Verräther selbst wird ein öffentlicher Zeuge der Unschuld Jesu. -- Verläumder und Lästerer der Unschuld! Ihr scharfen unerbittlichen Zungen! Die ihr so oft Menschen, die zehenmal besser sind, als ihr, mishandelt, und der Mishandlung anderer preis gegeben habt; Redliche Fröm- migkeit und einfältige Tugend durch verläumderische Wi- zeleyen und lieblose Verurtheilungen bluten gemacht habt, erlaubet mir, euch bey dieser Stelle zuzurufen: Stellt euch neben Judas Ischariot, auf den ihr vielleicht we- nigstens in jeder Paßionswoche als auf die verworfenste Creatur pharisäisch niedergeblickt habt -- Habt ihr, laßt mich fragen, und antwortet nicht mir, sondern euch selbst, habt ihr je einen ähnlichen Schritt gethan, wie dieser so verworfene Verräther? Je einen öffentlichen Schritt aufrichtiger Reue und der möglichsten Vergütung? Wann und wo und wem? Habt ihr je gesagt: "Ich &q;habe gesündigt, daß ich unschuldig Blut verläumdet; &q;Daß ich einen redlichen Menschen als unredlich be- &q;handelt, einen Aufrichtigen als einen Heuchler ausge- &q;schrieen -- Einen Weisen als einen Thoren verlacht -- &q;Einen fleißigen Arbeiter als einen Müßiggänger ver- &q;läumdet habe." Und besonders ihr, christliche Le- serinnen dieser Stelle, Matronen, Jungfrauen, Herr- schaften, Dienstboten! -- Euch vielleicht für fromm haltend, oder von andern wenigstens als Andächtig an- gesehen, und doch so geübt in den Künsten der Verläum- dung, der Ohrenblaserey, und des Scharfrichtens: So unberedt und so stillschweigend, wenns um Vertheidi- gung armer niedriger Unschuld zu thun ist; So bered-
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Judas Reue und Ende.
Verräther ſelbſt wird ein öffentlicher Zeuge der Unſchuld Jeſu. — Verläumder und Läſterer der Unſchuld! Ihr ſcharfen unerbittlichen Zungen! Die ihr ſo oft Menſchen, die zehenmal beſſer ſind, als ihr, mishandelt, und der Mishandlung anderer preis gegeben habt; Redliche Fröm- migkeit und einfältige Tugend durch verläumderiſche Wi- zeleyen und liebloſe Verurtheilungen bluten gemacht habt, erlaubet mir, euch bey dieſer Stelle zuzurufen: Stellt euch neben Judas Iſchariot, auf den ihr vielleicht we- nigſtens in jeder Paßionswoche als auf die verworfenſte Creatur phariſäiſch niedergeblickt habt — Habt ihr, laßt mich fragen, und antwortet nicht mir, ſondern euch ſelbſt, habt ihr je einen ähnlichen Schritt gethan, wie dieſer ſo verworfene Verräther? Je einen öffentlichen Schritt aufrichtiger Reue und der möglichſten Vergütung? Wann und wo und wem? Habt ihr je geſagt: „Ich &q;habe geſündigt, daß ich unſchuldig Blut verläumdet; &q;Daß ich einen redlichen Menſchen als unredlich be- &q;handelt, einen Aufrichtigen als einen Heuchler ausge- &q;ſchrieen — Einen Weiſen als einen Thoren verlacht — &q;Einen fleißigen Arbeiter als einen Müßiggänger ver- &q;läumdet habe.“ Und beſonders ihr, chriſtliche Le- ſerinnen dieſer Stelle, Matronen, Jungfrauen, Herr- ſchaften, Dienſtboten! — Euch vielleicht für fromm haltend, oder von andern wenigſtens als Andächtig an- geſehen, und doch ſo geübt in den Künſten der Verläum- dung, der Ohrenblaſerey, und des Scharfrichtens: So unberedt und ſo ſtillſchweigend, wenns um Vertheidi- gung armer niedriger Unſchuld zu thun iſt; So bered-
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[501[521]/0529]
Judas Reue und Ende.
Verräther ſelbſt wird ein öffentlicher Zeuge der Unſchuld
Jeſu. — Verläumder und Läſterer der Unſchuld! Ihr
ſcharfen unerbittlichen Zungen! Die ihr ſo oft Menſchen,
die zehenmal beſſer ſind, als ihr, mishandelt, und der
Mishandlung anderer preis gegeben habt; Redliche Fröm-
migkeit und einfältige Tugend durch verläumderiſche Wi-
zeleyen und liebloſe Verurtheilungen bluten gemacht habt,
erlaubet mir, euch bey dieſer Stelle zuzurufen: Stellt
euch neben Judas Iſchariot, auf den ihr vielleicht we-
nigſtens in jeder Paßionswoche als auf die verworfenſte
Creatur phariſäiſch niedergeblickt habt — Habt ihr, laßt
mich fragen, und antwortet nicht mir, ſondern euch ſelbſt,
habt ihr je einen ähnlichen Schritt gethan, wie dieſer ſo
verworfene Verräther? Je einen öffentlichen Schritt
aufrichtiger Reue und der möglichſten Vergütung?
Wann und wo und wem? Habt ihr je geſagt: „Ich
&q;habe geſündigt, daß ich unſchuldig Blut verläumdet;
&q;Daß ich einen redlichen Menſchen als unredlich be-
&q;handelt, einen Aufrichtigen als einen Heuchler ausge-
&q;ſchrieen — Einen Weiſen als einen Thoren verlacht —
&q;Einen fleißigen Arbeiter als einen Müßiggänger ver-
&q;läumdet habe.“ Und beſonders ihr, chriſtliche Le-
ſerinnen dieſer Stelle, Matronen, Jungfrauen, Herr-
ſchaften, Dienſtboten! — Euch vielleicht für fromm
haltend, oder von andern wenigſtens als Andächtig an-
geſehen, und doch ſo geübt in den Künſten der Verläum-
dung, der Ohrenblaſerey, und des Scharfrichtens: So
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 501[521]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/529>, abgerufen am 27.07.2024.
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