Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite
der moralischen und körperlichen Schönheit.

Nicht diesen Mann sehen wir in dem Bilde, das wir vor uns haben! -- wir sehen
blos Demokritus, den Lacher, der

Ridebat quoties a limine mouerat vnum
Protuleratque pedem.

Wer über alles und alle lacht, ist nicht nur ein Thor, sondern ein Bösewicht; so wie
der, der über alles und über alle weint, sehr wahrscheinlich ein Kind, ein Narr, oder ein
Heuchler ist.

Das Gesichte des ewigen Lachens wird unausstehlich, und muß sich verunedlen und
Carrikatur werden.

Das Gesicht unsers Demokrits ist nichts weniger, als das Gesicht eines Dummkopfs
in seiner Anlage! Der Bau des Hauptes hat zwar nichts Erhabenes; aber Demokrit mit
solchem Kopfbau wäre dem Sokrates nahe gekommen. Aber das unaufhörliche Spottlachen,
so weit verschieden von dem menschlichen und göttlichen Lächeln des Mitleidens, und der flehen-
den oder warnenden Zärtlichkeit, ach! so weit verschieden von dem Lächeln der Menschenfreude,
der Unschuld, dem Lächeln des Bruderherzens -- das unaufhörliche Spottlachen muß das
schönste, wie viel mehr ein sonderbares Gesicht? verunstalten. Alle Züge der Güte, die selbst in
dem schlimmsten Gesicht, das aus den Händen der Natur kommt, eben so wenig vergessen wor-
den, als die Augen selbst bey dem blödsichtigsten Geschöpfe! -- verziehen sich nach und nach so
stark, daß sie ein fatales Gemische von Menschlichkeit und Unmenschlichkeit, Freude und Schalk-
heit werden! --

Was ist Spott eigentlich, als Freude an Fehlern, an Disharmonie, an Schaden des
Nebenmenschen? Kann dadurch ein Gesicht veredelt, verschönert werden?

Der Spott drückt die Augen zusammen, und faltet die Haut um die Augen herum
auf eine ähnliche Weise, wie wir's an den meisten Wahnsinnigen bemerken. -- Wahnsinnige,
was sind sie größtentheils anders, als Larven von lachenden Demokrits? -- Spott treibt
die Wangen kugelförmig auf, wie auch zum Theil an Lamettrie in der unten stehenden Vi-
gnette zu sehen. Und, was das Vornehmste ist: er giebt dem Munde, dem herrlichsten, spre-

chend-
N 3
der moraliſchen und koͤrperlichen Schoͤnheit.

Nicht dieſen Mann ſehen wir in dem Bilde, das wir vor uns haben! — wir ſehen
blos Demokritus, den Lacher, der

Ridebat quoties a limine mouerat vnum
Protuleratque pedem.

Wer uͤber alles und alle lacht, iſt nicht nur ein Thor, ſondern ein Boͤſewicht; ſo wie
der, der uͤber alles und uͤber alle weint, ſehr wahrſcheinlich ein Kind, ein Narr, oder ein
Heuchler iſt.

Das Geſichte des ewigen Lachens wird unausſtehlich, und muß ſich verunedlen und
Carrikatur werden.

Das Geſicht unſers Demokrits iſt nichts weniger, als das Geſicht eines Dummkopfs
in ſeiner Anlage! Der Bau des Hauptes hat zwar nichts Erhabenes; aber Demokrit mit
ſolchem Kopfbau waͤre dem Sokrates nahe gekommen. Aber das unaufhoͤrliche Spottlachen,
ſo weit verſchieden von dem menſchlichen und goͤttlichen Laͤcheln des Mitleidens, und der flehen-
den oder warnenden Zaͤrtlichkeit, ach! ſo weit verſchieden von dem Laͤcheln der Menſchenfreude,
der Unſchuld, dem Laͤcheln des Bruderherzens — das unaufhoͤrliche Spottlachen muß das
ſchoͤnſte, wie viel mehr ein ſonderbares Geſicht? verunſtalten. Alle Zuͤge der Guͤte, die ſelbſt in
dem ſchlimmſten Geſicht, das aus den Haͤnden der Natur kommt, eben ſo wenig vergeſſen wor-
den, als die Augen ſelbſt bey dem bloͤdſichtigſten Geſchoͤpfe! — verziehen ſich nach und nach ſo
ſtark, daß ſie ein fatales Gemiſche von Menſchlichkeit und Unmenſchlichkeit, Freude und Schalk-
heit werden! —

Was iſt Spott eigentlich, als Freude an Fehlern, an Disharmonie, an Schaden des
Nebenmenſchen? Kann dadurch ein Geſicht veredelt, verſchoͤnert werden?

