Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.II. Fragment. Seltenheit mag wohl die fünfte Copie der Copie seyn -- also, -- doch das thut itzt eigentlich nichts zurSache -- überhaupt ist's klar, daß Schwäche und Blödigkeit und ein absichtloses Staunen den Charakter dieses Kopfes in allen vier Umrissen ausmachen. Man weiß nun schon, in welcher Absicht ich denselben Kof viermal auf Eine Tafel zeich- Die Stirn im zweyten ist die schlechteste. Der Einbug nah' am rechten Augenliede der schwächste. Die Geradheit des Umrisses von den Augenbraunen an, (die in allen vieren zuweit vom Die Augenbraun im zweyten etwas gebogner, als im ersten. Die Augen im ersten und vierten sind etwas kecker, als im zweyten und dritten. Die Nase des zweyten ist besonders untenher die beste. Die Oberlippe im dritten und vierten ist etwas weniger platt, ist markirter, als im er- Die Unterlippe am dritten ist die schiefste von allen. Die auf die rechte Schulter fallende Haarlocke, obgleich fehlerhaft, ist besser, als die Diese Versuche mögen zeigen, wie oft da Unähnlichkeiten sind, wo man ohne scharfe Be- Bey dieser Gelegenheit kann ich die zwar sehr allgemeine, aber nichts desto weniger durch
II. Fragment. Seltenheit mag wohl die fuͤnfte Copie der Copie ſeyn — alſo, — doch das thut itzt eigentlich nichts zurSache — uͤberhaupt iſt’s klar, daß Schwaͤche und Bloͤdigkeit und ein abſichtloſes Staunen den Charakter dieſes Kopfes in allen vier Umriſſen ausmachen. Man weiß nun ſchon, in welcher Abſicht ich denſelben Kof viermal auf Eine Tafel zeich- Die Stirn im zweyten iſt die ſchlechteſte. Der Einbug nah’ am rechten Augenliede der ſchwaͤchſte. Die Geradheit des Umriſſes von den Augenbraunen an, (die in allen vieren zuweit vom Die Augenbraun im zweyten etwas gebogner, als im erſten. Die Augen im erſten und vierten ſind etwas kecker, als im zweyten und dritten. Die Naſe des zweyten iſt beſonders untenher die beſte. Die Oberlippe im dritten und vierten iſt etwas weniger platt, iſt markirter, als im er- Die Unterlippe am dritten iſt die ſchiefſte von allen. Die auf die rechte Schulter fallende Haarlocke, obgleich fehlerhaft, iſt beſſer, als die Dieſe Verſuche moͤgen zeigen, wie oft da Unaͤhnlichkeiten ſind, wo man ohne ſcharfe Be- Bey dieſer Gelegenheit kann ich die zwar ſehr allgemeine, aber nichts deſto weniger durch
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II. Fragment. Seltenheit
mag wohl die fuͤnfte Copie der Copie ſeyn — alſo, — doch das thut itzt eigentlich nichts zur
Sache — uͤberhaupt iſt’s klar, daß Schwaͤche und Bloͤdigkeit und ein abſichtloſes Staunen den
Charakter dieſes Kopfes in allen vier Umriſſen ausmachen.
Man weiß nun ſchon, in welcher Abſicht ich denſelben Kof viermal auf Eine Tafel zeich-
nen laſſen. Jch bat den Zeichner, denſelben mit aller moͤglichen Genauigkeit, nach demſelben
Durchriß auf Oelpapier, zu radiren. „Es ſollte gewiß kein Unterſchied zu bemerken ſeyn“ —
Er that ſein moͤglichſtes — und in der That, die Unterſchiede ſind ſchwer zu finden — und
dennoch — — man uͤbe ſeinen Beobachtungsgeiſt, und man wird ihn dran pruͤfen koͤnnen; und
wenn meine Hauptabſicht dabey nicht verfehlt wird — Behutſamkeit, Behutſamkeit lernen
im Urtheilen uͤber Menſchen und Menſchengeſichter. —
Die Stirn im zweyten iſt die ſchlechteſte.
Der Einbug nah’ am rechten Augenliede der ſchwaͤchſte.
Die Geradheit des Umriſſes von den Augenbraunen an, (die in allen vieren zuweit vom
Aug’ entfernt ſind, wodurch dem Blick eine nicht vortheilhafte Spannung gegeben wird) die Ge-
radheit des Umriſſes von der Augenbraune an bis unter das rechte Auge, giebt allen dieſen Geſich-
tern eine widrige Mattheit.
Die Augenbraun im zweyten etwas gebogner, als im erſten.
Die Augen im erſten und vierten ſind etwas kecker, als im zweyten und dritten.
Die Naſe des zweyten iſt beſonders untenher die beſte.
Die Oberlippe im dritten und vierten iſt etwas weniger platt, iſt markirter, als im er-
ſten und beſonders im zweyten.
Die Unterlippe am dritten iſt die ſchiefſte von allen.
Die auf die rechte Schulter fallende Haarlocke, obgleich fehlerhaft, iſt beſſer, als die
uͤbrigen, beſonders die im erſten. —
Dieſe Verſuche moͤgen zeigen, wie oft da Unaͤhnlichkeiten ſind, wo man ohne ſcharfe Be-
obachtung die genaueſte Aehnlichkeit zu ſehen vermeynt.
Bey dieſer Gelegenheit kann ich die zwar ſehr allgemeine, aber nichts deſto weniger
aͤuſſerſt wichtige Anmerkung nicht zuruͤckbehalten: „Daß junger Kinder Aufmerkſamkeit wohl
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