Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.des physiognomischen Beobachtungsgeistes. "durch nichts so sehr geübt, ihr Beobachtungsgeist wohl durch nichts leichter und sicherer geschärft"werden kann, als durch Vorlegung erst merklich unähnlicher, dann immer ähnlicherer Zeichnun- "gen, deren Unterschiede sie sorgfältig aufzusuchen und genau anzugeben hätten" -- Auge sowohl als Sprache würden dadurch viel gewinnen. Alle Menschen haben Beobachtungskraft, Beobachtungsfähigkeit; so gewiß alle Augen [Abbildung]
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des phyſiognomiſchen Beobachtungsgeiſtes. „durch nichts ſo ſehr geuͤbt, ihr Beobachtungsgeiſt wohl durch nichts leichter und ſicherer geſchaͤrft„werden kann, als durch Vorlegung erſt merklich unaͤhnlicher, dann immer aͤhnlicherer Zeichnun- „gen, deren Unterſchiede ſie ſorgfaͤltig aufzuſuchen und genau anzugeben haͤtten“ — Auge ſowohl als Sprache wuͤrden dadurch viel gewinnen. Alle Menſchen haben Beobachtungskraft, Beobachtungsfaͤhigkeit; ſo gewiß alle Augen [Abbildung]
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des phyſiognomiſchen Beobachtungsgeiſtes.
„durch nichts ſo ſehr geuͤbt, ihr Beobachtungsgeiſt wohl durch nichts leichter und ſicherer geſchaͤrft
„werden kann, als durch Vorlegung erſt merklich unaͤhnlicher, dann immer aͤhnlicherer Zeichnun-
„gen, deren Unterſchiede ſie ſorgfaͤltig aufzuſuchen und genau anzugeben haͤtten“ — Auge ſowohl
als Sprache wuͤrden dadurch viel gewinnen.
Alle Menſchen haben Beobachtungskraft, Beobachtungsfaͤhigkeit; ſo gewiß alle Augen
haben. Aber die meiſten beobachten nicht, weil ſie nicht geuͤbt worden ſind; ſie ſehen a b c d auf
einmal, b, wenn ſie a, und c, wenn ſie b anſehen ſollen; ſie eilen immer vor; greifen immer
vor; die meiſten Menſchen; beſonders die meiſten Mahler. Sie vereinfachen die Beobachtung
nicht; ſie heften ihren Blick nicht auf Eins — ſie fliehen alles Beſtimmte, weil ihnen von jeher
eine unaustilgbare Furcht vor Haͤrte eingepredigt worden iſt; daher das unſichere: Jch weiß
nicht was? daher unzaͤhlige blendende Modemanieren — in Zeichnung, Grabſtichel, Colorit —
und worinn nicht? O du weiches, zartes, verblaſenes, ſeidenes Jahrhundert; — wer will dei-
nem Blicke Feſtigkeit, deinem Tritte Muth, deiner Hand Keckheit, deinen Werken — Zuverſicht
und Beſtimmtheit geben — das heißt — wer giebt dir eigne Augen zu ſehen? — Beobachtungs-
geiſt?
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