Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.der physiognomischen Kenntnisse des Verfassers. sendmal hatt' ich ihn angesehen, ohn einmal seine Physiognomie mit Lamberts zu vergleichen; Jchhatt' ihn in Lamberts Gesellschaft gesehen, mit Lamberten controvertiren gehört und, -- wol ein unwiderleglicher Beweis meines, wenigstens damals, stumpfen Beobachtungsgeistes -- und beobachtete nicht die mindeste Aehnlichkeit. Aber indem ich zeichnete, fiel's mir so gleich auf -- stand so gleich Lamberts erwecktes Dieß Zusammentreffen verschiedener Gesichter, die ich zufälliger Weise, oft in Einem Ta- Von [Spaltenumbruch]
Jn Herrn Füeßlins Wohnung brach Feuer aus -- al- les, was er hatte, ein Schatz der kostbarsten Zeichnun- gen, sieben über Leben große Apostel, die er für eine Kirche in England fertig hatte, und hundert gedanken- reiche Skizen, handschriftliche Poesien -- und unter [Spaltenumbruch] diesen allen auch das Bild meines Freundes, brannten zu Asche. -- Wer etwas von Füeßlin weiß, wird die- se Anekdote nicht für geringfügig halten; Füeßlin, der so manche Talente von Klopstock, Raphael und Mi- chelange in sich vereinigt. Phys. Fragm. I. Versuch. C
der phyſiognomiſchen Kenntniſſe des Verfaſſers. ſendmal hatt' ich ihn angeſehen, ohn einmal ſeine Phyſiognomie mit Lamberts zu vergleichen; Jchhatt' ihn in Lamberts Geſellſchaft geſehen, mit Lamberten controvertiren gehoͤrt und, — wol ein unwiderleglicher Beweis meines, wenigſtens damals, ſtumpfen Beobachtungsgeiſtes — und beobachtete nicht die mindeſte Aehnlichkeit. Aber indem ich zeichnete, fiel's mir ſo gleich auf — ſtand ſo gleich Lamberts erwecktes Dieß Zuſammentreffen verſchiedener Geſichter, die ich zufaͤlliger Weiſe, oft in Einem Ta- Von [Spaltenumbruch]
Jn Herrn Fuͤeßlins Wohnung brach Feuer aus — al- les, was er hatte, ein Schatz der koſtbarſten Zeichnun- gen, ſieben uͤber Leben große Apoſtel, die er fuͤr eine Kirche in England fertig hatte, und hundert gedanken- reiche Skizen, handſchriftliche Poeſien — und unter [Spaltenumbruch] dieſen allen auch das Bild meines Freundes, brannten zu Aſche. — Wer etwas von Fuͤeßlin weiß, wird die- ſe Anekdote nicht fuͤr geringfuͤgig halten; Fuͤeßlin, der ſo manche Talente von Klopſtock, Raphael und Mi- chelange in ſich vereinigt. Phyſ. Fragm. I. Verſuch. C
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der phyſiognomiſchen Kenntniſſe des Verfaſſers.
ſendmal hatt' ich ihn angeſehen, ohn einmal ſeine Phyſiognomie mit Lamberts zu vergleichen; Jch
hatt' ihn in Lamberts Geſellſchaft geſehen, mit Lamberten controvertiren gehoͤrt und, — wol
ein unwiderleglicher Beweis meines, wenigſtens damals, ſtumpfen Beobachtungsgeiſtes — und
beobachtete nicht die mindeſte Aehnlichkeit.
Aber indem ich zeichnete, fiel's mir ſo gleich auf — ſtand ſo gleich Lamberts erwecktes
Bild vor mir — „Du haſt Lamberts Naſe!“ ſagt' ich meinem Freunde. Je mehr ich dran
zeichnete, deſto ſpuͤrbarer wurde mir die Aehnlichkeit. Jch will Heßen nicht mit Lamberten ver-
gleichen; — nicht ſagen, was Heß haͤtte werden koͤnnen, wenn es Gott gefallen haͤtte, ihm meh-
rere Jahre zu ſchenken. — Heß hatte keine Ader zur Mathematik; hatte gewiß nicht das tiefdrin-
gende Genie dieſes ſo einzigen Mannes; ſein Temperamentscharacter iſt von Lamberts ſehr ver-
ſchieden, ſo verſchieden, als ihre Augen und Stirnen — Aber in der Feinheit, in der Art ihrer
Naſen, waren ſie ſich ziemlich aͤhnlich — und beyde zeichnen ſich in ungleichem Grade durch groſ-
ſen, hellen, vielfaſſenden Verſtand aus. Dieſes wußt' ich ohne alle Ruͤckſicht auf ihre Phyſiogno-
mien: — Aber dieſe Aehnlichkeit der Naſen ſchien mir ſo ſonderbar, daß ich auf dergleichen Aehn-
lichkeiten wenigſtens beym Zeichnen aufmerkſamer zu werden begann.
Dieß Zuſammentreffen verſchiedener Geſichter, die ich zufaͤlliger Weiſe, oft in Einem Ta-
ge zeichnete, und die ſich mir gleichſam aufdringende Aehnlichkeit wenigſtens gewiſſer Seiten des
Characters der Urbilder — ward mir immer wichtiger, machte mich immer aufmerkſamer. —
Doch bey dem allen war mir noch nicht in Sinn gekommen, auf Beobachtungen gleichſam aus-
zugehen, vielweniger die Phyſiognomie zu ſtudiren. Selber das Wort Phyſiognomie war mir
noch eins meiner ungebrauchteſten Woͤrter.
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Jn Herrn Fuͤeßlins Wohnung brach Feuer aus — al-
les, was er hatte, ein Schatz der koſtbarſten Zeichnun-
gen, ſieben uͤber Leben große Apoſtel, die er fuͤr eine
Kirche in England fertig hatte, und hundert gedanken-
reiche Skizen, handſchriftliche Poeſien — und unter
dieſen allen auch das Bild meines Freundes, brannten
zu Aſche. — Wer etwas von Fuͤeßlin weiß, wird die-
ſe Anekdote nicht fuͤr geringfuͤgig halten; Fuͤeßlin, der
ſo manche Talente von Klopſtock, Raphael und Mi-
chelange in ſich vereinigt.
Phyſ. Fragm. I. Verſuch. C
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