Der Spott druͤckt die Augen zuſammen, und faltet die Haut um die Augen herum
auf eine aͤhnliche Weiſe, wie wir's an den meiſten Wahnſinnigen bemerken. — Wahnſinnige,
was ſind ſie groͤßtentheils anders, als Larven von lachenden Demokrits? — Spott treibt
die Wangen kugelfoͤrmig auf, wie auch zum Theil an Lamettrie in der unten ſtehenden Vi-
gnette zu ſehen. Und, was das Vornehmſte iſt: er giebt dem Munde, dem herrlichſten, ſpre-

chend-
N 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0129" n="93"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">der morali&#x017F;chen und ko&#x0364;rperlichen Scho&#x0364;nheit.</hi> </hi> </fw><lb/>
            <p>Nicht die&#x017F;en Mann &#x017F;ehen wir in dem Bilde, das wir vor uns haben! &#x2014; wir &#x017F;ehen<lb/>
blos <hi rendition="#fr">Demokritus,</hi> den <hi rendition="#fr">Lacher,</hi> der</p><lb/>
            <cit>
              <quote> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#aq">Ridebat quoties a limine mouerat vnum<lb/>
Protuleratque pedem.</hi> </hi> </quote>
              <bibl/>
            </cit><lb/>
            <p>Wer u&#x0364;ber alles und alle lacht, i&#x017F;t nicht nur ein Thor, &#x017F;ondern ein Bo&#x0364;&#x017F;ewicht; &#x017F;o wie<lb/>
der, der u&#x0364;ber alles und u&#x0364;ber alle weint, &#x017F;ehr wahr&#x017F;cheinlich ein Kind, ein Narr, oder ein<lb/>
Heuchler i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Das Ge&#x017F;ichte des ewigen Lachens wird unaus&#x017F;tehlich, und muß &#x017F;ich verunedlen und<lb/>
Carrikatur werden.</p><lb/>
            <p>Das Ge&#x017F;icht un&#x017F;ers <hi rendition="#fr">Demokrits</hi> i&#x017F;t nichts weniger, als das Ge&#x017F;icht eines Dummkopfs<lb/>
in &#x017F;einer Anlage! Der Bau des Hauptes hat zwar nichts Erhabenes; aber <hi rendition="#fr">Demokrit</hi> mit<lb/>
&#x017F;olchem Kopfbau wa&#x0364;re dem <hi rendition="#fr">Sokrates</hi> nahe gekommen. Aber das unaufho&#x0364;rliche Spottlachen,<lb/>
&#x017F;o weit ver&#x017F;chieden von dem men&#x017F;chlichen und go&#x0364;ttlichen La&#x0364;cheln des Mitleidens, und der flehen-<lb/>
den oder warnenden Za&#x0364;rtlichkeit, ach! &#x017F;o weit ver&#x017F;chieden von dem La&#x0364;cheln der Men&#x017F;chenfreude,<lb/>
der Un&#x017F;chuld, dem La&#x0364;cheln des Bruderherzens &#x2014; das unaufho&#x0364;rliche Spottlachen muß das<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te, wie viel mehr ein &#x017F;onderbares Ge&#x017F;icht? verun&#x017F;talten. Alle Zu&#x0364;ge der Gu&#x0364;te, die &#x017F;elb&#x017F;t in<lb/>
dem &#x017F;chlimm&#x017F;ten Ge&#x017F;icht, das aus den Ha&#x0364;nden der Natur kommt, eben &#x017F;o wenig verge&#x017F;&#x017F;en wor-<lb/>
den, als die Augen &#x017F;elb&#x017F;t bey dem blo&#x0364;d&#x017F;ichtig&#x017F;ten Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe! &#x2014; verziehen &#x017F;ich nach und nach &#x017F;o<lb/>
&#x017F;tark, daß &#x017F;ie ein fatales Gemi&#x017F;che von Men&#x017F;chlichkeit und Unmen&#x017F;chlichkeit, Freude und Schalk-<lb/>
heit werden! &#x2014;</p><lb/>
            <p>Was i&#x017F;t Spott eigentlich, als Freude an Fehlern, an Disharmonie, an Schaden des<lb/>
