Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Entdeckung des Verräthers.
ten denken zuerst an sich selbst -- und der Schuldige,
der Heuchler ahmt erst zuletzt, gleich als gezwungen, die
Sprache der wehmüthig-ängstlichen Unschuld nach.

2. Sie wurden sehr betrübt. Um ihres Herrn
willen, aus Liebe zu Ihm, daß Er verrathen werden
sollte -- und um ihrer Gesellschaft willen, daß einer
unter ihnen ein so arges Herz haben sollte. Solche Be-
trübniß der Liebe mußte dem Herzen des Herrn wieder
wohlthun, und eine der bittersten Stunden seines Le-
bens versüssen.

3. Des Menschen Sohn gehet dahin, wie
von Ihm geschrieben ist
-- Jtzt ist die Zeit des
Schweigens und Duldens, des Gehorsams und der
Hingebung unter den längsten ausgedrückten Willen
des Vaters. Der preis gegeben wird wie ein Lamm
zur Schlachtung geführet werden, und seinen
Mund nicht aufthun.

4. Aber, wehe dem Menschen, durch wel-
chen des Menschen Sohn verrathen wird. Es
wäre demselben Menschen besser, daß er nie ge-
bohren wäre.
-- Mit andern Worten -- Der Un-
glückliche wird den Tag seiner Geburt verfluchen! Er
wird sein Leben verwünschen -- Sein eigener Henker
werden. Wer Böses gegen den Guten vornimmt, der
bereitet sich Schrecken und Verzweiflung. Wer die
Unschuld der Bosheit preis giebt -- tritt in Ischariots
Fußtapfen. -- Wie gelassen und ernstwarnend ist übri-
gens dieß Wort Jesu -- wie mußte es entweder kniefäl-

lige
F f 2

Entdeckung des Verräthers.
ten denken zuerſt an ſich ſelbſt — und der Schuldige,
der Heuchler ahmt erſt zuletzt, gleich als gezwungen, die
Sprache der wehmüthig-ängſtlichen Unſchuld nach.

2. Sie wurden ſehr betrübt. Um ihres Herrn
willen, aus Liebe zu Ihm, daß Er verrathen werden
ſollte — und um ihrer Geſellſchaft willen, daß einer
unter ihnen ein ſo arges Herz haben ſollte. Solche Be-
trübniß der Liebe mußte dem Herzen des Herrn wieder
wohlthun, und eine der bitterſten Stunden ſeines Le-
bens verſüſſen.

3. Des Menſchen Sohn gehet dahin, wie
von Ihm geſchrieben iſt
— Jtzt iſt die Zeit des
Schweigens und Duldens, des Gehorſams und der
Hingebung unter den längſten ausgedrückten Willen
des Vaters. Der preis gegeben wird wie ein Lamm
zur Schlachtung geführet werden, und ſeinen
Mund nicht aufthun.

4. Aber, wehe dem Menſchen, durch wel-
chen des Menſchen Sohn verrathen wird. Es
wäre demſelben Menſchen beſſer, daß er nie ge-
bohren wäre.
— Mit andern Worten — Der Un-
glückliche wird den Tag ſeiner Geburt verfluchen! Er
wird ſein Leben verwünſchen — Sein eigener Henker
werden. Wer Böſes gegen den Guten vornimmt, der
bereitet ſich Schrecken und Verzweiflung. Wer die
Unſchuld der Bosheit preis giebt — tritt in Iſchariots
Fußtapfen. — Wie gelaſſen und ernſtwarnend iſt übri-
gens dieß Wort Jeſu — wie mußte es entweder kniefäl-

