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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

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XII. Fragment.
heit ist -- Sind aber bey größerer Breite, die Umrisse schlaff und weich -- so ist Sinnlichkeit,
Weichlichkeit, Trägheit, Wollust, in hohem Grade sichtbar.

Ueberhaupt aber, um nun von hundert Sachen, die hierüber noch gesagt werden könnten, (die
aber noch nicht vorbereitet genug sind, und hin und wieder, besonders bey vorkommenden Beyspie-
len, ihre Stellen finden werden, und vornehmlich, wenn Gott Leben, Lust und Kraft erhält, dem
letzten Theile dieses Werkes vorbehalten sind) nur noch Eine zu sagen: -- Ueberhaupt drückt die
Silhouette vielmehr die Anlage, als die Würklichkeit des Charakters aus.
Der zweyte
und dritte Abschnitt zeigt am öftersten und sichersten den Verstand -- und die Leidens- oder Wür-
kungskraft des Menschen. -- Die Nase -- den Geschmack, die Empfindsamkeit, das Gefühl --
die Lippen, am vorzüglichsten Sanftmuth und Zornmuth, Liebe und Haß.

Das Kinn den Grad und die Art der Sinnlichkeit; der Hals samt dem Nacken und der
Stellung -- entscheidet die Lockerheit, Gespanntheit oder freye Geradheit des Charakters; der
Scheitel -- nicht so wohl die Kraft, als den Reichthum des Verstandes --

Das Hinterhaupt, die Beweglichkeit, Reizbarkeit, Elasticität des Charakters.

Abermal, wie wenig und wie viel gesagt! -- wie wenig für den bloß Kurzweil und Unter-
haltung suchenden Leser -- wie viel für den Forscher, der selbst prüfen will, und kann, berichtigen,
näher bestimmen, weiter gehen will und kann.

Nun ist's Zeit -- durch eine Reihe von allerley Beyspielen das eine und andere vom Ge-
sagten begreiflicher, anschaubarer, gewisser zu machen -- und noch manches nachzuholen.

Es war unmöglich, und bey der unabsehbaren Menge dessen, was wir sonst noch zu sagen
haben, wär's Mißverhältniß zum Ganzen -- eine vollständige Sammlung -- noch weniger mög-
lich, eine Classifikation und unwillkührliche Ordnung von Schattenrissen vorzulegen. Jch liefere,
was ich liefern kann.

Ein künftiger physiognomischer Schriftsteller liefert vielleicht einmal einige Bände bloßer
Silhouetten. Der's liefern wird, liefert viel, und wenn er ohne Partheylichkeit reihet, hat er mehr
geleistet, als ich, im Gedränge meiner Umstände, und bey der Geringheit meiner Kräfte immer werde
leisten können.

Die folgenden Tafeln, so sehr ich aussuchen wollte, und die Wahl zu überlegen glaubte --
zusammen genommen -- in jedem Sinn -- kleinliches Fragment.

Nachste-

XII. Fragment.
heit iſt — Sind aber bey groͤßerer Breite, die Umriſſe ſchlaff und weich — ſo iſt Sinnlichkeit,
Weichlichkeit, Traͤgheit, Wolluſt, in hohem Grade ſichtbar.

Ueberhaupt aber, um nun von hundert Sachen, die hieruͤber noch geſagt werden koͤnnten, (die
aber noch nicht vorbereitet genug ſind, und hin und wieder, beſonders bey vorkommenden Beyſpie-
len, ihre Stellen finden werden, und vornehmlich, wenn Gott Leben, Luſt und Kraft erhaͤlt, dem
letzten Theile dieſes Werkes vorbehalten ſind) nur noch Eine zu ſagen: — Ueberhaupt druͤckt die
Silhouette vielmehr die Anlage, als die Wuͤrklichkeit des Charakters aus.
Der zweyte
und dritte Abſchnitt zeigt am oͤfterſten und ſicherſten den Verſtand — und die Leidens- oder Wuͤr-
kungskraft des Menſchen. — Die Naſe — den Geſchmack, die Empfindſamkeit, das Gefuͤhl —
die Lippen, am vorzuͤglichſten Sanftmuth und Zornmuth, Liebe und Haß.

Das Kinn den Grad und die Art der Sinnlichkeit; der Hals ſamt dem Nacken und der
Stellung — entſcheidet die Lockerheit, Geſpanntheit oder freye Geradheit des Charakters; der
Scheitel — nicht ſo wohl die Kraft, als den Reichthum des Verſtandes —

Das Hinterhaupt, die Beweglichkeit, Reizbarkeit, Elaſticitaͤt des Charakters.

