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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

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XIV. Fragment. Von Kinderschädeln.
hen. Prägend oder geprägt -- immer -- fester, bestimmter, dauerhafter, merkbarer;
prägend
und geprägt -- immer Charakter des Festern, Dauerhaftern im Menschen.

X.
Von Kinderschädeln.

Man wird einen auf das Papier ohne alle andere Verbindung hingezeichneten Kinder-
kopf oder Kinderschädel sogleich erkennen, und schwerlich jemals mit dem Kopfe eines Erwach-
senen verwechseln. Nur müssen dann die Mahler nicht so unbegreiflich flüchtig über das Eigen-
thümliche desselben hinhüpfen, und das Besondere so sehr verallgemeinen -- der ewige Fehler der
Mahler und so vieler anmaßlicher Physiognomisten. --

Es giebt also gewisse beständige, bey aller individuellen Mannichfaltigkeit beständige Kenn-
zeichen eines Kinderkopfes -- diese scheinen mehr in der Zusammensetzung, und in der Form des
Ganzen, als der einzelnen Theile zu liegen.

Es ist bekannt, daß der Kopf im Verhältnisse mit dem übrigen Körper desto größer ist,
je näher der Mensch seinem Ursprunge ist; so, dünkt mich, ist auch derjenige Theil des Schädels,
der das Gehirn beherbergt, größer, als der übrige Theil, der das Gesicht und die Kiefer bildet,
wenn ich die Schädel eines Embryo, eines Kindes, und eines Erwachsenen mit einander ver-
gleiche. Daher, glaub' ich, kommt es, daß die Stirn, besonders der Obertheil derselben, bey Kin-
dern meistens so stark hervorsticht. Die Knochen des Ober- und Unterkiefers, mit den darinn
steckenden Zähnen, werden später entwickelt, und gelangen langsamer zu ihrer völligen Ausbil-
dung. Der untere Theil des Kopfes überhaupt nimmt bis zum Ziel des Wachsthums in seinem
Umfange verhältnißmäßig stärker zu, als der obere. Verschiedene Fortsätze, wie die zitzenförmi-
gen, (processus mamillares) die hinter und unter den Ohren liegen, u. s. f. bilden sich erst nach
der Geburt. Die verschiedenen in diesen Knochen verborgenen Schleimhöhlen größtentheils auch.
Die vielförmige Gestalt dieser Knochen, mit ihren verschiedenen Ecken, Rändern, Ansätzen u. s. f.
die vielen daran befestigten und beständig würksamen Muskeln machen eine stärkere Zunahme und
Veränderung derselben möglicher und leichter, als es bey dem zugerundeten beinernen Gehäuse
des Gehirns seyn kann, wenn es einmal durch die Näthe ganz zugeschlossen ist.

Diese
X 2

XIV. Fragment. Von Kinderſchaͤdeln.
hen. Praͤgend oder gepraͤgt — immer — feſter, beſtimmter, dauerhafter, merkbarer;
praͤgend
und gepraͤgt — immer Charakter des Feſtern, Dauerhaftern im Menſchen.

X.
Von Kinderſchaͤdeln.

Man wird einen auf das Papier ohne alle andere Verbindung hingezeichneten Kinder-
kopf oder Kinderſchaͤdel ſogleich erkennen, und ſchwerlich jemals mit dem Kopfe eines Erwach-
ſenen verwechſeln. Nur muͤſſen dann die Mahler nicht ſo unbegreiflich fluͤchtig uͤber das Eigen-
thuͤmliche deſſelben hinhuͤpfen, und das Beſondere ſo ſehr verallgemeinen — der ewige Fehler der
Mahler und ſo vieler anmaßlicher Phyſiognomiſten. —

Es giebt alſo gewiſſe beſtaͤndige, bey aller individuellen Mannichfaltigkeit beſtaͤndige Kenn-
zeichen eines Kinderkopfes — dieſe ſcheinen mehr in der Zuſammenſetzung, und in der Form des
Ganzen, als der einzelnen Theile zu liegen.

