Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite
XVII. Fragment. Physiognomische Uebungen
Y.
Eine Gruppe immaginirter Köpfe.

Findest du unter diesen Gesichtern allen eines, dem du dich gern und mit völliger Sicherheit anver-
trauen würdest? Jch finde keines. Wo viel Leidenschaft, wenig Verstand und kein Gefühl für
andere außer sich ist, da flieht mein Herz; wendet sich weg meine Seele.

Das allerunterste Mönchsgesicht ist das ekelhafteste Gemische von Bocksgeilheit, Unwis-
senheit und Niederträchtigkeit.

Das männliche neben diesem hat alle Merkmale der Grausamkeit und der spottenden
Verachtung.

Das äußerste männliche Profil über diesem hätt' einige gute Anlagen, ist aber jämmer-
lich durch weichliche, weibische Furcht verzerrt.

Das weibliche Vollgesicht neben diesem scheint mehr leer als dumm; mehr gefühllos,
als boshaft; mehr kalt als wollüstig.

Das weibliche Profil in der Mitte hat unter der Stirne gleich wenig Verstand und
Gefühl.

Das über sich schauende weibliche Profil unter diesem hat gewiß viel Schalkheit und
wenig Verstand.

Das gerad über diesem hochherabschauende, hinhorchende, ist frech, schamlos, und
wollüstig.

Das äußerste Gesicht ist Mann und Weib; die seelenloseste Wollust, obgleich das rechte
Auge so gar dumm nicht wäre.

Das jammerhafte, oberste, weibliche Gesicht kann von einer sehr gemeinen Küchen-
magd seyn.

Das männliche Profil neben diesem hat Verstand bis auf die Nase: ist von da an
dumm, geschmacklos, pöbelhaft.

Das
XVII. Fragment. Phyſiognomiſche Uebungen
Y.
Eine Gruppe immaginirter Koͤpfe.

Findeſt du unter dieſen Geſichtern allen eines, dem du dich gern und mit voͤlliger Sicherheit anver-
trauen wuͤrdeſt? Jch finde keines. Wo viel Leidenſchaft, wenig Verſtand und kein Gefuͤhl fuͤr
andere außer ſich iſt, da flieht mein Herz; wendet ſich weg meine Seele.

Das allerunterſte Moͤnchsgeſicht iſt das ekelhafteſte Gemiſche von Bocksgeilheit, Unwiſ-
ſenheit und Niedertraͤchtigkeit.

Das maͤnnliche neben dieſem hat alle Merkmale der Grauſamkeit und der ſpottenden
Verachtung.

Das aͤußerſte maͤnnliche Profil uͤber dieſem haͤtt' einige gute Anlagen, iſt aber jaͤmmer-
lich durch weichliche, weibiſche Furcht verzerrt.

Das weibliche Vollgeſicht neben dieſem ſcheint mehr leer als dumm; mehr gefuͤhllos,
als boshaft; mehr kalt als wolluͤſtig.

Das weibliche Profil in der Mitte hat unter der Stirne gleich wenig Verſtand und
Gefuͤhl.

Das uͤber ſich ſchauende weibliche Profil unter dieſem hat gewiß viel Schalkheit und
wenig Verſtand.

Das gerad uͤber dieſem hochherabſchauende, hinhorchende, iſt frech, ſchamlos, und
wolluͤſtig.

Das aͤußerſte Geſicht iſt Mann und Weib; die ſeelenloſeſte Wolluſt, obgleich das rechte
Auge ſo gar dumm nicht waͤre.

Das jammerhafte, oberſte, weibliche Geſicht kann von einer ſehr gemeinen Kuͤchen-
magd ſeyn.

Das maͤnnliche Profil neben dieſem hat Verſtand bis auf die Naſe: iſt von da an
dumm, geſchmacklos, poͤbelhaft.

