Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.Matthäus VII. unreinigung halten, für Erniedrigung, unwürdige Weg-werfung unser selbst. Sündern aller Art, deren Sün- den auch viel Viehisches hatten, theilte sich freylich unser Herr mit -- Er aß mit den Zöllnern. Also war lehrender, ermunternder Umgang mit unreinen Men- schen, die noch einen glimmenden Funken von Wahr- heitsbedürfniß in sich übrig hatten, nicht Hinwerfung des Heiligen an die Hunde! Er gab die Perlen nicht mehr den Schweinen, wenn die, denen er sie gab, die- selben nicht zertraten; sich nicht wandten, Ihn zu zerreissen! -- -- Fühlt's nicht jeder, der sein er- stes Gefühl nicht unterdrücket sogleich, was in den Hö- rer, der vor ihm steht, hineindringt, und was von des- sen Herzen, wie von einer Felsenwand zurükprallen muß! -- Und wer weiß es nicht, der einen treuen Herzens- Freund hat, und dessen Herzens-Freund sein eigen Herz ist, daß tausend Dinge sich höchstens Einer Seele in einer nicht veranstalteten, einer vom Himmel niederge- sandten Stunde vertrauen lassen -- Was ist heilig? -- Was Einzig in seiner Art, was von allem, das ihm ähnlich scheint, unerreichbar verschieden ist; Was Spuhren eines höhern, als menschlichen Ursprungs hat; Was die Seele über alles das erhebt, was sie umgiebt -- was von dem Unheiligen zwar mit Wuth angefal- len und zertreten, aber nicht mit Ruhe, mit Freude der Dehmuth betrachtet werden kann -- -- Was sind Perlen? Das sanfteste, demüthigste, Strahlenloseste, reinste -- seltenste, was der Mensch hat -- -- Be- halt' es in der Tiese deines Herzens, wenn keiner dir begegnet, der schöne Perlen sucht, und alles für sie hin-
Matthäus VII. unreinigung halten, für Erniedrigung, unwürdige Weg-werfung unſer ſelbſt. Sündern aller Art, deren Sün- den auch viel Viehiſches hatten, theilte ſich freylich unſer Herr mit — Er aß mit den Zöllnern. Alſo war lehrender, ermunternder Umgang mit unreinen Men- ſchen, die noch einen glimmenden Funken von Wahr- heitsbedürfniß in ſich übrig hatten, nicht Hinwerfung des Heiligen an die Hunde! Er gab die Perlen nicht mehr den Schweinen, wenn die, denen er ſie gab, die- ſelben nicht zertraten; ſich nicht wandten, Ihn zu zerreiſſen! — — Fühlt’s nicht jeder, der ſein er- ſtes Gefühl nicht unterdrücket ſogleich, was in den Hö- rer, der vor ihm ſteht, hineindringt, und was von deſ- ſen Herzen, wie von einer Felſenwand zurükprallen muß! — Und wer weiß es nicht, der einen treuen Herzens- Freund hat, und deſſen Herzens-Freund ſein eigen Herz iſt, daß tauſend Dinge ſich höchſtens Einer Seele in einer nicht veranſtalteten, einer vom Himmel niederge- ſandten Stunde vertrauen laſſen — Was iſt heilig? — Was Einzig in ſeiner Art, was von allem, das ihm ähnlich ſcheint, unerreichbar verſchieden iſt; Was Spuhren eines höhern, als menſchlichen Urſprungs hat; Was die Seele über alles das erhebt, was ſie umgiebt — was von dem Unheiligen zwar mit Wuth angefal- len und zertreten, aber nicht mit Ruhe, mit Freude der Dehmuth betrachtet werden kann — — Was ſind Perlen? Das ſanfteſte, demüthigſte, Strahlenloſeſte, reinſte — ſeltenſte, was der Menſch hat — — Be- halt’ es in der Tieſe deines Herzens, wenn keiner dir begegnet, der ſchöne Perlen ſucht, und alles für ſie hin-
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Matthäus VII.
unreinigung halten, für Erniedrigung, unwürdige Weg-
werfung unſer ſelbſt. Sündern aller Art, deren Sün-
den auch viel Viehiſches hatten, theilte ſich freylich unſer
Herr mit — Er aß mit den Zöllnern. Alſo war
lehrender, ermunternder Umgang mit unreinen Men-
ſchen, die noch einen glimmenden Funken von Wahr-
heitsbedürfniß in ſich übrig hatten, nicht Hinwerfung
des Heiligen an die Hunde! Er gab die Perlen nicht
mehr den Schweinen, wenn die, denen er ſie gab, die-
ſelben nicht zertraten; ſich nicht wandten, Ihn
zu zerreiſſen! — — Fühlt’s nicht jeder, der ſein er-
ſtes Gefühl nicht unterdrücket ſogleich, was in den Hö-
rer, der vor ihm ſteht, hineindringt, und was von deſ-
ſen Herzen, wie von einer Felſenwand zurükprallen muß!
— Und wer weiß es nicht, der einen treuen Herzens-
Freund hat, und deſſen Herzens-Freund ſein eigen Herz
iſt, daß tauſend Dinge ſich höchſtens Einer Seele in
einer nicht veranſtalteten, einer vom Himmel niederge-
ſandten Stunde vertrauen laſſen — Was iſt heilig?
— Was Einzig in ſeiner Art, was von allem, das ihm
ähnlich ſcheint, unerreichbar verſchieden iſt; Was
Spuhren eines höhern, als menſchlichen Urſprungs hat;
Was die Seele über alles das erhebt, was ſie umgiebt
— was von dem Unheiligen zwar mit Wuth angefal-
len und zertreten, aber nicht mit Ruhe, mit Freude der
Dehmuth betrachtet werden kann — — Was ſind
Perlen? Das ſanfteſte, demüthigſte, Strahlenloſeſte,
reinſte — ſeltenſte, was der Menſch hat — — Be-
halt’ es in der Tieſe deines Herzens, wenn keiner dir
begegnet, der ſchöne Perlen ſucht, und alles für ſie
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