſchen ehrt, ehrt Religion und Tugend.

5. Chriſtus, der Geſalbte ward geſalbet — ge-
ſalbt in jedem Sinne, auf alle Weiſe — von Gott und
Menſchen, lebend, ſterbend, todt. Alles, was ihm dem
Scheine nach, ganz zufälliger Weiſe wiederfuhr ——
hatte ſinnbildliche Beziehung auf ſeinen Hauptcharakter,
Alles ſollte daran erinnern, darauf aufmerkſam machen.

6. Die guten Thaten der Menſchen, die mit Ein-
falt und Liebe geſchehen, haben größtentheils viel mehr
Bedeutung, viel mehr Folgen, und ſind einer weit beſ-
ſern Auslegung fähig, als der, welcher ſie verrichtet,
ſelbſt glauben kann. Wie konnte die gute Maria

daran
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0471" n="443[463]"/><fw place="top" type="header">Salbung Chri&#x017F;ti.</fw><lb/>
bemerkter von Ihm. Je miskannter, misdeuteter Et-<lb/>
was Gutes an einem guten Men&#x017F;chen i&#x017F;t, de&#x017F;to ge-<lb/>
&#x017F;chätzter, gewürdigter von Jhm.</p><lb/>
            <p>3. Durch nichts werden gute Men&#x017F;chen &#x017F;o leicht<lb/>
&#x017F;chlimm, als wenn ihre un&#x017F;chuldige, Einfaltsvollen, gut-<lb/>
gemeinten Handlungen von Gefühllo&#x017F;en und &#x017F;charfzün-<lb/>
gigen Men&#x017F;chen verurtheilt werden. Durch nichts wer-<lb/>
den gute Men&#x017F;chen be&#x017F;&#x017F;er, als wenn die geheim&#x017F;ten Ab-<lb/>
&#x017F;ichten, oder Triebfedern ihrer Thaten, die &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t nicht<lb/>
deutlich erkannten, von einem guten Men&#x017F;chen in eben<lb/>
dem Augenblicke, da &#x017F;ie &#x017F;chief und boshaft beurtheilt<lb/>
werden, mit ent&#x017F;cheidender Weisheit zu Tage geleget<lb/>
werden.</p><lb/>
            <p>4. Wer einen guten Men&#x017F;chen ehrt, weil er gut<lb/>
i&#x017F;t, ehrt in &#x017F;einer Per&#x017F;on die Tugend &#x017F;elb&#x017F;t &#x2014; und al-<lb/>
les, was gut i&#x017F;t, es &#x017F;ey, wo es wolle. Wer <hi rendition="#fr">Chri&#x017F;tus,</hi><lb/>
den be&#x017F;ten Men&#x017F;chen ehrt, ehrt Religion und Tugend.</p><lb/>
            <p>5. <hi rendition="#fr">Chri&#x017F;tus,</hi> der Ge&#x017F;albte ward ge&#x017F;albet &#x2014; ge-<lb/>
&#x017F;albt in jedem Sinne, auf alle Wei&#x017F;e &#x2014; von Gott und<lb/>
Men&#x017F;chen, lebend, &#x017F;terbend, todt. Alles, was ihm dem<lb/>
Scheine nach, ganz zufälliger Wei&#x017F;e wiederfuhr &#x2014;&#x2014;<lb/>
hatte &#x017F;innbildliche Beziehung auf &#x017F;einen Hauptcharakter,<lb/>
Alles &#x017F;ollte daran erinnern, darauf aufmerk&#x017F;am machen.</p><lb/>
            <p>6. Die guten Thaten der Men&#x017F;chen, die mit Ein-<lb/>
falt und Liebe ge&#x017F;chehen, haben größtentheils viel mehr<lb/>
Bedeutung, viel mehr Folgen, und &#x017F;ind einer weit be&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ern Auslegung fähig, als der, welcher &#x017F;ie verrichtet,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t glauben kann. Wie konnte die gute <hi rendition="#fr">Maria</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">daran</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[443[463]/0471] Salbung Chriſti. bemerkter von Ihm. Je miskannter, misdeuteter Et- was Gutes an einem guten Menſchen iſt, deſto ge- ſchätzter, gewürdigter von Jhm. 3. Durch nichts werden gute Menſchen ſo leicht ſchlimm, als wenn ihre unſchuldige, Einfaltsvollen, gut- gemeinten Handlungen von Gefühlloſen und ſcharfzün- gigen Menſchen verurtheilt werden. Durch nichts wer- den gute Menſchen beſſer, als wenn die geheimſten Ab- ſichten, oder Triebfedern ihrer Thaten, die ſie ſelbſt nicht deutlich erkannten, von einem guten Menſchen in eben dem Augenblicke, da ſie ſchief und boshaft beurtheilt werden, mit entſcheidender Weisheit zu Tage geleget werden. 4. Wer einen guten Menſchen ehrt, weil er gut iſt, ehrt in ſeiner Perſon die Tugend ſelbſt — und al- les, was gut iſt, es ſey, wo es wolle. Wer Chriſtus, den beſten Menſchen ehrt, ehrt Religion und Tugend. 5. Chriſtus, der Geſalbte ward geſalbet — ge- ſalbt in jedem Sinne, auf alle Weiſe — von Gott und Menſchen, lebend, ſterbend, todt. Alles, was ihm dem Scheine nach, ganz zufälliger Weiſe wiederfuhr —— hatte ſinnbildliche Beziehung auf ſeinen Hauptcharakter, Alles ſollte daran erinnern, darauf aufmerkſam machen. 6. Die guten Thaten der Menſchen, die mit Ein- falt und Liebe geſchehen, haben größtentheils viel mehr Bedeutung, viel mehr Folgen, und ſind einer weit beſ- ſern Auslegung fähig, als der, welcher ſie verrichtet, ſelbſt glauben kann. Wie konnte die gute Maria daran

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/471
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 443[463]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/471>, abgerufen am 27.07.2024.