Das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0342" n="228"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XVII.</hi> Fragment. Phy&#x017F;iognomi&#x017F;che Uebungen</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">Y.</hi><lb/>
Eine Gruppe immaginirter Ko&#x0364;pfe.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">F</hi>inde&#x017F;t du unter die&#x017F;en Ge&#x017F;ichtern allen eines, dem du dich gern und mit vo&#x0364;lliger Sicherheit anver-<lb/>
trauen wu&#x0364;rde&#x017F;t? Jch finde keines. Wo viel Leiden&#x017F;chaft, wenig Ver&#x017F;tand und kein Gefu&#x0364;hl fu&#x0364;r<lb/>
andere außer &#x017F;ich i&#x017F;t, da flieht mein Herz; wendet &#x017F;ich weg meine Seele.</p><lb/>
            <p>Das allerunter&#x017F;te Mo&#x0364;nchsge&#x017F;icht i&#x017F;t das ekelhafte&#x017F;te Gemi&#x017F;che von Bocksgeilheit, Unwi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;enheit und Niedertra&#x0364;chtigkeit.</p><lb/>
            <p>Das ma&#x0364;nnliche neben die&#x017F;em hat alle Merkmale der Grau&#x017F;amkeit und der &#x017F;pottenden<lb/>
Verachtung.</p><lb/>
            <p>Das a&#x0364;ußer&#x017F;te ma&#x0364;nnliche Profil u&#x0364;ber die&#x017F;em ha&#x0364;tt' einige gute Anlagen, i&#x017F;t aber ja&#x0364;mmer-<lb/>
lich durch weichliche, weibi&#x017F;che Furcht verzerrt.</p><lb/>
            <p>Das weibliche Vollge&#x017F;icht neben die&#x017F;em &#x017F;cheint mehr leer als dumm; mehr gefu&#x0364;hllos,<lb/>
als boshaft; mehr kalt als wollu&#x0364;&#x017F;tig.</p><lb/>
            <p>Das weibliche Profil in der Mitte hat unter der Stirne gleich wenig Ver&#x017F;tand und<lb/>
Gefu&#x0364;hl.</p><lb/>
            <p>Das u&#x0364;ber &#x017F;ich &#x017F;chauende weibliche Profil unter die&#x017F;em hat gewiß viel Schalkheit und<lb/>
wenig Ver&#x017F;tand.</p><lb/>
            <p>Das gerad u&#x0364;ber die&#x017F;em hochherab&#x017F;chauende, hinhorchende, i&#x017F;t frech, &#x017F;chamlos, und<lb/>
wollu&#x0364;&#x017F;tig.</p><lb/>
            <p>Das a&#x0364;ußer&#x017F;te Ge&#x017F;icht i&#x017F;t Mann und Weib; die &#x017F;eelenlo&#x017F;e&#x017F;te Wollu&#x017F;t, obgleich das rechte<lb/>
Auge &#x017F;o gar dumm nicht wa&#x0364;re.</p><lb/>
            <p>Das jammerhafte, ober&#x017F;te, weibliche Ge&#x017F;icht kann von einer &#x017F;ehr gemeinen Ku&#x0364;chen-<lb/>
magd &#x017F;eyn.</p><lb/>
            <p>Das ma&#x0364;nnliche Profil neben die&#x017F;em hat Ver&#x017F;tand bis auf die Na&#x017F;e: i&#x017F;t von da an<lb/>
dumm, ge&#x017F;chmacklos, po&#x0364;belhaft.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Das</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0342] XVII. Fragment. Phyſiognomiſche Uebungen Y. Eine Gruppe immaginirter Koͤpfe. Findeſt du unter dieſen Geſichtern allen eines, dem du dich gern und mit voͤlliger Sicherheit anver- trauen wuͤrdeſt? Jch finde keines. Wo viel Leidenſchaft, wenig Verſtand und kein Gefuͤhl fuͤr andere außer ſich iſt, da flieht mein Herz; wendet ſich weg meine Seele. Das allerunterſte Moͤnchsgeſicht iſt das ekelhafteſte Gemiſche von Bocksgeilheit, Unwiſ- ſenheit und Niedertraͤchtigkeit. Das maͤnnliche neben dieſem hat alle Merkmale der Grauſamkeit und der ſpottenden Verachtung. Das aͤußerſte maͤnnliche Profil uͤber dieſem haͤtt' einige gute Anlagen, iſt aber jaͤmmer- lich durch weichliche, weibiſche Furcht verzerrt. Das weibliche Vollgeſicht neben dieſem ſcheint mehr leer als dumm; mehr gefuͤhllos, als boshaft; mehr kalt als wolluͤſtig. Das weibliche Profil in der Mitte hat unter der Stirne gleich wenig Verſtand und Gefuͤhl. Das uͤber ſich ſchauende weibliche Profil unter dieſem hat gewiß viel Schalkheit und wenig Verſtand. Das gerad uͤber dieſem hochherabſchauende, hinhorchende, iſt frech, ſchamlos, und wolluͤſtig. Das aͤußerſte Geſicht iſt Mann und Weib; die ſeelenloſeſte Wolluſt, obgleich das rechte Auge ſo gar dumm nicht waͤre. Das jammerhafte, oberſte, weibliche Geſicht kann von einer ſehr gemeinen Kuͤchen- magd ſeyn. Das maͤnnliche Profil neben dieſem hat Verſtand bis auf die Naſe: iſt von da an dumm, geſchmacklos, poͤbelhaft. Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/342
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/342>, abgerufen am 24.11.2024.