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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

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I. Fragment. Von der Allgemeinheit
bemerke z. E. nur die häufigen physiognomischen Stellen in der Messiade -- wie wahre, allgemein
verständliche, allgemein treffende Poesie! wie sicher des Beyfalls aller Menschen, die Menschen
sind! --

Doch ich lenke wieder ein auf einzelne Wörter -- Nur einige Beyspiele anzuführen.

Aufrichtig -- welch ein wichtig moralisches Wort -- zugleich, wie physiognomisch --
der aufgerichtet, gerade steht; der die Augen nicht niederschlagen, der gerade vor sich hinsehen
darf! --

Tückisch, der sich mit dem Angesichte tuckt, oder bückt, das ist, gegen die Erde kehrt.

Aufgeblasen -- hochtragend, (ein Schweizerwort) hoffärtig, hochfahrend, hitzig,
kalt, plump, unbeständig
-- (vielleicht auch leichtsinnig?) schielender Charakter -- mas-
siv, grob,
u. s. w.

Allein dieß allgemeine physiognomische Gefühl bezieht sich nicht nur auf ganze gegenwär-
tige Menschen. Es bezieht sich auf Gemählde, Zeichnungen, Schattenrisse, einzelne Linien --
Es ist kaum ein Mensch, dem nicht hundert, fünfhundert, tausend Linien vorzuzeichnen wären,
deren Ausdruck und Bedeutung er entweder von selbst errathen, oder doch gewiß, auf die erste Er-
klärung, die man ihm davon gäbe, anerkennen würde.

Jch könnte, wenn ich die Tafeln nicht künftig zu andern besondern Zwecken zu brau-
chen gesonnen wäre, (wiewohl dieser Zweck, die Allgemeinheit des physiognomischen Gefühles zu
rechtfertigen, immer und beynahe bey allen Tafeln mitgeht) -- hier häufige Beweise anführen.
Jch begnüge mich aber bloß mit zwo Tafeln.

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Erste

I. Fragment. Von der Allgemeinheit
bemerke z. E. nur die haͤufigen phyſiognomiſchen Stellen in der Meſſiade — wie wahre, allgemein
verſtaͤndliche, allgemein treffende Poeſie! wie ſicher des Beyfalls aller Menſchen, die Menſchen
ſind! —

Doch ich lenke wieder ein auf einzelne Woͤrter — Nur einige Beyſpiele anzufuͤhren.

Aufrichtig — welch ein wichtig moraliſches Wort — zugleich, wie phyſiognomiſch —
der aufgerichtet, gerade ſteht; der die Augen nicht niederſchlagen, der gerade vor ſich hinſehen
darf! —

Tuͤckiſch, der ſich mit dem Angeſichte tuckt, oder buͤckt, das iſt, gegen die Erde kehrt.

Aufgeblaſen — hochtragend, (ein Schweizerwort) hoffaͤrtig, hochfahrend, hitzig,
kalt, plump, unbeſtaͤndig
— (vielleicht auch leichtſinnig?) ſchielender Charakter — maſ-
ſiv, grob,
u. ſ. w.

Allein dieß allgemeine phyſiognomiſche Gefuͤhl bezieht ſich nicht nur auf ganze gegenwaͤr-
tige Menſchen. Es bezieht ſich auf Gemaͤhlde, Zeichnungen, Schattenriſſe, einzelne Linien —
Es iſt kaum ein Menſch, dem nicht hundert, fuͤnfhundert, tauſend Linien vorzuzeichnen waͤren,
deren Ausdruck und Bedeutung er entweder von ſelbſt errathen, oder doch gewiß, auf die erſte Er-
klaͤrung, die man ihm davon gaͤbe, anerkennen wuͤrde.

Jch koͤnnte, wenn ich die Tafeln nicht kuͤnftig zu andern beſondern Zwecken zu brau-
chen geſonnen waͤre, (wiewohl dieſer Zweck, die Allgemeinheit des phyſiognomiſchen Gefuͤhles zu
rechtfertigen, immer und beynahe bey allen Tafeln mitgeht) — hier haͤufige Beweiſe anfuͤhren.
Jch begnuͤge mich aber bloß mit zwo Tafeln.

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[10/0024] I. Fragment. Von der Allgemeinheit bemerke z. E. nur die haͤufigen phyſiognomiſchen Stellen in der Meſſiade — wie wahre, allgemein verſtaͤndliche, allgemein treffende Poeſie! wie ſicher des Beyfalls aller Menſchen, die Menſchen ſind! — Doch ich lenke wieder ein auf einzelne Woͤrter — Nur einige Beyſpiele anzufuͤhren. Aufrichtig — welch ein wichtig moraliſches Wort — zugleich, wie phyſiognomiſch — der aufgerichtet, gerade ſteht; der die Augen nicht niederſchlagen, der gerade vor ſich hinſehen darf! — Tuͤckiſch, der ſich mit dem Angeſichte tuckt, oder buͤckt, das iſt, gegen die Erde kehrt. Aufgeblaſen — hochtragend, (ein Schweizerwort) hoffaͤrtig, hochfahrend, hitzig, kalt, plump, unbeſtaͤndig — (vielleicht auch leichtſinnig?) ſchielender Charakter — maſ- ſiv, grob, u. ſ. w. Allein dieß allgemeine phyſiognomiſche Gefuͤhl bezieht ſich nicht nur auf ganze gegenwaͤr- tige Menſchen. Es bezieht ſich auf Gemaͤhlde, Zeichnungen, Schattenriſſe, einzelne Linien — Es iſt kaum ein Menſch, dem nicht hundert, fuͤnfhundert, tauſend Linien vorzuzeichnen waͤren, deren Ausdruck und Bedeutung er entweder von ſelbſt errathen, oder doch gewiß, auf die erſte Er- klaͤrung, die man ihm davon gaͤbe, anerkennen wuͤrde. Jch koͤnnte, wenn ich die Tafeln nicht kuͤnftig zu andern beſondern Zwecken zu brau- chen geſonnen waͤre, (wiewohl dieſer Zweck, die Allgemeinheit des phyſiognomiſchen Gefuͤhles zu rechtfertigen, immer und beynahe bey allen Tafeln mitgeht) — hier haͤufige Beweiſe anfuͤhren. Jch begnuͤge mich aber bloß mit zwo Tafeln. [Abbildung] Erſte

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/24>, abgerufen am 21.11.2024.