Es iſt bekannt, daß der Kopf im Verhaͤltniſſe mit dem uͤbrigen Koͤrper deſto groͤßer iſt,
je naͤher der Menſch ſeinem Urſprunge iſt; ſo, duͤnkt mich, iſt auch derjenige Theil des Schaͤdels,
der das Gehirn beherbergt, groͤßer, als der uͤbrige Theil, der das Geſicht und die Kiefer bildet,
wenn ich die Schaͤdel eines Embryo, eines Kindes, und eines Erwachſenen mit einander ver-
gleiche. Daher, glaub’ ich, kommt es, daß die Stirn, beſonders der Obertheil derſelben, bey Kin-
dern meiſtens ſo ſtark hervorſticht. Die Knochen des Ober- und Unterkiefers, mit den darinn
ſteckenden Zaͤhnen, werden ſpaͤter entwickelt, und gelangen langſamer zu ihrer voͤlligen Ausbil-
dung. Der untere Theil des Kopfes uͤberhaupt nimmt bis zum Ziel des Wachsthums in ſeinem
Umfange verhaͤltnißmaͤßig ſtaͤrker zu, als der obere. Verſchiedene Fortſaͤtze, wie die zitzenfoͤrmi-
gen, (proceſſus mamillares) die hinter und unter den Ohren liegen, u. ſ. f. bilden ſich erſt nach
der Geburt. Die verſchiedenen in dieſen Knochen verborgenen Schleimhoͤhlen groͤßtentheils auch.
Die vielfoͤrmige Geſtalt dieſer Knochen, mit ihren verſchiedenen Ecken, Raͤndern, Anſaͤtzen u. ſ. f.
die vielen daran befeſtigten und beſtaͤndig wuͤrkſamen Muskeln machen eine ſtaͤrkere Zunahme und
Veraͤnderung derſelben moͤglicher und leichter, als es bey dem zugerundeten beinernen Gehaͤuſe
des Gehirns ſeyn kann, wenn es einmal durch die Naͤthe ganz zugeſchloſſen iſt.

Dieſe
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[163/0229] XIV. Fragment. Von Kinderſchaͤdeln. hen. Praͤgend oder gepraͤgt — immer — feſter, beſtimmter, dauerhafter, merkbarer; praͤgend und gepraͤgt — immer Charakter des Feſtern, Dauerhaftern im Menſchen. X. Von Kinderſchaͤdeln. Man wird einen auf das Papier ohne alle andere Verbindung hingezeichneten Kinder- kopf oder Kinderſchaͤdel ſogleich erkennen, und ſchwerlich jemals mit dem Kopfe eines Erwach- ſenen verwechſeln. Nur muͤſſen dann die Mahler nicht ſo unbegreiflich fluͤchtig uͤber das Eigen- thuͤmliche deſſelben hinhuͤpfen, und das Beſondere ſo ſehr verallgemeinen — der ewige Fehler der Mahler und ſo vieler anmaßlicher Phyſiognomiſten. — Es giebt alſo gewiſſe beſtaͤndige, bey aller individuellen Mannichfaltigkeit beſtaͤndige Kenn- zeichen eines Kinderkopfes — dieſe ſcheinen mehr in der Zuſammenſetzung, und in der Form des Ganzen, als der einzelnen Theile zu liegen. Es iſt bekannt, daß der Kopf im Verhaͤltniſſe mit dem uͤbrigen Koͤrper deſto groͤßer iſt, je naͤher der Menſch ſeinem Urſprunge iſt; ſo, duͤnkt mich, iſt auch derjenige Theil des Schaͤdels, der das Gehirn beherbergt, groͤßer, als der uͤbrige Theil, der das Geſicht und die Kiefer bildet, wenn ich die Schaͤdel eines Embryo, eines Kindes, und eines Erwachſenen mit einander ver- gleiche. Daher, glaub’ ich, kommt es, daß die Stirn, beſonders der Obertheil derſelben, bey Kin- dern meiſtens ſo ſtark hervorſticht. Die Knochen des Ober- und Unterkiefers, mit den darinn ſteckenden Zaͤhnen, werden ſpaͤter entwickelt, und gelangen langſamer zu ihrer voͤlligen Ausbil- dung. Der untere Theil des Kopfes uͤberhaupt nimmt bis zum Ziel des Wachsthums in ſeinem Umfange verhaͤltnißmaͤßig ſtaͤrker zu, als der obere. Verſchiedene Fortſaͤtze, wie die zitzenfoͤrmi- gen, (proceſſus mamillares) die hinter und unter den Ohren liegen, u. ſ. f. bilden ſich erſt nach der Geburt. Die verſchiedenen in dieſen Knochen verborgenen Schleimhoͤhlen groͤßtentheils auch. Die vielfoͤrmige Geſtalt dieſer Knochen, mit ihren verſchiedenen Ecken, Raͤndern, Anſaͤtzen u. ſ. f. die vielen daran befeſtigten und beſtaͤndig wuͤrkſamen Muskeln machen eine ſtaͤrkere Zunahme und Veraͤnderung derſelben moͤglicher und leichter, als es bey dem zugerundeten beinernen Gehaͤuſe des Gehirns ſeyn kann, wenn es einmal durch die Naͤthe ganz zugeſchloſſen iſt. Dieſe X 2

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/229>, abgerufen am 21.11.2024.