Nebenmen&#x017F;chen? Kann dadurch ein Ge&#x017F;icht veredelt, ver&#x017F;cho&#x0364;nert werden?</p><lb/>
            <p>Der Spott dru&#x0364;ckt die Augen zu&#x017F;ammen, und faltet die Haut um die Augen herum<lb/>
auf eine a&#x0364;hnliche Wei&#x017F;e, wie wir's an den mei&#x017F;ten Wahn&#x017F;innigen bemerken. &#x2014; Wahn&#x017F;innige,<lb/>
was &#x017F;ind &#x017F;ie gro&#x0364;ßtentheils anders, als Larven von lachenden <hi rendition="#fr">Demokrits?</hi> &#x2014; Spott treibt<lb/>
die Wangen kugelfo&#x0364;rmig auf, wie auch zum Theil an <hi rendition="#fr">Lamettrie</hi> in der unten &#x017F;tehenden Vi-<lb/>
gnette zu &#x017F;ehen. Und, was das Vornehm&#x017F;te i&#x017F;t: er giebt dem Munde, dem herrlich&#x017F;ten, &#x017F;pre-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N 3</fw><fw place="bottom" type="catch">chend-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0129] der moraliſchen und koͤrperlichen Schoͤnheit. Nicht dieſen Mann ſehen wir in dem Bilde, das wir vor uns haben! — wir ſehen blos Demokritus, den Lacher, der Ridebat quoties a limine mouerat vnum Protuleratque pedem. Wer uͤber alles und alle lacht, iſt nicht nur ein Thor, ſondern ein Boͤſewicht; ſo wie der, der uͤber alles und uͤber alle weint, ſehr wahrſcheinlich ein Kind, ein Narr, oder ein Heuchler iſt. Das Geſichte des ewigen Lachens wird unausſtehlich, und muß ſich verunedlen und Carrikatur werden. Das Geſicht unſers Demokrits iſt nichts weniger, als das Geſicht eines Dummkopfs in ſeiner Anlage! Der Bau des Hauptes hat zwar nichts Erhabenes; aber Demokrit mit ſolchem Kopfbau waͤre dem Sokrates nahe gekommen. Aber das unaufhoͤrliche Spottlachen, ſo weit verſchieden von dem menſchlichen und goͤttlichen Laͤcheln des Mitleidens, und der flehen- den oder warnenden Zaͤrtlichkeit, ach! ſo weit verſchieden von dem Laͤcheln der Menſchenfreude, der Unſchuld, dem Laͤcheln des Bruderherzens — das unaufhoͤrliche Spottlachen muß das ſchoͤnſte, wie viel mehr ein ſonderbares Geſicht? verunſtalten. Alle Zuͤge der Guͤte, die ſelbſt in dem ſchlimmſten Geſicht, das aus den Haͤnden der Natur kommt, eben ſo wenig vergeſſen wor- den, als die Augen ſelbſt bey dem bloͤdſichtigſten Geſchoͤpfe! — verziehen ſich nach und nach ſo ſtark, daß ſie ein fatales Gemiſche von Menſchlichkeit und Unmenſchlichkeit, Freude und Schalk- heit werden! — Was iſt Spott eigentlich, als Freude an Fehlern, an Disharmonie, an Schaden des Nebenmenſchen? Kann dadurch ein Geſicht veredelt, verſchoͤnert werden? Der Spott druͤckt die Augen zuſammen, und faltet die Haut um die Augen herum auf eine aͤhnliche Weiſe, wie wir's an den meiſten Wahnſinnigen bemerken. — Wahnſinnige, was ſind ſie groͤßtentheils anders, als Larven von lachenden Demokrits? — Spott treibt die Wangen kugelfoͤrmig auf, wie auch zum Theil an Lamettrie in der unten ſtehenden Vi- gnette zu ſehen. Und, was das Vornehmſte iſt: er giebt dem Munde, dem herrlichſten, ſpre- chend- N 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/129
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/129>, abgerufen am 21.11.2024.