Abermal, wie wenig und wie viel geſagt! — wie wenig fuͤr den bloß Kurzweil und Unter-
haltung ſuchenden Leſer — wie viel fuͤr den Forſcher, der ſelbſt pruͤfen will, und kann, berichtigen,
naͤher beſtimmen, weiter gehen will und kann.

Nun iſt’s Zeit — durch eine Reihe von allerley Beyſpielen das eine und andere vom Ge-
ſagten begreiflicher, anſchaubarer, gewiſſer zu machen — und noch manches nachzuholen.

Es war unmoͤglich, und bey der unabſehbaren Menge deſſen, was wir ſonſt noch zu ſagen
haben, waͤr’s Mißverhaͤltniß zum Ganzen — eine vollſtaͤndige Sammlung — noch weniger moͤg-
lich, eine Claſſifikation und unwillkuͤhrliche Ordnung von Schattenriſſen vorzulegen. Jch liefere,
was ich liefern kann.

Ein kuͤnftiger phyſiognomiſcher Schriftſteller liefert vielleicht einmal einige Baͤnde bloßer
Silhouetten. Der’s liefern wird, liefert viel, und wenn er ohne Partheylichkeit reihet, hat er mehr
geleiſtet, als ich, im Gedraͤnge meiner Umſtaͤnde, und bey der Geringheit meiner Kraͤfte immer werde
leiſten koͤnnen.

Die folgenden Tafeln, ſo ſehr ich ausſuchen wollte, und die Wahl zu uͤberlegen glaubte —
zuſammen genommen — in jedem Sinn — kleinliches Fragment.

Nachſte-
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[98/0126] XII. Fragment. heit iſt — Sind aber bey groͤßerer Breite, die Umriſſe ſchlaff und weich — ſo iſt Sinnlichkeit, Weichlichkeit, Traͤgheit, Wolluſt, in hohem Grade ſichtbar. Ueberhaupt aber, um nun von hundert Sachen, die hieruͤber noch geſagt werden koͤnnten, (die aber noch nicht vorbereitet genug ſind, und hin und wieder, beſonders bey vorkommenden Beyſpie- len, ihre Stellen finden werden, und vornehmlich, wenn Gott Leben, Luſt und Kraft erhaͤlt, dem letzten Theile dieſes Werkes vorbehalten ſind) nur noch Eine zu ſagen: — Ueberhaupt druͤckt die Silhouette vielmehr die Anlage, als die Wuͤrklichkeit des Charakters aus. Der zweyte und dritte Abſchnitt zeigt am oͤfterſten und ſicherſten den Verſtand — und die Leidens- oder Wuͤr- kungskraft des Menſchen. — Die Naſe — den Geſchmack, die Empfindſamkeit, das Gefuͤhl — die Lippen, am vorzuͤglichſten Sanftmuth und Zornmuth, Liebe und Haß. Das Kinn den Grad und die Art der Sinnlichkeit; der Hals ſamt dem Nacken und der Stellung — entſcheidet die Lockerheit, Geſpanntheit oder freye Geradheit des Charakters; der Scheitel — nicht ſo wohl die Kraft, als den Reichthum des Verſtandes — Das Hinterhaupt, die Beweglichkeit, Reizbarkeit, Elaſticitaͤt des Charakters. Abermal, wie wenig und wie viel geſagt! — wie wenig fuͤr den bloß Kurzweil und Unter- haltung ſuchenden Leſer — wie viel fuͤr den Forſcher, der ſelbſt pruͤfen will, und kann, berichtigen, naͤher beſtimmen, weiter gehen will und kann. Nun iſt’s Zeit — durch eine Reihe von allerley Beyſpielen das eine und andere vom Ge- ſagten begreiflicher, anſchaubarer, gewiſſer zu machen — und noch manches nachzuholen. Es war unmoͤglich, und bey der unabſehbaren Menge deſſen, was wir ſonſt noch zu ſagen haben, waͤr’s Mißverhaͤltniß zum Ganzen — eine vollſtaͤndige Sammlung — noch weniger moͤg- lich, eine Claſſifikation und unwillkuͤhrliche Ordnung von Schattenriſſen vorzulegen. Jch liefere, was ich liefern kann. Ein kuͤnftiger phyſiognomiſcher Schriftſteller liefert vielleicht einmal einige Baͤnde bloßer Silhouetten. Der’s liefern wird, liefert viel, und wenn er ohne Partheylichkeit reihet, hat er mehr geleiſtet, als ich, im Gedraͤnge meiner Umſtaͤnde, und bey der Geringheit meiner Kraͤfte immer werde leiſten koͤnnen. Die folgenden Tafeln, ſo ſehr ich ausſuchen wollte, und die Wahl zu uͤberlegen glaubte — zuſammen genommen — in jedem Sinn — kleinliches Fragment. Nachſte-

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/126>, abgerufen am 24.11.2024.