lige
F f 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0479" n="451[471]"/><fw place="top" type="header">Entdeckung des Verräthers.</fw><lb/>
ten denken zuer&#x017F;t an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x2014; und der Schuldige,<lb/>
der Heuchler ahmt er&#x017F;t zuletzt, gleich als gezwungen, die<lb/>
Sprache der wehmüthig-äng&#x017F;tlichen Un&#x017F;chuld nach.</p><lb/>
            <p>2. <hi rendition="#fr">Sie wurden &#x017F;ehr betrübt.</hi> Um ihres Herrn<lb/>
willen, aus Liebe zu Ihm, daß Er verrathen werden<lb/>
&#x017F;ollte &#x2014; und um ihrer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft willen, daß einer<lb/>
unter ihnen ein &#x017F;o arges Herz haben &#x017F;ollte. Solche Be-<lb/>
trübniß der Liebe mußte dem Herzen des Herrn wieder<lb/>
wohlthun, und eine der bitter&#x017F;ten Stunden &#x017F;eines Le-<lb/>
bens ver&#x017F;ü&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>3. <hi rendition="#fr">Des Men&#x017F;chen Sohn gehet dahin, wie<lb/>
von Ihm ge&#x017F;chrieben i&#x017F;t</hi> &#x2014; Jtzt i&#x017F;t die Zeit des<lb/>
Schweigens und Duldens, des Gehor&#x017F;ams und der<lb/>
Hingebung unter den läng&#x017F;ten ausgedrückten Willen<lb/>
des Vaters. Der preis gegeben wird <hi rendition="#fr">wie ein Lamm<lb/>
zur Schlachtung geführet werden, und &#x017F;einen<lb/>
Mund nicht aufthun.</hi></p><lb/>
            <p>4. <hi rendition="#fr">Aber, wehe dem Men&#x017F;chen, durch wel-<lb/>
chen des Men&#x017F;chen Sohn verrathen wird. Es<lb/>
wäre dem&#x017F;elben Men&#x017F;chen be&#x017F;&#x017F;er, daß er nie ge-<lb/>
bohren wäre.</hi> &#x2014; Mit andern Worten &#x2014; Der Un-<lb/>
glückliche wird den Tag &#x017F;einer Geburt verfluchen! Er<lb/>
wird &#x017F;ein Leben verwün&#x017F;chen &#x2014; Sein eigener Henker<lb/>
werden. Wer Bö&#x017F;es gegen den Guten vornimmt, der<lb/>
bereitet &#x017F;ich Schrecken und Verzweiflung. Wer die<lb/>
Un&#x017F;chuld der Bosheit preis giebt &#x2014; tritt in I&#x017F;chariots<lb/>
Fußtapfen. &#x2014; Wie gela&#x017F;&#x017F;en und ern&#x017F;twarnend i&#x017F;t übri-<lb/>
gens dieß Wort Je&#x017F;u &#x2014; wie mußte es entweder kniefäl-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F f 2</fw><fw place="bottom" type="catch">lige</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[451[471]/0479] Entdeckung des Verräthers. ten denken zuerſt an ſich ſelbſt — und der Schuldige, der Heuchler ahmt erſt zuletzt, gleich als gezwungen, die Sprache der wehmüthig-ängſtlichen Unſchuld nach. 2. Sie wurden ſehr betrübt. Um ihres Herrn willen, aus Liebe zu Ihm, daß Er verrathen werden ſollte — und um ihrer Geſellſchaft willen, daß einer unter ihnen ein ſo arges Herz haben ſollte. Solche Be- trübniß der Liebe mußte dem Herzen des Herrn wieder wohlthun, und eine der bitterſten Stunden ſeines Le- bens verſüſſen. 3. Des Menſchen Sohn gehet dahin, wie von Ihm geſchrieben iſt — Jtzt iſt die Zeit des Schweigens und Duldens, des Gehorſams und der Hingebung unter den längſten ausgedrückten Willen des Vaters. Der preis gegeben wird wie ein Lamm zur Schlachtung geführet werden, und ſeinen Mund nicht aufthun. 4. Aber, wehe dem Menſchen, durch wel- chen des Menſchen Sohn verrathen wird. Es wäre demſelben Menſchen beſſer, daß er nie ge- bohren wäre. — Mit andern Worten — Der Un- glückliche wird den Tag ſeiner Geburt verfluchen! Er wird ſein Leben verwünſchen — Sein eigener Henker werden. Wer Böſes gegen den Guten vornimmt, der bereitet ſich Schrecken und Verzweiflung. Wer die Unſchuld der Bosheit preis giebt — tritt in Iſchariots Fußtapfen. — Wie gelaſſen und ernſtwarnend iſt übri- gens dieß Wort Jeſu — wie mußte es entweder kniefäl- lige F f 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/479
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 451[471]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/479>, abgerufen am 27.07.2024.